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Kopieren als Kunst: Elaine Sturtevants "Johns Flag" von 1991.
© Estate Sturtevant, Paris, Courtesy Galerie Thaddeus Ropac, Paris/Salzburg

Hamburger Bahnhof Berlin: Elaine Sturtevant: Denken im Doppel

Autonomes Duplizieren: Die amerikanische Künstlerin Elaine Sturtevan kopierte Roy Lichtenstein, Jasper Johns und Andy Warhol. Der Hamburger Bahnhof zeigt nun ihre Zeichnungen.

Kopieren ist in ihrem Fall eine hohe Kunst. Auch wenn es bei Sturtevant nach Spiel aussieht: Filzhut auf und Weste an, schon sieht die schlanke Mittfünfzigerin wie Joseph Beuys aus. Eine Fotografie von 1988 erzählt von der Wandlungsfähigkeit der amerikanischen Künstlerin, die 2014 in Paris starb. Der Hamburger Bahnhof ehrt nun Sturtevant – die ihren Vornamen Elaine nach Möglichkeit unterschlug – mit einer großartigen Ausstellung, in der einmal nicht ihre die Originale von Roy Lichtenstein, Jasper Johns oder Andy Warhol wiederholenden Arbeiten hängen. Gezeigt werden stattdessen jene Zeichnungen, die den scheinbar leichthändig abgekupferten Bildern vorausgingen. Ganz schön viel Material für eine Künstlerin, der man mangelnde Kreativität vorwarf.

Die umfangreiche Schau „Drawing Double Reversal“ mit über 100 Blättern speist sich aus Beständen der Wiener Albertina, dem Frankfurter Museum für Moderne Kunst, privaten Sammlungen und dem Nachlass, den die Salzburger Galerie Ropac betreut. Hier fand Sturtevant schon einen Fürsprecher, als man sich mit ihrer radikalen Strategie im Kunstbetrieb noch schwer tat. Denn was nützt ein Original von Jasper Johns, wenn eine x-beliebige Künstlerin dessen Methode frech übernimmt? Und wer kauft schon ein Johns-Bild, wenn in New York drei Galerien weiter das gleiche Modell hängt?

Die Künstlerin beschäftigt sich nur mit späteren Stars - oft zu Zeiten, in denen andere mit deren Werken haderten

Genau dies war 1965 Thema der ersten Ausstellung von Sturtevant in der Bianchini Gallery. Die 35-Jährige war auf dem Markt, den ihre männlichen Kollegen dominierten, nahezu unsichtbar. Als Folge schuf die Künstlerin Ähnliches – und verstand das Ergebnis als dupliziertes Original. Kritiker ihrer Methode, der Appropriation Art, konfrontierte sie mit einer bestechenden Logik: Kunst sei Realität, aus der jeder schöpfen dürfe. Wer das anders sehe, leugne die Wirklichkeit dessen, was Warhol, Lichtenstein oder Claes Oldenburg zuvor geschaffen hätten. So etwas mag sich niemand sagen lassen.

Die Künstler selbst trugen Sturtevants Gleichgängertum mit Fassung. Einzig Oldenburg soll sich beklagt haben: Seine Hamburger, weiche Kopien nach echtem Essen, markieren den Beginn des emsigen Nachahmungswerks. Die Ausstellung startet mit Sturtevants ersten, tastenden Bleistiftzeichnungen der Burger. Entstanden sind sie Mitte der sechziger Jahre. Mit jedem Blatt werden es mehr. Bald gesellen sich die charakteristisch gerundeten Zahlen von Jasper Johns hinzu.

Anverwandlungen einer Künstlerin. In den sechziger Jahren begann Elaine Sturtevant, die Werke ihrer damals sehr viel bekannteren männlichen Kollegen zu dublizieren und erlangte damit selbst Berühmtheit. Die Zeichnung „Study for Lichtenstein Girl with Ball“ von 1988 gehört zu Vorarbeiten für eine Kopie des Pop-Art-Künstlers.
Anverwandlungen einer Künstlerin. In den sechziger Jahren begann Elaine Sturtevant, die Werke ihrer damals sehr viel bekannteren männlichen Kollegen zu dublizieren und erlangte damit selbst Berühmtheit. Die Zeichnung „Study for Lichtenstein Girl with Ball“ von 1988 gehört zu Vorarbeiten für eine Kopie des Pop-Art-Künstlers.
© Axel Schneider

Solche „Composite Drawings“ ziehen sich durch das ganze Werk. Warhols „Flowers“ treffen auf Jasper Johns Flaggen. Verbindend wirkt das nicht. Eher strapaziert Sturtevant das Prinzip der Pop Art, die harte Konfrontation von unpassenden Objekten, für ihre eigenen Zwecke. Als Künstlerin provoziert sie den „Schock“, auf ein vertrautes Bild zu stoßen, „dem sein Inhalt abgesprochen“ wird. Als Folge stellen sich bis heute Ablehnung und Verstörung ein. „Sie führen zu einem Gleichgewichtsverlust, der das Denken immer vorantreibt“, so die Künstlerin.

Diesem Konzept folgt Sturtevant unbeirrt durch die Jahrzehnte. Dafür schlüpft sie nicht bloß in Hut und Weste à la Beuys, sondern wiederholt selbst dessen Performances. Auch dieses halbstündige Werk ist in der Ausstellung zu sehen, die nach Wien und Frankfurt hier ihre letzte Station hat. Das filmische Dokument von 1969 verblüfft umso mehr, weil es klarmacht, wie genau die Künstlerin das Potenzial ihrer Kollegen erkennt. Sie hat sich nur mit späteren Stars beschäftigt. Oft zu Zeiten, in denen andere mit deren Werken haderten.

Dieses Einsehen, Analysieren, Durcharbeiten und autonome Duplizieren spricht aus jedem Blatt. Hinzu gesellt sich eine Serie mit liebevoll gezeichneten Geschichten von „Krazy Kat“, einer populären Comic-Figur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wie in den vorbereitenden Zeichnungen für ihre Reprodukte machen sie Werk und Denken der Künstlerin lebendig. Fast noch mehr als die endgültigen Arbeiten, die inzwischen selbst in die Museen eingezogen sind.

Nachgemalt. Elaine Sturtevants "Working Drawing Warhol Flowers Lichtenstein Pointed Finger" von 1966.
Nachgemalt. Elaine Sturtevants "Working Drawing Warhol Flowers Lichtenstein Pointed Finger" von 1966.
© Collection Paul Maenz, Berlin

Udo Kittelmann hat das Werk in seiner Zeit als Frankfurter Direktor schon einmal inszeniert, damals wie heute zusammen mit dem Kurator Mario Kramer. 2004 räumte er für Sturtevant das ganze Museum leer und leistete einen wichtigen Schritt zur Rezeption. Auf das Bekannte zu bauen, wirkt nun allerdings vermessen. Es ist das einzige Manko der Ausstellung: nicht ein einziges Bild oder Objekt in greifbarer Nähe zu zeigen, das auch dem Unkundigen eine Idee vom Original nach dem Original gibt.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50/51, bis 23.8., Di/Mi/Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Sa / So 11 – 18 Uhr

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