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Das falsche Matterhorn. Der „Mountain“ (204,6 x 325,4 cm, 2013) steht im kalifornischen Anaheim in Disneyland. Thomas Struth gehört zu den wichtigsten Fotografen der Gegenwart. Er studierte an der Düsseldorfer Akademie bei Bernd Becher.
© Thomas Struth

Fotograf Thomas Struth im Interview: Es wird kalt in unseren Städten

Thomas Struth gilt als einer der bedeutendsten Fotokünstler der Gegenwart. Aus Anlass seiner Ausstellung in der Berliner Galerie Hetzler spricht er über das veränderte Leben in der Stadt und warum er sich auch weiterhin als Idealist sieht.

Herr Struth, in Ihren neuen Bildern aus den Hochsicherheitstrakten der Forschung sind keine Menschen, nur komplizierte Apparaturen zu sehen. Trotzdem besitzen die Aufnahmen eine hohe Emotionalität. Warum setzt sich der Betrachter sofort in Beziehung zum Gezeigten?
Abgesehen von dem Operationsbild in der Charité, auf dem nur ein Stück von einem Bauch zu erkennen ist, gibt es tatsächlich nichts Menschliches auf den Bildern zu sehen. Ich begreife diese Szenarien als Resultat menschlicher Aktivität, als Abdruck eines mentalen Prozesses, einer Gruppendynamik, die sich in skulpturaler Form darstellt. Es ist in diesem Sinne eine eigenartige Koinzidenz, dass ich mit diesen Arbeiten in dem Moment angefangen habe, in dem 3-D-Drucker aufkamen. Vielleicht werden irgendwann Roboter eine Menge für uns machen, uns beim Einkaufen, Ins-Taxi-Steigen helfen. Und vielleicht werden in Zukunft die Handwerker 3-D-Drucker dabeihaben und sich die benötigten Ersatzteile vor Ort selbst ausdrucken.

Was fasziniert Sie an den Großlabors?

Vor vier Jahren war ich an den Max-Planck-Instituten für Plasmaphysik in Garching und in Greifswald; dort versucht man der Lösung des Energieproblems auf den Grund zu gehen, neue Ressourcen zu entwickeln für die Zeit wenn Erdöl und Kohle aufgebraucht sein werden. Mich erstaunt immer wieder diese Diskrepanz zwischen den offensichtlich leichteren Einigungsmöglichkeiten in Wissenschaft und Technik und den bleibenden Schwierigkeiten in anderen zwischenmenschlichen Bereichen, etwa in der Politik – wie man aktuell wieder an der Krim sieht. Neue technische Errungenschaften bergen eine Art Heilsversprechen. Sie begeistern, wecken Hoffnungen, viele Länder, Geldgeber beteiligen sich daran. Auf der anderen Seite gibt es weiterhin Krieg, Hungersnot, Vertreibung, Armut. Sobald die Menschen jedoch über eine Sache, ein drittes Element, gemeinsam verhandeln, einigen sie sich anscheinend viel leichter.

Sie gelangen an Orte, die nur wenige betreten dürfen. Lässt man Sie so nah heran, weil Sie eine Vision zeigen?

Sichtbarmachung ist die Geschichte aller Bilder, seit Beginn der Religion: die Darstellung nicht zuletzt innerer Bilder. Wenn ich Großlabors besuche, besteht mein Vorteil darin, dass ich kein Spezialist bin. Ich bleibe auf Distanz, habe aber eine Antenne für Gestalt und die ihr innewohnende politische, gesellschaftliche Energie. Die Kunst besteht darin, genau die richtige Stelle zu finden für ein gutes Bild, das repräsentativ ist.

Sind Sie also willkommen als jemand, der den humanen Blick wieder auf die Dinge richtet?

An diese Orte kommt selten oder nie ein Künstler. In der Industrie stieß ich eher auf Misstrauen, da die Sinnhaftigkeit meines Besuchs nicht ohne Weiteres klar war: Schließlich bin ich kein Geschäftspartner oder zur Fortbildung da. In der Industrie geht es um reibungslose Produktionsabläufe, die nicht gestört werden sollen. Das ist anders bei den Wissenschaftlern, die in gewisser Hinsicht Künstlern ähneln. Auch sie arbeiten ins Ungewisse hinein und besitzen eine starke Leidenschaft für ihre Sache.

Es gibt in Ihren Bildern eine Schönheit der Apparaturen, die nicht weit entfernt scheint von den Kupferstichen von Experimenten der frühen Neuzeit. Sehen Sie sich da in einer Tradition?

Das war immer meine Sorge, dass die Bilder als Werbung missverstanden werden könnten. Es geht mir eher um die Darstellung einer Verstrickung in den Fortschrittsglauben. Natürlich lässt sich die Welt naturwissenschaftlich erklären wie in dem Buch „The Little History of Almost Everything“ , aber das ist eine rein materialistisch-physikalische Sicht. Ich bin zwar kein religiöser Mensch, aber eine mindestens ebenso große Rolle spielt die Intuition, die Seele, die Psychologie. All das ist nicht messbar und beeinflusst die Menschen doch stark. Ohne diesen Bereich gäbe es uns Künstler nicht.

Auf Ihre Art untersuchen Sie die Conditio humana. Das wird deutlich, wo Sie eben doch menschliche Körper zeigen wie im Pariser Centre de recherche et restauration des musées de France, wo sich ein Teilchenbeschleuniger einer Jahrhunderte alten Bronzestatue nähert, um sie zu untersuchen. Was ist der Mensch, was macht ihn aus?, fragt sich der Betrachter sogleich. Wie sehen Sie sich selbst: als Dokumentarist, als Chronistoder als Philosoph mit der Kamera?

Ich bin in erster Linie jemand, der sich Fragen stellt und gerne Bilder macht. Das fing im Alter von zwölf, 13 Jahren an, wenn man typischerweise beginnt, über alles Mögliche nachzudenken: über die eigene Familiengeschichte, den öffentlichen Raum, Geschichte, zumal wenn man 1954 geboren ist wie ich. Dann ist da noch die Religion, der Glaube, die Zukunft und die Frage: Wofür will ich kämpfen? Das treibt mich noch immer um.

Die neuste Serie von Struth stammt aus Kalifornien.

Thomas Struth.
Thomas Struth.
© AFP

In der Ausstellung ist eine neue Werkgruppe aus dem kalifornischen Anaheim zu sehen, wo Walt Disney sein erstes Disneyland eröffnete. Hier erfährt das Artifizielle eine Steigerung durch künstliche Welten. Wollen Sie einen skeptischen Blick lehren?

In Disneyland lassen sich Fantasien des Menschen sichtbar machen. Das ist ein Bestandteil der Conditio humana: dass der Mensch sich etwas ausmalen kann, einen Gedanken vor sich hinstellen kann. Die deutsche Sprache drückt dies sehr schön aus. Disneyland ist ein Ort, wo diese Idee Gestalt annimmt in Form eines Environment, eine Umgebung aus der Erinnerung von Gesehenem. Das Disney-Matterhorn ist letztlich eine Interpretation aus der Erinnerung an das reale Matterhorn.

Mit den Bildern aus St. Petersburg und Südkorea knüpfen Sie an Ihre Städteporträts an. Sie leben von der Spannung, dass der Mensch einerseits abstrakte Größe ist, andererseits diese Rasterung durch Schicksal, Seele, Individualität sprengt. Wie sehen Sie sich selbst als urbaner Mensch?

Das ändert sich gerade. Wir haben ein Grundstück nördlich von Berlin erworben. Da werden wir im Sommer einen Ort haben, wo mehr Stille herrscht. Ich habe mich selbst früher immer als Stadtratte gesehen. Ich mag Städte, hatte aber schon eine genügend große Dosis davon. Als ich zuletzt in Rotterdam war, hat es mich überwältigt, dort einen Eindruck von der Stadt der Zukunft zu bekommen. Wenn künftig alles so aussieht, dann wird es sehr kalt. Die meisten Gebäude sind nach wirtschaftlichen Kriterien gebaut. Der Mensch ist letztlich Erfüllungsgehilfe, ein fleischliches Partikel, das gebraucht wird, damit die kapitalistische Maschine läuft. Ich profitiere zwar auch davon, denn gäbe es keinen Reichtum, könnte ich meine Bilder nicht verkaufen. Trotzdem ist dort eine Entkopplung zu sehen. Der Einzelne findet sich in dieser Architektur nicht wieder. Rotterdam ist die moderne Metropolis.

Also machen Städte Sie melancholisch?

Ja, aber in der Architektur hat sich eine Menge getan. Sie ist selbstkritischer geworden. Die Architekten stellen sich heute mehr Fragen. David Chipperfields Neues Museum in Berlin hat mich begeistert, sein exemplarischer Umgang mit Geschichte. Mich hat berührt, wie er die Schnittstelle zwischen Nicht-Vertuschen und Ergänzen gefunden hat. Diese Frage stelle ich mir selber immer wieder: Wie kann man mutig bleiben, sich nicht desillusionieren lassen? Mir wurde früher nachgesagt, dass ich Idealist sei. Aber was soll ich sonst sein, Zyniker oder Pessimist? Ich kann mir nicht vorstellen, nicht an Verbesserung glauben zu können.

Das Gespräch führt Nicola Kuhn.
Galerie Hetzler, Goethestraße 2 / 3, bis 19. April; Di–Sa 11–18 Uhr

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