Festival: Es kriselt auf dem Filmfest München
Beziehungstiefs und Kapitalismusopfer: Auf dem diesjährigen Filmfest in München dominieren Nachrichten aus den Zeiten der Krise. Gründe zum Feiern gibt es trotzdem.
München hat es offenbar nötig: „Immer wieder kommt man gerne hin/zu dir des Bayernlandes Städte Königin ... Schön wie ein Märchen, mein München, bist du!“ Der Münchner Regisseur Alexander Riedel legt die Volksliedzeilen unter die Anfangsbilder seines Films „Morgen das Leben“. Aber wie sich bald herausstellt, handelt es sich nicht um Bayern-Folklore, sondern um Ironie.
In 90 Minuten skizziert Riedel den tristen Alltag dreier Münchner Existenzen. Sie sind Ende 30, einsam und eingespannt in die moderne Arbeitswelt samt Optimierungswahn und Flexibilitätsanforderungen. Auf dem Münchner Filmfest war „Morgen das Leben“ der bemerkenswerteste unter den 13 deutschen Beiträgen; beim „Förderpreis deutscher Film“ gewann er dennoch nur in den Schauspielersparten ( Ulrike Arnold und Jochen Strodthoff).Riedel hat zuvor Dokumentarfilme wie „Nachtschicht“ und „Draußen bleiben“ gedreht; auch sein Spielfilmdebüt ist dem Dokumentarischen verpflichtet. Die Geschichten der drei Figuren sind beiläufig erzählt, laufen nebeneinander her und verschränken sich am Ende nur kurz. Einmal sind Jogger zu sehen, die im Einkaufszentrum die Rolltreppen gegen die Laufrichtung nach oben hetzen: Sisyphus in der Shopping Mall.
Mit dem Regie-Hauptpreis wurde Ralf Westhoff für „Der letzte schöne Herbsttag“ ausgezeichnet. Eine Konsensentscheidung, um den Eklat des Vorjahrs vergessen zu machen. 2009 mangelte es in den Augen der Jury an preiswürdigen Nachwuchsproduktionen von Regisseuren unter 35 – weshalb in den Sparten Regie und Drehbuch keine Sieger gekürzt wurden. Jetzt ist die Altersbegrenzung aufgehoben: Als Nachwuchsförderung versteht sich der Preis damit nicht mehr.
Der 40-jährige Westhoff, der 2006 mit seiner Münchner Speed-Dating-Komödie „Shoppen“ auf sich aufmerksam machte, hat die Handlung diesmal auf zwei Figuren fokussiert, aber wieder geht es um „dieses Paar-Ding“, wie es der Protagonist einmal nennt. Und wieder besteht der Film weitgehend aus rasanten Mono- und Dialogen über das Mann-Sein, das FrauSein, das Zusammen-Sein. Oft sprechen die beiden direkt in die Kamera, wie bei einem Bewerbungsgespräch oder einem Verhör. So ähnlich kommt einem ihre Beziehung auch vor.
Seine Komik gewinnt der Film aus dem Kontrast der Geschlechter. Sie will permanent Sex, er will Berge besteigen. Sie ist eine Power-Frau, die die Wohnung neu einrichten will. Er ist ein sensibles Kerlchen, das die Welt verändern möchte. Die alte Frage: Warum tun sich Leute zusammen, die so gar nicht zusammen passen? Westhoff trimmt seine Dialoge manchmal etwas angestrengt auf Pointe, was dem Film seine Leichtigkeit raubt. Die Lacher hatte er dennoch auf seiner Seite.
Alexander Adolph – auch er ein Münchner Filmemacher – verpackt seine Botschaft in einer schicken Genre-Zellophanhülle. Nach seiner leisen Hochstapler-Komödie „So glücklich war ich noch nie“ schlägt er mit „Der letzte Angestellte“ härtere Töne an. Ein arbeitsloser Jurist (Christian Berkel) nimmt einen Job als Firmenabwickler an, und nachdem er den ersten Angestellten die schlechte Nachricht überbracht hat, beginnt seine Arbeit ihm zuzusetzen. Er entwickelt Wahnvorstellungen. Oder sind die beängstigenden Ereignisse gar keine Halluzinationen? Was ein sozialkritisch-kafkaesker Schocker mit Anleihen beim japanischen Horrorfilm hätte werden können, kommt aber über ein verspieltes Grabbeln im Genre-Baukasten nicht hinaus. Für Adolph mag die gletscherkalte Welt des Kapitalismus der Horror sein – mehr als wohligen Schauer löst sein Film jedoch nicht aus.
Überhaupt: die Arbeit. Auf dem Filmfest, das am morgigen Sonnabend zu Ende geht, hätte man leicht eine Nebenreihe „Nachrichten aus den Zeiten der Krise“ zusammenstellen können – schon die Titel sprechen für sich. Letzte Tage, letzte Menschen: Neben „Morgen das Leben“ und „Der letzte Angestellte“ ist da noch „Transit“ von Philipp Leinemann zu nennen, der mit dem Produzenten-Förderpreis ausgezeichnet wurde: eine krude Geschichte über einen Lastwagen-Fahrer und eine Prostituierte, deren Existenzplanungen ins Stottern geraten und die auf der Autobahn des Lebens mit Motorschaden liegenbleiben.
„Der Albaner“ von Johannes Naber wiederum zeichnet etwas betulich die Irrungen eines illegalen Einwanderers durch das deutsche Nepper-Schlepper-Bauernfänger-Milieu nach. Und in Sebastian Sterns „Die Hummel“ scheitern zwei einsame Provinzseelen an der ausbeuterisch-stupiden Monotonie der Geschäftswelt – um am Ende doch zusammen zu finden. Marktszenen aus Niederbayern, brav inszenierte Kapitalismuskritik.
Vielleicht birgt die grassierende Harmlosigkeit ja auch eine gute Nachricht: Wenn all diese Filme nur annähernd etwas über die Wirklichkeit aussagen, kann es uns so schlecht noch nicht gehen.
Julian Hanich
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