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© dpa

Interview mit Sebastian Nordmann: „Es gibt keine Krise der Klassik“

Sebastian Nordmann, der neue Intendant des Berliner Konzerthauses, spricht mit dem Tagesspiegel über Mini-Festivals, Eliteförderung und Kundenbindung.

Herr Nordmann, Sie sind seit dem 1. August Intendant des Konzerthauses am Gendarmenmarkt. Dass Ihre erste Amtshandlung die Suche nach einem neuen Musikchef sein würde, damit hatten Sie sicher nicht gerechnet?



Ich bedaure, dass Lothar Zagrosek seinen Vertrag als Chefdirigent des Konzerthausorchesters nicht über den Sommer 2011 hinaus verlängern will. Andererseits bedeutet dies für mich gleich die erste große Aufgabe. Denn so kann ich mich parallel um die Neuausrichtung des Hauses wie auch des dazugehörigen Orchesters kümmern. Bei meiner Suche nach einem Nachfolger kann ich den Kandidaten vom Start weg meine Vision vorstellen und dann sehen, ob wir auf dieser Basis zusammenkommen. Denn was ich künstlerisch und strategisch plane, geht natürlich nur, wenn der Chefdirigent mitzieht. Von den knapp 300 Eigenveranstaltungen pro Saison bestreitet das Orchester immerhin fast 100.

Es ist ja verrückt im Klassik-Bereich: Wenn beim Fußball ein Trainer seinen Job hinschmeißt, ist er am nächsten Tag weg. Zagrosek aber wird seinen Vertrag voll erfüllen, also noch zwei Spielzeiten als Chef auf Abruf agieren.

Wer eine derartige Machtposition inne hat wie ein Fußballcoach, muss seinen Posten sofort räumen. Im Klassikbereich funktioniert es, weil hier eine andere Kultur im Umgang miteinander gepflegt wird. Dass ein Chef mit seinen Musikern trotz eines angekündigten Abgangs professionell weiterarbeiten kann, haben beispielsweise Claudio Abbado und die Berliner Philharmoniker bewiesen.

Wer ist denn Ihr Favorit?

Wir sind schon sehr nahe dran an einem wirklich tollen Dirigenten und wir hoffen, dass wir bald einen Namen verkünden können. Ich will aber auch betonen, dass die Zusammenarbeit mit Lothar Zagrosek sehr gut funktioniert. Ich freue mich also auf die verbleibenden zwei Jahre mit ihm.

Das Konzerthausorchester hat 13 000 Abonnenten. Wie können Sie die künftig halten?

Für das Profil eines Hauses ist nicht in erster Linie der Intendant entscheidend, sondern es sind die Künstler. Der Chefdirigent, die Orchestermusiker, sie kommunizieren unmittelbar mit dem Publikum. Und die Gäste, die man sich einlädt. Ich will nicht einfach nur durchreisende Stars engagieren, die keine bleibenden Spuren hinterlassen. Ich möchte Künstler an uns binden, die sagen: Zum Konzerthaus komme ich gerne und regelmäßig, mit denen möchte ich meine besonderen Projekte realisieren. Das hat bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern bestens funktioniert, wo beispielsweise Julia Fischer, Daniel Hope oder auch Daniel Müller-Schott Teil der Familie geworden sind. Es geht darum, junge Musiker, die kurz vor dem internationalen Durchbruch stehen, herzuholen, ihnen zu sagen: Das ist auch dein Haus. Das muss als Erstes funktionieren, bevor man überhaupt über Marketing und „customer relationship“ nachdenkt.

Worüber?

Über Kundenbindung. Ich wünsche mir, dass wir unsere Abonnenten künftig individueller betreuen können. Um im enormen Berliner Angebot bestehen zu können, müssen wir persönlicher auf sie zugehen, müssen sie fragen: Sind Sie zufrieden mit Ihren Sitzplätzen? Wie können wir Ihnen die Auswahl aus unseren Veranstaltungen erleichtern? Wir wollen wissen, was unser Publikum will. So können wir dann gezielt auf die verschiedenen Besuchergruppen zugehen.

Muss ich mir das so vorstellen wie bei Amazon im Internet? „Käufer dieses Buches haben auch jene Bücher gekauft …“

Ja, so funktioniert es ungefähr. Am Anfang steht eine spezialisierte Software, die es ermöglicht, dass der Mitarbeiter im Besucherservice das Profil des Kunden direkt im Computer sieht, wenn er anruft. So weiß ich, ob er sich mal über etwas beschwert hat, wann er welche Tickets gekauft hat und so weiter. Für diese Verbesserung unserer Kundenbetreuung haben wir schon in dieser Spielzeit Geld in die Hand genommen.

In Mecklenburg-Vorpommern waren Sie sehr erfolgreich mit der „Jungen Elite“.

Jeder Intendant schafft Vertrauen zu der Künstlergeneration seines Alters. Wir wollen doch gemeinsam was aufbauen. Für die Auftritte der „Jungen Elite“ gibt es übrigens auch ein spezielles Publikum. Darum möchte ich diese Programmschiene auch im Konzerthaus etablieren.

Anlässlich des Mauerfall-Jubiläums kooperieren Sie mit der Philharmonie bei der Konzertreihe „Vereinte Klassik“. Dennoch sind Sie harte Konkurrenten, oder?

Mein Vorbild ist Wien: Dort gibt es den Musikverein mit den Wiener Philharmonikern und das Konzerthaus mit den Wiener Symphonikern – beide Häuser sind komplett unterschiedlich aufgestellt und funktionieren darum bestens nebeneinander. Wir sehen in der Philharmonie überhaupt keine Konkurrenz, weil wir unser Haus ganz anders definieren. Warum soll ich es mit dem Branchenprimus aufnehmen? Wir finden unser eigenes Publikum, unser eigenes Profil.

Wie kann das aussehen?

Wir können uns stärker für die verschiedenen Genres öffnen als die Philharmonie. Da wäre zum Beispiel die Verbindung von Musik und Literatur – schließlich sind wir das ehemalige Schauspielhaus. Es gibt so wunderbare Theater hier, mit denen wir etwas gemeinsam entwickeln können. Ein anderes Thema ist Jazz oder auch Weltmusik, auch hier können und müssen wir mehr machen. Dann frage ich mich: Warum existiert in Berlin keine Abo-Serie für Liederabende mehr? Gibt es dafür wirklich kein Publikum?

Sehen Sie eine Krise der Klassik?

Es gibt keine Krise in der Klassik, nur einen Wandel. Wenn gefordert wird, man müsse den Altersdurchschnitt der Klassikhörer auf unter 50 Jahre drücken, ist das utopisch. Würde ich nicht im Klassik-Bereich arbeiten, ich hätte als Familienvater mit drei Kindern doch gar keine Zeit, ins Konzert zu gehen. Zwischen 30 und 50 hat man andere Dinge im Kopf, da fehlt die Ruhe. Warum haben alle Sommerfestivals so einen Riesenerfolg, während im normalen Konzertbetrieb die Zahlen nach unten gehen? Die Musik ist dieselbe, da gibt es keinen Unterschied. Es muss also etwas mit dem Format zu tun haben, dass man als Familie gemeinsam zu einem Festival rausfährt, sich eine Auszeit gönnt. Oder nehmen Sie unsere Mozart-Matineen, die sind immer ausgebucht, weil die Kinder betreut werden, während die Erwachsenen das Konzert besuchen.

Wachsen die neuen Zuhörer also automatisch nach, wenn die 50-Jährigen mit ihren Kinder aus dem Gröbsten raus sind?

Wenn wir die Leute in jungen Jahren durch die Junior-Programme mit dem Genre bekannt gemacht haben, dann bekommen wir sie als 50-Jährige wieder, davon bin ich überzeugt. Grundkenntnisse aber müssen da sein, weil es die Klassik den Hörern eben schwerer macht als die Popmusik. Bei einem Drei-Minuten- Song wird der Refrain fünf Mal wiederholt, so dass ich nach dem ersten Hören schon mitsingen kann. Die klassische Musik und ihr Vokabular sind jedoch komplexer, das muss vermittelt werden.

Sie gelten als Sponsoring-Spezialist.

Ich bin sehr glücklich, dass wir Tengelmann und Audi als Hauptsponsoren haben. Weitere Fördergelder hoffe ich durch die neue Programmstruktur einwerben zu können. Künftig möchte ich mit thematischen Inseln arbeiten, kleinen, einwöchigen Festivals, bei denen wir alle vier Säle unseres Hauses nutzen. Das kann ein Genre-Festival sein, das kann anlässlich eines Jubiläums geschehen oder ein Komponisten-Porträt umfassen. Wenn ich mich mit Gustav Mahler beschäftigen will, muss ich nicht alle seine Sinfonien anbieten, sondern ich kann auch Musik seiner Zeitgenossen präsentieren oder die Rezeptionsgeschichte. Oder wir tun uns mit einem Theater zusammen, das einen Klassiker von Shakespeare herausbringt – und wir führen Schauspielmusiken zu dem Stück aus verschiedenen Epochen auf. Man braucht nicht zwingend ein Saisonmotto, um Tiefe zu erzielen – und man gewinnt mit den Mini-Festivals an Attraktivität für ein Reise-Publikum. Auch Sponsoren lassen sich für eine Woche leichter gewinnen als für die ganze Spielzeit.


Zur Person:

Sebastian Nordmann
wurde 1971 in Kiel geboren, studierte Musikwissenschaften und Neuere Geschichte in Heidelberg sowie Berlin und promovierte über den „Einfluss des Schleswig-Holstein Musik Festivals auf die Musiklandschaft Schleswig- Holstein“. Nach zwei Jahren als Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group übernahm Nordmann 2002 die künstlerische Leitung sowie die Geschäftsführung der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. 2008 wurde er zum Professor für Kulturmanagement an der Rostocker Musikhochschule berufen.
Seit dem 1. August ist er Nachfolger von Frank Schneider als Intendant des Berliner Konzerthauses am Gendarmenmarkt. Nordmann ist verheiratet und Vater dreier Kinder.
Am heutigen Donnerstag startet das Konzerthaus mit einem Musikfest in die neue Saison.

Interview von Frederik Hanssen

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