Ausstellung „Alles, was man besitzt, besitzt auch uns“: Eva spuckt den Apfel aus
Berliner Türkin, aufgeklärte Muslima: Nezaket Ekici gewinnt ihre Kunst aus dem Clash der Kulturen. Nun widmet das Haus am Waldsee der Performerin eine Solo-Ausstellung.
Wie eine Ohrfeige muss es für Nezaket Ekici gewesen sein, ja schlimmer noch, als sie von der Attacke auf ihr Dresdner Kunstwerk erfuhr. Unbekannte hatten „Scheiß Islam“ auf ihr Portal aus Teppichen gesprüht. Erst wenige Tage zuvor war es vor dem Landgericht am Sachsenplatz aufgestellt worden – als Verweis darauf, wie im Orient die Gerichtsbarkeit funktioniert. Dort wurde einst auf Teppichen Recht gesprochen. Die Berliner Künstlerin erinnerte damit zugleich an das tödliche Attentat auf Marwa el Sherbini, die vor sechs Jahren an eben diesem Ort von jenem Angeklagten niedergestochen worden war, gegen dessen fremdenfeindliche Beschimpfungen die ägyptische Pharmazeutin vor Gericht gezogen war.
Seit vergangener Woche ist Ekicis Werk wiederhergestellt. Die Polizei hatte die besprühten Teppiche wegen Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft nach dem vandalistischen Akt entfernen lassen, was allerdings eine weitere Beschädigung des Kunstwerks darstellte. Zwar sind die Graffitis noch da, aber sie sind nicht mehr lesbar – die entsprechenden Teppichteile wurden umgehängt. Keine schlechte Idee: Hier wird nicht unter den Teppich gekehrt, was vorgefallen ist, die latente Fremdenfeindlichkeit in der Stadt wird nicht überspielt, sondern die Auseinandersetzung kenntlich gemacht.
Und Nezaket Ekici? Würde sofort wieder in Dresden arbeiten, sagt sie. Als Künstlerin bleibe sie stets offen. Die in der Türkei geborene Performerin und Bildhauerin, die als Dreijährige mit ihrer Familie nach Deutschland kam, behandelt in ihren Arbeiten immer wieder den Clash der Kulturen, die Konfrontation mit der Religion, auch die Gender-Problematik. Im Haus am Waldsee gibt sie nun Einblick in ihr weit gespanntes Werk, das in immer neuen Varianten davon erzählt, wie all die Widersprüche auszuhalten sind – als Türkin, Muslimin, Frau.
Klischee mit Kraft und Wucht
Die Ausstellung „Alles, was man besitzt, besitzt auch uns“ ist ein Lehrstunde gelebter Multikulturalität. Das geht nicht ohne Scherben, Drama, Pathos ab. Es regnet Blütenblätter, Kaffee klatscht an die Wand, Äpfel werden mit Wucht auf den Boden gepfeffert. Nezaket Ekici liebt die große Geste, wie ihre Lehrerin Marina Abramovic, deren Meisterklasse sie an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig besuchte. Doch die 45-Jährige gehört einer anderen Generation an. Ihr Feminismus hat nichts Rabiates oder Quälerisches, auch wenn die Performerin mit eingängigen Bildern arbeitet, die manchmal allzu plakativ geraten. Bis an die Grenze zur Persiflage wie bei jenem goldenen Käfig, in den sie leibhaftig eingesperrt ist. Mühsam angelt sich die Künstlerin einen Schlüssel nach dem anderen, die um sie herum an Fäden baumeln, bis sie den richtigen zu ihrer Befreiung gefunden hat. Dazu trägt sie Samtrobe und Satinpumps, mit denen sie zwischendurch wütend gegen das Gestänge tritt. Die Szene ist klischeehaft, komisch und hat doch eine bewegende Kraft.
Nezaket Ekici zielt auf einen kathartischen Moment. Sie will ihr Publikum mitreißen, wenn sie einen Porzellanteller nach dem anderen zerschmettert, die mit Klettbändern an ihrem langen Brautkleid befestigt sind. Oder wenn sie mit dem Temperament einer Flamencotänzerin von der Decke hängende Äpfel pflückt, mal hineinbeißt und wieder ausspuckt, mal auf ihnen herumtrampelt. Diese Eva macht nicht mit, den Apfel der Versuchung würgt sie aus. Dazu klackert sie mit den Hacken auf den Boden und reckt entschlossen das Kinn.
Hausbesuch der Künstlerin
Ekici glaubt an die heilsamen Kräfte der Kunst. Das geht so weit, dass sie Menschen zuhause aufsucht und ihnen die Möglichkeiten einer Performance in den eigenen vier Wänden offenbart. Drei Familien aus dem Förderverein vom Haus am Waldsee fanden sich bereit und gingen unter Anleitung der Künstlerin auf Entdeckungsreise im eigenen Heim. Der Jüngste wird in eine Küchenschublade gesteckt, und beim Öffnen derselben schauen sich Kind und Eltern tief in die Augen; der Vater streut mit Zucker einen Violinschlüssel und Noten auf den Flügel; gemeinsam spielt die Familie in der Badewanne Mau-Mau, während langsam der Wasserspiegel steigt.
Das ist im Video lustig anzusehen und bringt einen auf eigene Ideen wie etwa das Domino aus Büchern. Aber Kunst ist es deshalb noch nicht, eher eine Versuchsanordnung über Kommunikation und Spiel. Beides sind die Grundfesten ihres Werks, die Sublimierung vollzieht sich erst im künstlerischen Akt. „Emotion in Motion“ lautet der Titel einer Performance, bei der Nezaket Ekici Wände, Möbel, Teller, Tassen mit Kussmündern bedeckt. Jeder einzelne stammt von ihr, ein gefühlsechtes Werk.
Haus am Waldsee, Argentinische Allee, 30, 6. 6. bis 16. 8.; Di bis So 12 – 18 Uhr.
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