Rundfunk Sinfonieorchester Berlin: Essay über die Liebe
Hector Berlioz' „Roméo et Juliette“ ist ein verrücktes Werk: Fast 100 Minuten lang, eine wilde Mischung aus Oper, Sinfonik und Kantate. Im Konzerthaus dirigiert Marek Janowski eine atmosphärisch dichte Aufführung.
Er war aber auch ein verwegener Kerl, dieser Hector Berlioz. Der Romeo unter den Komponisten des 19. Jahrhunderts, der fest daran glaubte, dass sich verfeindete Musikfamilien durch Liebe versöhnen lassen. Für seine Version des shakespeareschen Verona-Dramas reißt er alle Schubladen aus der Gattungs-Kommode, mixt mutig Oper und Orchesterwerk, Kantate, Tonpoem und Ballettmusik. Ein 100-minütiger Hybrid ist „Roméo et Juliette“, diese „dramatische Sinfonie“, in der nur die Nebenfiguren singen, während die Titelhelden rein instrumental auftreten.
Kurz vor seinem 75. Geburtstag am 18. Februar schenkt Marek Janowski sich und dem Berliner Publikum nun eine Aufführung von „Roméo et Juliette“, als Teil eines Berlioz-Doppelprogramms, bei dem am heutigen Sonntag die „Sinfonie fantastique“ sowie der Liederzyklus „Nuits d’été“ folgen werden. Handelt es sich bei den beiden letztgenannten Stücken unbestritten um Meisterwerke, wirkt „Roméo et Juliette“ eher wie eine gedankliche Vorstudie, extrem experimentell, ja unvollendet, selbst in einer atmosphärisch so dichten, stilistisch höchst kompetenten Aufführung wie am Freitag im Konzerthaus.
Perlmuttglanz liegt über den perfekt gemischten Stimmen des Berliner Rundfunkchors, der zunächst in Kammerformation zu hören ist. Später werden zwei unsichtbare Fernchöre für den schönsten klanglichen Zaubereffekt sorgen. Mit mütterlicher Sanftmut beschwört Bernarda Fink in ihrem einführenden Nachtstück die aufkeimenden, jugendlichen Gefühle, im eleganten Parlando berichtet Yann Beuron von der Fee Mab, mit suggestivem Bass führt Matthew Rose als Pater Lorenzo das Grand-Opéra-Finale an.
Und über allem waltet Marek Janowski, koordiniert souverän die 170 Beteiligten, als leidenschaftlicher Anwalt dieses Essays über die Liebe – den erst Richard Wagner, der 1839 die Pariser Uraufführung miterlebte, zu Ende denken sollte: zwei Jahrzehnte später, in seiner „Tristan und Isolde“-Oper.