Michael Kiwanuka live in Berlin: Erzähl mir ein Märchen
Hymnisch, himmlisch: Der Londoner Soul- und Folkmusiker Michael Kiwanuka gab ein beeindruckendes Konzert im Berliner Lido.
In der oft so durchkalkulierten Popmusik hat es schon viele schöne Erfolgsgeschichten gegeben, doch wie der britische Soulsänger Michael Kiwanuka vor fünf Jahren quasi aus dem Nichts als neuer Stern am Himmel auftauchte und 2012 auf den ersten Platz der viel beachteteten BBC-Newcomerliste landete, das war schon besonders gewaltig.
Adele nahm den aus London stammenden Sohn ugandischer Flüchtlinge mit auf Europatournee, sein Debütalbum „Home Again“ stürmte die Charts und er wurde zum Hoffnungsträger der Retro-Soul-Bewegung. Selbst in den USA verbreitete sich bald die Kunde von diesem außergewöhnlichen Sänger, dessen Musik so unverklemmt altmodisch klingt, als wolle sie der Welt verkünden, dass die sechziger Jahre noch nicht vorbei sind. Vergleiche mit Stars Bill Withers, Al Green oder Terry Callier wurden bemüht, und tatsächlich könnte man Michael Kiwanuka für ein prototypisches Beispiel der ewigen Wiederkehr des Alten halten, wäre er nicht so originell in seinen Songs, so überzeugend in der Darbietung.
Das gilt auch für sein Konzert im ausverkauften Lido, wo er mit seiner fünfköpfigen Band auf der Bühne steht, um erstmals Songs seines zweiten Albums vorzustellen, das demnächst erscheinen soll und für das er sich nach seinem Blitzstart viel Zeit genommen hat. Entsprechend groß ist die Spannung und Vorfreude beim Publikum. Was macht der Mann also nach seiner tollen Vorgeschichte beim schwierigen zweiten Album? Er hält dem Druck stand und setzt sich erst mal mit einem irren Gitarrensolo in Szene, das an den Klassiker „Maggot Brain“ des Funkadelic-Gitarristen Eddie Hazel erinnert.
Sanfter Bartion und großartiges Gitarrenspiel
Danach ist es sein schwerer, sanfter Bariton-Gesang, der einen packt, dieses Vibrato der Liebe, das durch den brodelnden Backbeat schimmert. Man muss einfach hören, wie Kiwanuka seine Stimme dehnt und streckt, so in sich geht, dass aus jedem Song eine persönliche Botschaft wird. Kaum setzen die Vocals ein, glaubt man, mitten in einer verschollenen Richie-Havens-Aufnahme gelandet zu sein: „I’m a black man in a white world“, singt er mantraartig in einer fiebrigen Uptempo-Nummer zum Mitsingen und Mitklatschen.
Dazu spielt der 28-Jährige großartig Gitarre, lässig gedämpfte Licks oder psychedelisch funkelnde Soli, denen man anhört, das er sich auch mal für krachigen Garagenrock begeistert hat, bevor er die Soulmusik der Sechziger für sich entdeckte. Der Sound ist knackig und ausgewogen. Die exzellente Band baut mit Orgel, Gitarre, Bass, Schlagzeug und Perkussion eine sprühende Groove-Kulisse. Sie spielen Jazz und Funk, zeitlosen Blues und dampfenden Gospel-Soul, seelenvoll gezupfte Folkballaden, sanft und zärtlich, dann wieder kraftvoll und treibend, stürmisch, hymnisch, himmlisch, mit ehrlichen, positiven, Summer-of-Love-mäßigen Gute-Laune-Vibes.
Michael Kiwanukas neue Songs klingen vielversprechend
Es schimmert Jimi Hendrix durch und Van Morrison. Man kann einfach nicht anders als hin und weg sein von diesem überschäumenden, großen, schnörkeligen Crooning und Kitsch. Freilich werden die alten, bekannten Songs wie „Tell Me A Tale“ oder „I’m Getting Ready“, die Kiwanuka pflichtbewusst ins Set streut, am meisten bejubelt, doch wenn sie im Studio keinen Mist gebaut haben, kann man davon ausgehen, dass auch das neue Album ein voller Erfolg wird und das Gänsehaut-Feeling des Vorgängers vielleicht sogar noch überbietet. Das Publikum ist jedenfalls restlos begeistert und bedankt sich nach 80 berauschenden Minuten mit heftigem Getrampel, das sogar die riesige Discokugel an der Decke zum Zittern bringt.
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