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Imre Kertész in Berlin, 2005.
© Mike Wolff
Update

Zum Tod von Imre Kertész: Er gab den Opfern der Schoah eine Stimme

Der Literaturnobelpreisträger Imre Kertész starb 86-jährig in Budapest. Sein Hauptwerk, "Roman eines Schicksallosen", basiert auf seinen Erlebnissen in Auschwitz. Kertész lebte lange in Berlin, viele Politiker würdigten ihn nun, darunter Kulturstaatsministern Grütters, Norbert Lammert und Michael Müller.

Zum Tod des Literaturnobelpreisträgers Imre Kertész würdigten zahlreiche Politiker die Verdienste des großen Schriftstellers, eines der bedeutendsten unserer Zeit. Wie der Rowohlt-Verlag bestätigte, starb der ungarische Schriftsteller in der Nacht zu Donnerstag nach langer schwerer Krankheit in Budapest. Kertész wurde 86 Jahre alt, er hatte vor Beginn seiner Parkinson-Erkrankung viele Jahre überwiegend in Berlin gelebt und kehrte 2012 nach Budapest zurück. Kulturstaatsministerin Monika Grütters würdigte Kertész als Charismatiker, stillen Mahner und einen der wirkmächtigsten Essayisten der Literatur: "Mit seinen Büchern über den Holocaust hielt er für einen Moment die Geschichte an"; seine Bücher wie "Der Roman eines Schicksallosen" würden auch für kommende Generationen "eindringliche Geschichtsbücher bleiben". Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller würdigte Kertész als herausragende Persönlichkeit, mit ihm gehe einer der bedeutendsten Autoren unserer Zeit verloren. „Mit seiner Entscheidung, als Überlebender des nationalsozialistischen Holocaust in unserer Stadt zu leben und zu arbeiten, hat er ein starkes Zeichen für Versöhnung und Dialog gesetzt“, sagte Müller. Kertész überließ sein Archiv der Berliner Akademie der Künste, "eine große Geste", so Grütters, für Deutschland Kertész zu größtem Dank verpflichtet sei.

„Die Welt verliert mit dem Tod von Imre Kertész einen herausragenden Schriftsteller“, erklärte Bundestagspräsident Norbert Lammert. Er habe den Opfern der Schoah eine Stimme gegeben. Mit ihm gehe eine außergewöhnliche Persönlichkeit verloren, "deren Zuwendung zum demokratischen Deutschland nach den schrecklichen persönlichen Erfahrungen in der Zeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft ein bewundernswertes Zeichen menschlicher Größe gewesen ist", so Lammert.

Der am 9. November 1929 als einziges Kind jüdischer Eltern geborene Autor war 2002 für sein Gesamtwerk mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet worden. Sein berühmtestes, 1975 in Ungarn veröffentlichtes Werk "Roman eines Schicksallosen" basiert auf seinen Erlebnissen als 14-Jähriger in Auschwitz und im Konzentrationslager Buchenwald. Der zunächst als Journalist tätige Schriftsteller hatte über 20 Jahre an seinem opus magnum gearbeitet und sich in dieser Zeit mit Übersetzungen seinen Lebensunterhalt finanziert. Es sollte aber noch Jahre dauern, bis er international von sich reden machte. Auf Deutsch erschien das Buch 1996.

2005 wurde es von dem Ungarn Lajos Koltai verfilmt, nach einem von Kertész verfassten Drehbuch. Seine internationale Premiere feierte "Fateless - Roman eines Schicksallosen" auf der Berlinale.

Zu Kertész' weiteren bedeutenden Werken zählen "Kaddisch für ein nicht geborenes Kind" und das "Galeerentagebuch", 1992 und 1993 bei Rowohlt erschienen, sowie Fiasko (1999) und "Liquidation" (2003).

Die Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis nannte Kertész eine "Glückskatastrophe", über die er "sich freute", die ihn gleichzeitig aber "ersticken ließ an der falschen Ehrfurcht, der Liebe, dem Hass und der ihm nun zugedachten öffentlichen Rolle". So schrieb er in "Letzte Einkehr", seinen 2013 publizierten Tagebuchaufzeichnungen 2001 bis 2009. Berlin ehrte den Schriftsteller 2006 mit der Ernst-Reuter-Plakette, einer der höchsten Auszeichnungen der Stadt. 2008 wurde er im Jüdischen Museum Berlin mit dem Preis für Verständigung und Toleranz ausgezeichnet.

Christoph Heubner, der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, schrieb zu seinem Tod, dass Kertész Erinnerungen ohne Pathos beschreiben, "aber mit grenzenlosem Schmerz und völliger Klarheit, wozu der Mensch in Auschwitz fähig war und wozu er fähig bleibt". In Ungarn kondolierten unter anderem der Budapester Oberbürgermeister Istvan Tarlos, der von einem „unersetzbaren Verlust für die ungarische Kultur“ sprach. Kertész war seit 2002 Ehrenbürger der ungarischen Hauptstadt. Ihr Beileid brachten auch die ungarische Regierung zum Ausdruck, ebenso der aus Ungarn stammende EU-Kommissar für Erziehung und Kultur, Tibor Navracsics, der Verband der jüdischen Gemeinden in Ungarn (Mazsihisz) sowie Vertreter der Oppositionsparteien.
Der Abschlussband von Imre Kertész Tagebuch-Aufzeichnungen ist erst vor wenigen Wochen in Ungarn erschienen, die deutsche Übersetzung wird im Herbst bei Rowohl herauskommen. Tsp (mit dpa und KNA)

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