Loriot ist tot: Es hat mich angerührt - Eine Begegnung
Keine Nudeln. Zum Glück. Dafür gedünstetes Gemüse. Stephan-Andreas Casdorff über seine erste Begegnung mit Vicco von Bülow in Berlin und die Frage: Warum ausgerechnet Wagner?
Diese Augenbrauen. Das erste, was mir an ihm auffiel, waren diese widerborstigen, kecken, hoch aufragenden Augenbrauen. Natürlich, die hatte ich schon im Fernsehen gesehen, aber doch nicht wirklich gesehen, nicht so, dass ich sie ewig erinnern würde. So wie jetzt.
Als wir uns das erste Mal trafen, da hatte ich einen Termin gemacht, wie es sich gehört, mit seinem Büro, und wollte ihn kennen lernen. Das hatte mehrere Gründe. Mein Vater kannte ihn aus Hamburg, wo er nach dem Krieg für den NWDR, den Nordwestdeutschen Rundfunk, zu arbeiten begann. Dort begegneten sie einander und freundeten sich an. Außerdem machte Loriot die Conférènce der Aids-Gala in der Deutschen Oper Berlin, und ich fand ihn beneidenswert gescheit und gebildet. Aber mehr noch als alles andere wollte ich wissen, warum so einer wie er, eben so gebildet und gescheit, Wagner derart verehrte. Ausgerechnet Wagner. Das wollte ich mir erklären lassen.
Nun, ich war frisch gewaschen, wohl rasiert, angemessen gekleidet, mit Krawatte an einem Sonnabend, und hatte eine halbe Stunde zugestanden bekommen. Pünktlich war ich auch, weil ich gelesen und von meinen Eltern gehört hatte, dass Loriot selbst sehr wohlerzogen sei. Und dass er sehr wohl darauf achte.
Wir wollten einen Kaffee trinken. Er bat mich in seinen Lieblingsitaliener am Savignyplatz, wo er um die Ecke in dem Haus wohnte, in dem kurz auch der berühmte George Grosz zuhause war. Er nahm Platz, auf der gepolsterten Bank im Eck am Fenster, mit Blick übers Lokal, ich setzte mich gegenüber, aber erst nach ihm, was er mit erhobener Augenbraue registrierte. Ja, das gehört sich so. Knigge war auch ein Freiherr, dachte ich mir.
Wir begannen die Unterhaltung. Er ließ sich meinen Namen noch einmal sagen. Brachte mich zum reden. Hörte zu. Alles erinnere ich nicht mehr, nicht jedes Wort, aber die Blicke spüre ich bis heute, wenn ich an ihn denke. Freundlich, aber genau, gerade, ohne auszuweichen, aber nicht kompromittierend. Und fast immerzu ein leises Lächeln. Ich fand es nicht unangenehm, nicht süffisant oder arrogant, wie man ja auch meinen könnte, sondern irgendwie elegant und, natürlich, ironisch. Aber unaufdringlich. Eine Herausforderung, alles in allem, an die gute Erziehung.
Da saß ein alter Herr, und ich dachte unentwegt: nur keine Fehler machen jetzt, gerade sitzen, Hände ruhig, nicht an irgendwas rumfummeln, kein dummes Zeug reden. Und dann sagte er: "Sagen Sie, sind Sie eigentlich der Sohn von Hinny?" So wurde mein Vater, dessen Vorname Claus-Hinrich war, von meiner Mutter und Freunden genannt. Dieser Moment hat mich, ja, seltsam genug, stolz gemacht.
Loriot lud mich zum Essen ein. Er mich. Die halbe Stunde war lange vergangen. Das Essen bestellte er, natürlich, der Ältere, bitte keine Widerrede, das sei sein Restaurant, in dem er immer esse, wenn er in Berlin sei, das Gemüse müsse ich unbedingt probieren, das werde großartig gedünstet… Nudeln gab es nicht. Und ich muss sagen: gottlob. Ich hatte eine Heidenangst zu kleckern oder eine Nudel im Gesicht zu haben.
Vicco von Bülow hat mir dann über Berlin, seine Jugend, sein Gymnasium, Richard von Weizsäcker, die Bedeutung des Doms von Brandenburg an der Havel in seinem Leben erzählt. Wir tauschten uns aus über die Bedeutung der Familie von Rohr für das Land Brandenburg, über solche Sachen und noch einiges private.
Dann kam eine junge Frau, eine schöne, mit einem Autogrammwunsch. Sie war angemessen schüchtern. Denn man näherte sich ihm nicht einfach so. Herr von Bülow hatte die Gabe, ohne Selbstüberhebung huldvoll zu wirken. Oder sagen wir so: die Ehre zu erweisen. Er bot der jungen Dame einen Platz an, dann setzte er sie und sich ins rechte Licht, buchstäblich und im übertragenen Sinn. Er wollte nicht zu klein neben ihr auf der Bank wirken. Es sollte schon gut aussehen, er wollte es auch, so empfand ich es. Es hat mich angerührt.
Und Wagner? Es waren drei Akkorde, die ihn zu Wagner geführt haben, verführt haben. Es passiert oder nicht, so sagte er es. Man geht anders raus, als man rein gekommen ist. Wagner ist kein politisches Statement. Und geben Sie mir eine Stunde gemeinsamen Hörens.
Ich war begeistert, wollte ihn zum Inszenieren bewegen, noch einmal eine große Oper, und er könne doch die ganze Zeit im Fauteuil sitzen… Er war amüsiert. Ja, die Meistersinger, die seien eine komische Oper, ja, ja, ganz vielleicht könne er die inszenieren, aber er genüge sich da nicht mehr. Jetzt war er kurz vor indigniert. Und ich verstummte.
Danach hatte ich eine Verabredung mit Renate Künast. Ich bat sie am Telefon um eine Stunde Geduld, sie müsse bitte noch ein wenig warten. Sie tat es gerne, als ich ihr dann erklärte, warum. Als ich ihm sagte, warum ich, bitte sehr, unhöflicherweise telefonieren müsse, erwiderte er: Die können sie grüßen.
Wir haben uns immer wieder einmal gesehen, zum Essen, zum Besuch im Hanswurst Puppentheater. Da wurden seine Sketche aufgeführt, und anschließend drapierte er sich zu unserem Schrecken in seinem hohen Alter auf dem Boden vor die Puppenspieler für ein Foto. Ich hatte ihm und seiner Frau meine Frau vorgestellt, und unsere gerade geborene Tochter hat er auch noch gesehen. Sein Mops kläffte, sie brüllte, meine Frau zitierte: Krawehl, krawehl. Er nahm es galant. Noch heute bin ich dankbar dafür.
Stephan-Andreas Casdorff
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