Konzerthaus: Erstes Haus am Platz
Das Konzerthaus steht im Schatten der Philharmonie. Dabei macht Klassik dort ebenso viel Freude. Zehn starke Gründe, öfter auch mal den Gendarmenmarkt zu besuchen
1. DAS HAUS
Gibt es einen schöneren Platz in Berlin als den Gendarmenmarkt? Ist ein festlicherer Auftakt für einen klassischen Konzertabend denkbar, als die prachtvolle Freitreppe des Konzerthauses hinaufzuschreiten? In der Pause dann steht man mit einem Glas in der Hand zwischen den Säulen der hohen Vorhalle und lässt den Blick über das nächtliche Berlin schweifen – herrlich!
Jahrzehntelang war Karl Friedrich Schinkels Musentempel eine Kriegsruine, erst zur 750-Jahr-Feier Berlins wurde er äußerlich originalgetreu rekonstruiert. Fürs Innenleben allerdings erfand man damals anstelle des ursprünglichen, hufeisenförmigen Theatersaals einen rechteckigen Konzertsaal – weil im Ostteil der Stadt bereits genug Sprachbühnen vorhanden waren, aber ein repräsentativer Ort für große Orchesterkonzerte fehlte. Eine richtige Entscheidung.
2. DIE LAGE
Klassik macht durstig. Jeder, der schon mal nach dem Besuch der Philharmonie mit Freunden noch irgendwo auf einen Wein einkehren wollte, weiß, wie frustrierend das gastronomische Angebot rund ums Kulturforum ist. Ganz anders am Gendarmenmarkt: Dort findet sich nun wirklich für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel in fußläufiger Entfernung die richtige Location, in der auch nach 22 Uhr noch Betrieb herrscht. Eindeutig ein Standortvorteil für den Schinkel-Bau!
3. DER GROSSE SAAL
Als „herrliche Arbeit von Gianni Versace“ hat Moderator Thomas Gottschalk bei einer „Echo Klassik“-Fernsehaufzeichnung einmal liebevoll-ironisch die Kassettendecke des Konzerthaussaals gepriesen. In der Tat ist die Goldfarbe der Stuckverzierungen etwas zu knallig geraten, die Gemälde im altgriechischen Stil in den Gevierten etwas zu bunt. Andererseits: Verzehren sich jene Besucher, die ihren Klassikabend gerne besonders festlich haben wollen, nicht gerade nach so einem „historischen“ Ambiente? Mag die von Kristalllüstern im Empirestil angestrahlte Pracht im Gegensatz zum Goldenen Saal des Wiener Musikvereins auch nur nachempfundener Talmiglanz sein – egal: Wer hier die Blicke schweifen lässt, findet unendlich viel zu entdecken, von den kunstvoll verzierten Messingmedaillons im Intarsienparkett bis hin zu den niedlichen Delfinen, die sich in den Logen des 1. Rangs an der Basis der schlanken Säulen tummeln.
4. DIE AKUSTIK
Viel hat man in den vergangenen Jahren getan, um die Hörbedingungen für die Besucher des großen Saals zu verbessern: So wurden beispielsweise die Vorhänge zwischen den Säulen der Stirnseite durch akustisch vorteilhaftere Stoffe ersetzt, die Füllungen der Rangbrüstung nach den Berechnungen der Fachleute optimiert. Den größten positiven Effekt aber brachten die transparenten Plexiglassegel, die rechts und links des Orchesterpodiums angebracht wurden. Nahezu unsichtbar, helfen sie, die Schallwellen so zu reflektieren, dass der Klang der Instrumente gleichmäßig in den ganzen hohen Raum abgestrahlt wird. Durch die neue Sitzordnung, die Chefdirigent Ivan Fischer und das Konzerthausorchester zu Beginn dieser Saison experimentell ertüftelt haben, kann sich der große Saal jetzt wirklich hören lassen.
5. DER WERNER-OTTO-SAAL
Davon träumen alle großen Kulturinstitutionen: Einen Ort für Experimente zu haben, einen variablen Raum, der sich selbst den ungewöhnlichsten Aufführungsformen anzupassen vermag. Weil der Boden aus Podien besteht, die sich je nach den Bedürfnissen der Künstler heben und senken lassen. Der im Dezember 2011 verstorbene Unternehmer Werner Otto hat dem Konzerthaus so einen multifunktionalen Saal spendiert, die elegante Ausstattung der black box stammt vom Architekten Peter Kulka. Als nächste Projekte stehen dort ein Improvisationsabend der Studenten des Jazzinstituts Berlin an (31. Januar), es gibt die Puppen-Oper „Das Märchen vom Popen und seinem Knecht Balda“ mit Musik von Dmitri Schostakowitsch (Premiere: 16. Februar) sowie einen Abend in der Neue-Musik-Reihe „2x hören“, bei dem Arno Lücker die Préludes von Vsevolod Zaderatsky erläutert, doppelt gespielt von Jascha Nemtsov (20. Februar).
6. DER MUSIKCLUB
Dies ist ein ganz besonderer Platz, gewissermaßen das chambre séparée des Konzerthauses: Die Wände sind pompejirot gestrichen, das Licht ist gedämpft, die Besucher sitzen an kleinen Bistrotischen mit Steinplatten, im Hintergrund gibt es eine Bar. Ein ganz klein wenig ist hier sogar noch die alte Atmosphäre aus DDR- Zeiten zu spüren. Im Musikclub finden die intimsten Veranstaltungen des Hauses statt: Zum Beispiel die verdiente Gesprächskonzert-Reihe der „musica reanimata“, bei der von den Nationalsozialisten verfemte Künstler wieder entdeckt werden (nächster Termin am 24.1. zu Paul Dessau). Auch für Künstlergespräche oder die Vorführung von Musikfilmen bildet der Club den idealen Rahmen. Außerdem gehen viele der Konzerthaus-Produktionen für Kinder und Jugendliche über die Mini-Bühne.
7. DAS ORCHESTER
Kein Berliner Orchester hat mehr Stammgäste: Rund 12 000 Menschen zeichnen in jeder Saison ein Abonnement – und sprechen so dem Konzerthausorchester ihr Vertrauen aus, oft schon seit Jahrzehnten. Jede Menge junge Gesichter dagegen sieht man, wenn das Konzerthausorchester die Bühne betritt. Ebenso wie bei den anderen Klassikformationen der Hauptstadt hat auch am Gendarmenmarkt in den letzten Jahren ein Generationswechsel stattgefunden. Zusätzlich wurde allerdings auch der Name ausgetauscht: Seit 2006 heißt das 1952 als Berliner Sinfonie Orchester gegründete Ensemble wie das Haus, in dem es auftritt. Stilistisch war das Orchester schon immer sehr flexibel, bei der Programmauswahl oft sogar mutig. Der neue Chefdirigent Ivan Fischer will nun vor allem an der Klangkultur arbeiten.
8. DAS PROGRAMM
Den beliebten Lunchkonzerten der Philharmoniker hat man am Gendarmenmarkt die Espressokonzerte entgegengesetzt: Mittwochs um 14 Uhr wird starker Kaffee gereicht, bevor eine Dreiviertelstunde Kammermusik erklingt. Zu fast jeder Tages- und Nachtzeit wird im Konzerthaus musiziert: Da sind die sonntäglichen Mozart-Matineen, da gibt es sonnabends musikalische Salons im Beethoven-Foyer sowie nachmittägliche Orgelstunden im großen Saal, da werden Sinfoniekonzerte nicht nur zum traditionellem 20-Uhr-Beginn angeboten, sondern auch um 16 Uhr. Und schließlich lädt Bassbariton Thomas Quasthoff noch regelmäßig um 21.30 Uhr Künstlerfreude zum „Nachtgespräch“.
9. DIE DIRIGENTEN
Lange hat das Konzerthausorchester um Ivan Fischer geworben – im Herbst nun endlich konnte der ungarische Dirigent (und Gründer des berühmten Budapest Festival Orchestra) die Nachfolge von Lothar Zagrosek am Gendarmenmarkt antreten. Fischer ist ein Feingeist, ein Interpret, der die leisen Töne schätzt und viel Probenzeit für die Detailarbeit verwendet. Mit Dvorak hat er sein Eröffnungskonzert gekrönt, im November einen Beethoven-Marathon angeführt. Weitere Konzerte widmet Fischer in dieser Saison Rachmaninow, Mendelssohn, Brahms, Mozart und Wagner.
Ihm zur Seite steht als erster Gastdirigent mit dem russischen Maestro Dmitri Kitajenko ein Künstler, der das Konzerthausorchester so richtig unter Strom setzen kann, der das glutvolle, farbsatte Musizieren liebt. Schon mal vormerken: Kitajenkos russischen Abend mit Werken von Mussorgski, Rimski-Korsakow und Dmitri Schostakowitsch Mitte Februar!
10. DIE PUBLIKUMSNÄHE
Weil Konzerthaus-Intendant Sebastian Nordmann auch Professor für Musikmanagement an der Rostocker Musikhochschule ist, geht er in der Kommunikation mit dem Publikum neue Wege. Natürlich gibt es auch im Konzerthaus unterschiedlichste Abo-Angebote. Weil sich aber vor allem jüngere Menschen immer seltener im Voraus binden wollen, hat Nordmann die Konzerthaus-Card erfunden: Wenn Gelegenheitsbesucher über diese kostenlose Karte ihre Tickets buchen, so hofft er, kann er mit der Zeit auch deren Wünsche und Vorlieben kennenlernen.
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