First Steps Awards: Eine neue Generation Kino
Die First Steps Awards für Abschlussfilme an deutschen Hochschulen werden am Montag in Berlin verliehen. Die Nominierten und ihre Chancen.
„Wenn das ein Film wäre, würden wir jetzt alle verlieren, die sich mit der Hauptfigur identifizieren wollen.“ Susanne Heinrich setzt gleich zu Beginn ihres essayistischen Spielfilm „Das melancholische Mädchen“ ein selbstironisches Ausrufezeichen. Sie durchbricht die vierte Wand zum Zuschauer, dieser Verfremdungseffekt zieht sich durch alle fünfzehn Vignetten ihres Films. Ihre Protagonisten spricht wie aufgesagt, der Blick ist meist direkt in die Kamera gerichtet. Heinrich seziert Weiblichkeit, wie man es in Zeitschriften und Ratgebern findet.
Ihr titelgebendes melancholisches Mädchen (Marie Rathscheck) durchläuft als Wiedergängerin von Ula Stöckls „Kübelkind“ (1971) außergewöhnliche Situationen, vom Model-Casting übers Babyturnen bis zum post-koitalen Spaghettiessen. Der Film überzeichnet weibliche Rollenbilder im Licht feministischer Diskurstheorie. Ihr Ansatz ist jedoch alles andere als trocken, sondern lustvoll, manchmal bewusst pamphletartig, aber auch immer wieder zornig. Heinrichs Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) ist in der Kategorie „Langer Spielfilm“ bei den First Steps Awards nominiert, die am Montag im Theater des Westens zum 20. Mal vergeben werden.
Heinrichs Film, der im Juli bereits im Kino lief, ist ein schönes Beispiel für eine neue Regie-Generation von den Hochschulen, die die Lust am Erzählen wiederentdeckt hat. Die sechs für den „First Steps Award“ nominierten Spielfilme spielen mit erzählerischen Konventionen, suchen nach einer neuen Filmsprache. Dabei hat es der Nachwuchs in Deutschland traditionell nicht leicht. Wie es nach dem dem Abschlussfilm weitergeht, ist für viele Absolventen ungewiss. Etwa 80 Prozent kommen in der Filmbranche unter, schätzt Andrea Hohnen, die als künstlerische Leiterin des Nachwuchswettbewerbs in diesem Jahr mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet wird.
Seit Bestehen des Preises sieht sie alle eingereichten Produktionen der Hochschulen, das sind um die 200 Filme jährlich. Manche Karrieren verlaufen nicht immer wie geplant: Viele Absoventinnen und Absolventen arbeiten später nicht in dem Gewerk, in dem sie ihren Abschluss gemacht haben, sondern als Casterin, Produzent, Werbefilmer - oder bleiben als Dozentin im Kreislauf der Ausbildung stecken. Eine gute Nachricht immerhin: Die sechs Nominierten im vergangenen Jahr hatten alle einen kleinen Kinostart, was das Prestige eines Abschlussfilms – und damit auch des „First Steps Award“ – erhöht.
Die in diesem Jahr nominierten Filme machen wie schon in den Vorjahren Hoffnung, dass eine neue Generation von Filmschaffenden das deutsche Kino – und vielleicht sogar die Förderlandschaft – aufmischen könnte. Eva Trobisch von der Hochschule für Fernsehen und Film in München hat mit „Alles ist gut“ schon in Locarno den Preis für das beste Debüt gewonnen. In lyrischen Bildern, die den windbewegten Blättern im Garten genauso viel Aufmerksamkeit schenken wie den unmerklich bebenden Augenlidern von Hauptdarstellerin Aenne Schwarz, gelingt Trobisch die subtile Studie einer Frau, die nach einer Vergewaltigung ihre Opferrolle nicht akzeptieren möchte. Thematisch hochaktuell, macht die Regisseurin ihren Film jedoch nie, wie häufig im deutschen Kino, zum Vehikel einer Botschaft. Diese erzählerische Offenheit ist allen Nominierten gemein.
Die Zukunft der Frauen in der Branche sieht laut Hohnen heute besser aus als noch vor zwanzig Jahren. Dass über Frauenthemen auch subtil und atmosphärisch erzählt wird, beweist Salka Tiziana mit ihrem an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg entstandenen „For the Time Being“ (Hochschule für Bildende Künste Hamburg). Sie erzählt ganz anti-dramatisch den Seelenzustand ihrer Protagonistin Larissa (Melanie Straub), die mit ihren zwei Kindern auf einer abgelegenen Finca in Spanien vergeblich auf ihren Mann wartet.
Die Trockenheit bedroht die Natur, der Pool, in dem die Söhne gelangweilt planschen, ist halb leer. Erschöpft ziehen sie sich zur Siesta in die schattigen Zimmer zurück. Das Leben im Stillstand wird zur bildstarken Metapher für das innere Drama des Verlassenseins. Bislang hat „For the Time Being“ noch keinen Verleiher, um den Vertrieb muss sich der Nachwuchs oft noch selbst kümmern. Der „First Steps Award“ ist aber eine gute Gelegenheit für Vernetzung, wie Andrea Hohnen betont.
Ohne eine Hochschule im Rücken realisierte Faraz Shariat „Futur Drei“. Sein Debüt spielt in einer Asylunterkunft und erzählt mit leichter Hand eine Coming-of-Age-Geschichte, in der schwuler Sex ebenso gezeigt wird wie die traditionellen Feste der iranischen Herkunftsfamilie des jungen Parvis (Benjamin Radjaipour). Das ist ein expliziter, durchaus problembeladener Stoff, doch auch Shariat liefert seinen im Academy-Format gedrehten Film nie an sein Thema aus.
Seit ein paar Jahrgängen entsteht an den Filmhochschulen auch wieder verstärkt Genrekino, bei den „First Steps“ sind ebenfalls zwei Kandidaten vertreten: Lothar Herzogs in kühlem Grünblau gehaltener Gangsterfilm „1986“ (dffb) und Michael Fetter Nathanskys Polizeifilm „Sag du es mir“ (Filmuniversität Babelsberg). In „1986“ betreibt eine Studentin in der Sperrzone von Tschernobyl illegale Geschäfte mit Eisenwaren und lässt sich immer tiefer in den Rausch der wild wuchernden Natur hineinziehen. Ihr Verhalten wird zusehends unkontrollierbar, wie kontaminiert von der radioaktiven Umgebung. Herzog macht die Landschaft zum Antagonisten seiner Hauptfigur, ähnlich wie Nathansky mit „Sag du es mir“, wo eine Plattenbausiedlung in Potsdam die Handlung erst hervorbringt.
Ein rätselhafter Sturz von einer Brücke hat sich dort ereignet, eine Frau (Gisa Flake) wurde geschubst und fiel ins Wasser, jetzt kümmert sich die Schwester um sie. Die detektivische Investigation des Krimi-Genres überträgt Nathansky direkt auf den Plot, in dem er in drei Kapiteln unterschiedliche Versionen der Geschichte, auch aus Perspektive des vermeintlichen Täters, eines Polizisten, erzählt. Am Schluss stehen sich drei Erzählvarianten nach Art des „Rashomon“-Effekts gegenüber. Fest steht: So unterschiedlich die Spielfilm-Nominierten des First Steps Award auch sind, sie alle sind bilderstarke und experimentierfreudige Werke, die überraschen. Das größte und aufregendste Abenteuer beim Filmemachen ist immer noch, neue Wege fürs Geschichtenerzählen zu finden.
Dunja Bialas
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