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Der Gitarrist Angus Young der australischen Rockband AC/DC steht am 25.06.2015 in Berlin im Olympiastadion auf der Bühne.
© dpa

AC/DC im Olympiastadion in Berlin: Einfach, gut

Ein letztes Mal jaulen die leeren Saiten der Gitarre zum Ende des Abends. Es könnte ein Abschied sein. AC/DC ackern sich vor ausverkaufter Kulisse durch ihr Hit-Programm.

Berlin werden Hörner aufgesetzt. Rot blinken die Plastikhörner in der anbrechenden Nacht im weiten und mit Menschen gefluteten Olympiastadion. Weil ja die Menschenmasse an einem solchen Ort ihre eigene Attraktion ist, gibt es an diesem lauen Sommerabend viele mit einem Sinn fürs Ornament, die rot blinkende Verzierung. Man konnte allerdings auch einfach nur zwei Finger in die Luft strecken, wie es Brauch ist, wenn AC/DC auf der Bühne stehen und das alte Lied vom Teufel und seinem Höllenreich anstimmen, in dem es bestimmt interessanter als im Himmel ist. Lauter auf jeden Fall.

"We be a guitar band", krächzt Brian Johnson in die ersten plärrenden Akkorde von "Rock or Bust" hinein und verspricht, dass die "Sicherungen durchbrennen" werden, dass ihr Sound "mager und gemein klingen" werde und dass sie alles, was einen bedrücken könnte, abschütteln würden. Mehr als das haben AC/DC nie gewollt. Dennoch haben sie vierzig Jahre gebraucht, um sich als Band in einem Song zu besingen. "Highway to Hell" zählt nicht. Das ist, obwohl es darin auch um sie geht, ein philosophisches Traktat. "Rock or Bust" ist die Art Song, die man schreibt, wenn man nach einem neuen Auftakt sucht, nach etwas, das man an den Anfang stellen kann, um den vielen Erzählungen, die es bereits über einen gibt, einen Blick auf das eigene Treiben entgegenzuhalten.

Die Kunst des Weglassens

Dieser Song war offenkundig nötig geworden. Denn einigermaßen geschröpft ist AC/DC auf diese Tour gegangen. Drummer Phil Rudd sitzt im Knast und "der Boss" Malcolm Young in einem Pflegeheim. Es könnte also ein endgültiger Abschied sein, als Angus Young nach zwei Stunden und zwanzig Songs ein letztes Mal erschöpft und leer die Saiten seiner Gitarre zu einem Jaulen hochzieht, einem finalen Seufzer. Und in den Himmel regnet es glühende Feuerwerksperlen.

Aber bloß jetzt nicht sentimental werden. Denn es stimmt ja, dass die Band, die viele für die größte des Planeten halten, immer noch "mager und gemein" klingt. Sie erschlägt einen mit ihrer rohen Reduktion auf das Wesentliche: Riff und Takt. Als bekannt wurde, dass Malcolm Young die Band wegen seiner Demenz verlassen musste, feierten ihn viele als den Urheber des Rock'n'Roll-Minimalismus. Hatte er die Band 1973 nicht nur gegründet, sondern sie über Jahre als ihr Kraftzentrum mit seinen trockenen Riffs geprägt. Es hatte sich durchgesetzt, das, was früher einfach nur dumm und grob geklungen hatte, nun als hohe Kunst des Weglassens zu betrachten. Die Band sei tot, hieß es. Diesen Verlust könne sie nicht verkraften.

Obwohl der Sound mit Malcolms Abgang fettiger geworden ist, würgt auch sein Neffe, der ihn ersetzt, verlässlich seine Riffs aus dem Instrument. Wobei Neffe ein obschon korrekter doch irreführender Begriff ist. Denn Stevie Young, Sohn des ältesten der vielen Young-Geschwister, ist mit seinen 58 Jahren nur ein Jahr jünger als Angus. Ein Generationswechsel ist das nicht.

Der Abend der großen Schweiger

Alles soll beim Alten bleiben. Der "Neue" steht mit seiner Gitarre genau an der Stelle, von der aus Malcolm das stoische Getöse der Band kontrollierte. Eben seitlich vom Schlagzeug. Beinahe unsichtbar. Wohin sich immer wieder auch der andere "Neue", nämlich Sänger Brian Johnson, verdrückt, der 1980 für den im Suff gestorbenen Bon Scott einsprang und seither der fröhliche Tunichtgut des Familienunternehmens ist. Einer, der sich am meisten selbst darüber amüsiert, dass er da oben steht, breitbeinig, breitschultrig, die Schiebermütze über die Stirn gezogen wie ein Dockarbeiter, aber kaum noch gelenkig genug, sich aus der Hocke zu erheben. Er hält sich an den Befehl seines alten Chefs Malcolm, zu singen und ansonsten die Klappe zu halten. Ansagen oder irgendeine Form zivilisierter Kommunikation mit dem Publikum gibt es deshalb nicht.

Denn nun gehört die Show erst recht dem großen Schweiger Angus. Was er zu sagen hat, erzählt er mit der Gitarre. Es sind seit eh und je dieselben Geschichten. Nur dass sie nun viel weniger flüssig rüberkommen. Seine hagere, bald um die Schuluniform erleichterte Gestalt zuckt konvulsivisch wie unter Stromschlägen. Die rechte Hand kommt nicht mehr hinterher, wenn die linke auf dem Griffbrett nach den Tönen tastet. Er müht sich und glüht. Aber der Zauber der Vereinfachung ist verflogen in der Anstrengung, die es ihn kostet.

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