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Die Berliner Schriftstellerin Judith Hermann, 44
© Andreas Labes/S. Fischer

Judith Hermann, ihr neues Buch und die "FAZ": Erst schmusen, dann zersägen

Wer nicht schreiben kann, muss fühlen: Über den Umgang der "FAZ" mit dem "Star der deutschen Literatur", Judith Hermann, und ihrem Roman "Aller Liebe Anfang".

Marcel Reich-Ranicki hätte an dieser Rezension seine Freude gehabt, erst recht an ihren ersten Sätzen. „Judith Hermann hat zwei Probleme:“, hob vergangene Woche Edo Reents in seiner „FAZ“-Besprechung des Hermann-Romans „Aller Liebe Anfang“ an, „Sie kann nicht schreiben, und sie hat nichts zu sagen“. Bummbumm, das sitzt, und eigentlich braucht auch der Kritiker in Folge nichts mehr zu schreiben und zu sagen und der Leser nicht mehr weiterzulesen: Dieses Buch kann nur schlecht sein, und die Autorin gleich mit.

Nur ist das zum einen mit dem Schreibenkönnen und dem Nichtszusagenhaben dann auch wieder so eine Sache: Wieviele Autoren und Autorinnen, ob in der Literatur oder im Journalismus, können nicht schreiben, haben nichts zu sagen und tun genau das? So stark macht es da schon nicht mehr Bummbumm. Und zum anderen führt Reents natürlich die Beweise für seine Demontage nachfolgend ins Rezensionsfeld, ohne dabei so überzeugend zu sein wie zu seinem apodiktischen Beginn. Er stört sich an Sätzen wie „Am Abend schließt sie die Haustür von innen ab“ oder „In Stellas Kopf taucht das Wort Drohung auf wie eine Warnung“; er weist Hermann nach, dass die Tage ab dem 21. Dezember länger werden und der Frost hierzulande erst von da an am stärksten wird (bei Hermann verbringt jemand den Winter meist im Süden und kommt immer dann zurück, „wenn die Tage wieder länger werden“). Und er rügt, dass bei Judith Hermann „der Tag draußen immer noch hell ist“: „Ein ’es’ hätte genügt“, so Reents.

Viel Kleinklein im Mittelfeld, würde der Fußballreporter dazu sagen. Hier eine Erbse, dort eine Korinthe, so lässt sich bei vielen Schreibenden nachweisen, dass sie nicht schreiben können. In der Summe könnte womöglich bei Hermann eine Spur zuviel Gedankenlosigkeit mit im Literaturspiel gewesen sein. Nach diesem „FAZ“-Verriss hat sich nun auch eine kleine Judith-Hermann-Debatte entwickelt. Von einer „Kritik, die keine Maßstäbe mehr“ kenne, war in „Cicero“ die Rede, und Iris Radisch rüffelte in der „Zeit“ die „angestaubten literaturpolizeilichen Dienstregeln“ von Reents oder auch des „Spiegel“-Kritikers. So weit, so böse, könnte man auch sagen – hat halt ein Literaturkritiker die Säge rausgeholt und einmal keine „lauwarme“ Rezension geschrieben, wie sie ja nicht zuletzt die Verlage selbst so oft beklagen. Sie wollen lieber Hymnen oder Vernichtungen (sind bei letzteren aber nie „amused“).

Doch perfide wird die „FAZ“-Rezension dadurch, dass einen Monat zuvor ein riesiges Interview mit Judith Hermann im Feuilleton derselben Zeitung zu lesen war, knapp zwei Wochen vor der eigentlichen offiziellen Veröffentlichung ihres Buches. Sowas ist inzwischen Usus bei wichtigen Buchtiteln:Wer zuerst kommt, mit Interviews, Porträts oder Rezensionen, den belohnt womöglich der Leser, warum auch immer. Die „FAZ“ war im Fall von Hermann also die Allererste, da hatte sie den „Star der deutschen Literatur“, wie es in der Anmoderation hieß, im Interview. Und die erste Frage lautete: „’Aller Liebe Anfang’ ist ein sehr heftiges Buch, die Lektüre nimmt einen mit. Wie war das Schreiben?“ Klar, weitere kritische oder jubilierende Einschätzungen blieben in Folge des Gesprächs aus, dieses orientierte sich vor allem am Romaninhalt.

Aber vier Wochen später den „Star der deutschen Literatur“ vom Sockel zu holen und sich eben auch über Hermanns Position hierzulande zu mokieren und zu hinterfragen, wie Reents es tut, das zeugt, bei allem wünschenswerten Meinungspluralismus, von einer ekligen Doppelmoral: Kann nicht schreiben die Frau, aber als Covergirl brauchen wir sie doch!

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