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Am 18. September wird es spannend: Abspaltung ja oder nein? Wie stimmen die Schotten?
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A.L. Kennedy über Schottlands Unabhängigkeitsdrang: "Es wird danach alles anders sein"

Die Schriftstellerin A.L. Kennedy stammt aus Schottland. Sie ist für die Unabhängigkeit ihrer Heimat. Im Interview erklärt sie, warum es bei der Abstimmung nicht um traditionellen Nationalismus geht.

Am Donnerstag findet die wichtigste Abstimmung Großbritanniens in unserer Zeit statt – und Sie können nicht abstimmen, weil Sie in London leben.

Die Zeit meines Umzugs, aus persönlichen und beruflichen Gründen, fiel in die Zeit der Entscheidung für das Referendum. Das ist frustrierend gewesen. Weil ich nicht in Schottland lebe, habe ich meine Meinungsäußerungen limitiert, weil ich nicht mit den Konsequenzen leben muss.

Home, sweet home: Was heißt das für Sie?

In England zu leben, woanders zu leben, erinnert mich daran, dass Schottland mein Zuhause ist. Und London ist ein Königreich für sich, kein Zuhause. England hat viele großartige Seiten, aber es gibt Aspekte wie die Royal Family, tiefsitzenden Rassismus in manchen Orten und Institutionen, ein Ausmaß an Grausamkeit, eine Art Defätismus aufseiten der Linken und manischer Arroganz auf der Rechten. Damit umzugehen ist schwierig. So oft es geht, fahre ich in den Norden. Diese Verbindung aus Insiderwissen, einer breiten Basis gemeinsamer Werte und der Vertrautheit verbindet einen wohl mit einem Land. Mir gefällt es an vielen Orten, aber Schottland ist Zuhause, und ich werde zurückkehren.

Was bedeutet Ihnen Schottland?

In seiner Bestform ist es ziemlich egalitär, hat wunderschöne Landschaften, man führt gute Gespräche, es gibt eine hohe Achtung für Bildung, einen Sinn für Moral, Respekt für handwerkliche Fähigkeiten, einen guten, schwarzen Sinn für Humor, wunderbare Musik, wunderbare Literatur ...

Würden Sie sich selbst als schottische Schriftstellerin und Performerin bezeichnen?

Ich komme aus den kulturellen Traditionen Schottlands, ja. Aber ich hoffe, dass diese Traditionen auch andere Kulturen ansprechen, zu menschlichen Erfahrungen im Allgemeinen passen. Als Künstler strebt man danach, zur Gesamtheit unserer Spezies zu sprechen. Aber man muss von irgendwoher stammen, und ich bin aus Schottland.

A.L. Kennedy
A.L. Kennedy
© picture alliance/dpa

Warum sind Sie für ein unabhängiges Schottland?

Aus vielen Gründen. Es stellt die Logik der Sparpolitik und der rigorosen Umsetzung des Chicago- Kapitalismus infrage. Allein indem man sagt, dass es möglicherweise nicht so weitergehen wird wie bisher, wird ein fundamentaler Teil des politischen Denkens in Großbritannien erschüttert: dass Macht nur bei den Mächtigen bleiben kann, dass sich niemand daran erinnern soll, dass es mehr Regierte gibt als Regierende. Das entspringt einer Grassroots-Begeisterung für politischen Wandel und Möglichkeiten jenseits von Parteistrukturen und Karrierepolitikern. Es geht um Hoffnung. Es ist nicht verrückt – den Leuten ist klar, dass am Ende Politiker die Politik betreiben werden, aber jetzt gibt es so ein Gefühl, dass die Menschen beteiligt sind und dass sie aufpassen. Es besteht die Möglichkeit, dass das Beispiel Schottlands dazu beitragen kann, England zu retten, das niedergedrückt wird durch das Spardiktat und auf dem Rückzug ist in Rassismus und Panikmache. Es ist auch ein großes Statement über das Britische Empire: Wir wären fast die Letzten, die gehen, und niemand, der ausgetreten ist, hat je darum gebeten, zurückzukommen, um wieder von Westminster aus regiert zu werden. Und dann ist es natürlich ein friedlicher Abschied vom Empire. Wie oft ist das in der Geschichte passiert? Es ist ein großer Präzedenzfall.

Die meisten Schriftsteller unterstützen wie Sie die Yes-Kampagne, haben sich zu „Artists for Independence“ zusammengeschlossen. Die einzige bekannte Autorin, die sich für die Gegenseite starkmacht, ist JK Rowling. Wie erklären Sie das?

Ich finde, wenn man Fantasie hat, ist man verpflichtet, sich bessere Dinge vorzustellen. Unsere Kultur und unser künstlerisches Erbe ist weitgehend progressiv, und das spiegelt sich in unserer Haltung zur Unabhängigkeit wider. Ich bin mir nicht sicher, warum JK Rowling da nicht mitgeht. Vielleicht hat sie den Reden geglaubt, dass dies ein nationalistisches Projekt ist, möglicherweise hat sie vergessen, wie hart es ist, arm zu sein, und wie viel härter das heute in Großbritannien ist.

Bleibt die Spaltung? Egal wie die Wahl ausgeht?

Die Debatte scheint zuletzt aggressiver zu werden. Haben die Leute ihren Humor, ihre Höflichkeit verloren? Und wird diese Spaltung nicht bestehen bleiben, egal wie die Wahl ausgeht?

Das wird von den Medien aggressiv verbreitet. Das ist eine der großartigen Ergebnisse der Kampagne: dass es jetzt ein viel größeres Bewusstsein für die Voreingenommenheit der Medien gibt, und zwar auf allen Gebieten. Wenn ein paar Idioten auf Twitter scharf schießen, wird das hervorgehoben, wenn sich ein paar Anhänger der Yes campaign von ihrem Enthusiasmus mitreißen lassen, ebenfalls – ähnliches Verhalten auf Seiten der No-Leute findet keine Erwähnung. Ein No-Anhänger wurde neulich von einem Ei getroffen, nichts Neues für britische Politiker, auch früher sind Leute schon mal verprügelt und mit Mehl überschüttet worden – aber dieser Fall wurde hysterisch dargestellt (nach dem Motto: ohne die ruhige, lenkende Hand des Empires sind die Schotten ein blutrünstiger Mob). Ein Abgeordneter, der die Unabhägigkeit unterstützt, wurde zur selben Zeit mit Eiern beworfen, das wurde gar nicht erwähnt. Das ist eine Lektion für eine ganze Generation in punkto Meinungsmache und Verzerrungen, und wie wackelig das Establishment wird, wie bedrohlich, wenn es das Gefühl hat, in die Defensive zu geraten. Familien werden nicht wirklich „zerrissen“, wie es immer heißt, Dörfer sind nicht in Aufruhr. Dies ist nicht das frühere Jugoslawien, und es ist unverantwortlich, solchen Unsinn in der Presse zu schüren. Die große Mehrheit der Menschen freut sich über einem politischen Prozess, der tatsächlich etwas bedeutet, über Debatten, die echt sind (weg von Politikern und Medien), darüber, jenseits der Wahlkabine über ihr Land nachzudenken und wo sie es haben wollen – darum geht es bei Yes und No. Es passiert nicht oft, dass eine ganze Bevölkerung darüber nachdenkt, wie ihre Kultur verbessert werden könnte, sich alle Möglichkeiten anguckt.

Was sagt das Referendum, die ganze Debatte aus über den Stand der Demokratie in Großbritannien?

Dass wir keine haben. Das ist ein weiterer wunderbarer Nebeneffekt der Debatte. Die Leute können erkennen, wie steril ein Großteil der politischen Debatte ist, wie unengagiert und egoistisch die meisten Politiker sind und in welchem Ausmaß die Medien zu Komplizen bei der Unterstützung kommerzieller und politischer Interessen geworden sind, die identisch sind. Der Kaiser trägt keine Kleider – egal, wie das Ergebnis ausfällt, das haben viele Leute erkannt.

In vielen Ländern, Deutschland oder Frankreich zum Beispiel, ist Nationalismus heute rechts – wie kommt es, dass der schottische links ist?

Weil es hier nicht wirklich um Nationalismus geht – es geht um ein Land, das hartnäckig links von der Regierung steht, die es bekommt, und dem das reicht. Als die Schottische Nationalpartei die Option des Referendums anbot, errang sie einen erdrutschartigen Sieg als Alternative zu Westminster. Hier geht es nicht um eine Bevölkerung, die beschließt, rassisch rein zu sein oder sich für besser hält als alle anderen – so etwas ist das Ergebnis von Unsicherheit und schwachem Selbstbewusstsein. In den letzten zwei, drei Jahrzehnten ist Schottland intellektuell und emotional viel selbstbewusster geworden. Die Geschichte der SNP ist überwiegend rechts – sie war überwiegend Tory bis in die 70er Jahre. Jetzt versucht sie, das ganze Land zu repräsentieren – ist aber in Wirklichkeit nur auf den Zug aufgesprungen.

Würden Sie sich als Nationalistin bezeichnen?

Nie, nein.

Die Labour-Partei ist gegen die Unabhängigkeit. Besteht da nicht die Gefahr, Labour so stark zu schwächen, dass Westminster noch konservativer wird?

Das ist der Grund, warum die Linke das Projekt bis vor kurzem nicht unterstützt hat. Sie sind gerade erst aufgewacht und haben begriffen, dass all die neuen Ideen und Möglichkeiten und der massive Paradigmenwechsel in Schottland ihnen helfen würde. Sie haben das Problem, dass Labour nicht mehr links ist – aber sie haben andere Möglichkeiten, die demokratischer und positiver wären. Erst in den letzten Wochen haben sie aufgehört, der Meinungsmache in den Medien zu glauben, die SNP-Chef Alex Salmond das Image des Ukip-Nationalisten Nigel Farage verpasst hat. Jetzt glauben sie, dass Westminster verändert werden kann. Die schottische Position lautet oft, dass England, wenn es eine progressive Regierung will, sich dafür einsetzen sollte. Sie müssen jetzt handeln – oder untergehen. Eine Koalition zwischen Ukip und den Tories wäre furchtbar.

Schottland will die Queen, das Pfund und die BBC behalten. Wie passt das zusammen?

Die Yes-Kampagne möchte die Unabhängigkeit von Großbritannien – aber die Queen, das Pfund und die BBC behalten. Wie geht das denn zusammen?

Ich glaube, die Idee dahinter ist, nicht zu viele Menschen vor den Kopf zu stoßen. Das Pfund ist praktisch, aber nicht essenziell. Die Queen ist bizarr in diesem Zusammenhang, aber viele haben nichts gegen sie. Es würde die Nein-Befürworter im Falle eines Ja glücklich machen.

Sie leben in London – wie würden Sie den Effekt der Diskussion auf England beschreiben?

Ein Ja wird die Dinge bis in den Kern erschüttern. Man kann das Beben schon spüren. Allein die Vorstellung, dass die Politikerkaste und die Grundbesitzerklasse nicht länger diktieren können, was die Leute denken, nicht länger die Debatten über die Medien kontrollieren, macht die Leute hysterisch.

Was würde die Unabhängigkeit für die Kulturszene bedeuten?

Die Unabhängigkeit würde aufmunternd und inspirierend wirken, was immer Anlass zu Freude ist. Ich glaube, dass der SNP klar ist, wie nützlich ein kultureller Fußabdruck in der Welt ist. Wenn sie nach Irland schauen, sehen sie, wie es sich auf allen Ebenen oberhalb seiner eigentlichen Gewichtsklasse schlägt – wegen der Kultur. Aber wer weiß das schon? Eine schottische BBC würde vielleicht viele Möglichkeiten bieten. Die anderen Institutionen sind da schon angelangt. Aber die künstlerische Tradition in Schottland war immer international, das wird sich fortsetzen.

Was machen Sie am 18. September?

Ich werde in einem Hotel außerhalb von Glasgow sein, Tagebuch führen, um dann für den "Guardian" darüber zu schreiben.

Wie lautet Ihre Wette?

Es wird knapp. Eine Außenseiterchance für einen überraschenden Umschwung zum Ja. Aber wie auch immer das Ergebnis sein wird – es wird hinterher alles anders sein.

Wenn Nein gewinnt, würde das dann trotzdem noch Einfluss auf Schottland und Großbritannien haben?

Ja, Westminster wird sich verändern. Wenn die Versprechungen, die für eine sehr weitgehende "Devolution" gemacht wurden, tatsächlich umgesetzt werden, wird das die Unabhängigkeit am Ende unausweichlich machen. Wenn die Versprechungen aber zurückgezogen werden, werden sie ein anderes Referendum unausweichlich machen. Die Sparpolitik wird England zum Krüppel machen, Schottland wird sich immer mehr zu einer wohltätigeren Umgebung entwickeln und Westminster beschämen.

Die Fragen stellte Susanne Kippenberger.

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