Porträt: Eine Nase greift an
Außerirdisch: Planningtorock bringt ihr zweites Album heraus. Ein Treffen mit der Kreuzberger Avantgarde-Electro-Musikerin
Später gibt sie zu, auch Fan von Philipp Glass und – „noch uncooler“ – Michael Nyman zu sein. Aber auf die Frage, wie wichtig Minimal Music als Einfluss für ihr neues Album gewesen sei, muss Janine Rostron erst mal lachen: „Minimal? Hey, bei mir geht’s um Maximum Music!“ Mit dem Minimal-Music-Ansatz kommt man also nur bedingt weiter, will man sich der atemberaubenden Musik von Janine Rostron, die sich Planningtorock nennt, nähern. Da können auf ihrem neuen, zweiten Album „W“ noch so oft repetitive Patterns, ein starkes harmonisches Beharrungsvermögen und kaum klare Strophe-Refrain-Spannungsbögen zu hören sein – dieser Allround-Künstlerin liegt nicht an rationaler Verschlankung, sondern an einem emotionalen Drauflegen. An einem Mehr-Fühlen, Mehr-Werden. Janine Rostron sagt: „Das Tolle daran, auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen, ist: Man kann die Dinge sehr, sehr weit treiben.“
Im Konzert steht sie dann gänzlich unbewegt. Auf dem Kopf eine Dauerwellenperücke, unter dem Parka dicke Polsterungen, das Gesicht kalkweiß geschminkt. Dieses Gesicht. Es ist nicht ihres. Es ist das einer Kreatur, eines Aliens, bezaubernd und abstoßend zugleich, jenseits jeder geschlechtlichen Zuordbarkeit, gleichzeitig bedauernswert freakig wie selbstbewusst einzigartig. Es wird beherrscht von einem gezackten Nasenhöcker, der das Gesicht zur Unkenntlichkeit verfremdet. Dieses Wesen steht in kaltblauem Licht und greift immer wieder in einen Fruchtkorb, stopft sich Trauben in den Mund. Ob es genießt oder frustfrisst, ist vollkommen unentscheidbar.
Aufgewachsen ist Janine Rostron im nordenglischen Bolton, als Kind hat sie Geige gelernt und mit 16 Jahren angefangen, eigene Musik zu produzieren. In Sheffield an der Kunstakademie studierte sie Video Art, verlegte sich aber anschließend wieder auf die Musik und zog nach Berlin. Das ist mittlerweile zehn Jahre her. Seitdem lebt sie in Kreuzberg. Ihr Studio liegt in einem Hinterhaus am Kottbusser Tor, wo auch Olov Dreijer von The Knife und Peaches arbeiten.
Janine Rostron ist 35 Jahre alt und hat sich seit seit der Veröffentlichung ihres ersten Albums „Have It All“ (2006) als Künstlerin etabliert: The Knife kooperierten mit ihr bei der Darwin-Oper „Tomorrow, In A Year“, für Bruce LaBruce hat sie Theatermusik gemacht, fürs Donaufestival 2009 eine Auftragsshow entworfen. Und vor vier Jahren nahm der New Yorker Musiker und Produzent James Murphy sie als Support für seine LCD-Soundsystem- Tour mit. Jetzt erscheint ihr zweites Album auf Murphys Label DFA Records, zwischen Hot Chip, Black Dice und Holy Ghost. „Ich fühle ich mich dort sehr wohl, auch wenn ich finde, dass ich anders bin als die anderen Künstler auf DFA – aber ehrlich gesagt würde ich wohl zu keinem Label so richtig passen.“ Sagt sie und ist sichtlich stolz auf ihre Unpassendheit.
Ihr Gesicht verfremdet die Künstlerin bis zur Unkenntlichkeit
Einen Eindruck von Planningtorocks Schaffen jenseits aller Kategorien vermittelt das von ihr selbst fabrizierte Video zum Eröffnungsstück des neuen Albums. Zu einem unbeirrbar marschierenden Ein-Ton-Sägezahn-Synthie gesellen sich in „Doorway“ erst verhallte Streicher-Pizzikati, dann taucht es wieder auf, dieses Nasenwesen, in doppelter Spiegelung sogar. In Zeitlupe fliegen seine Haare, seine Augenbrauen treten hervor, die Stirn wölbt sich befremdlich über dem monströsen Zinken. Und wenn dieses Wesen an der Grenze zum Menschlichen dann noch mit stark heruntergepitchter Stimme singt „I Know My Feelings“, dann ist das Irritierend-Faszinierende an der Kunst von Planningtorock zur Genüge umrissen.
Rostron sagt: „Bei den Videos und der Bühnenshow zu meinem ersten Album habe ich mit Masken und absurden Kopfbedeckungen gearbeitet. Diesmal habe ich mit Modelliermasse und Effektgeräten direkt in mein Gesicht und meine Stimme eingegriffen. Was mich dabei interessiert, ist nicht die Frage: Wie werde ich männlicher? Sondern: Wie werde ich noch mehr eine Frau, noch mehr von einer Frau? Ich suche nach spielerisch-experimentellen Ausdrucksformen für Aspekte meiner selbst. All diese Stimmen, diese Gesichter: Bin ich. Mit einem Alter Ego hat das nichts zu tun.“
Vier Jahre hat sie für das neue Album gebraucht. Hat sich im Studio eingeschlossen. Hat so gut wie alle Instrumente selbst eingespielt. Hat arrangiert, an der Technik gefrickelt und die Videos gedreht. Es ist ihr wichtig diese Obsessivität herauszustellen, ist sie sich doch sicher, dass diese Art der künstlerischen Passion und Versenkung Frauen bis heute nicht zugestanden oder zugetraut wird.
Dem Ergebnis hört man diese Leidenschaft an. Klang Planningtorock auf ihrem Debüt noch wie ein polyphoner Katzenchor, maunzte und tirilierte sie in diversen Press-, Kreisch-, Kratz- und Kopfstimmen, so ist „W“ deutlich tiefer gelegt. Nicht nur ihre Stimme ist fast durchgängig um einige Etagen nach unten gepitcht, auch die Produktion klingt insgesamt dunkler, mystischer, abgründiger, aber auch runder, kohärenter, orchestraler. Weiterhin benutzt sie häufig Streicher-Pizzikati, die gern in trotzköpfigen Ostinato-Linien vorwärtsmarschieren, neu ist ihre Liebe zum Bariton-Saxophon, das manchmal käsig, meistens aber samtig klingt und erstaunlich selten an Eighties-Retromanie denken lässt. Dafür gibt es ein kongeniales Arthur-Russell-Cover und einen gelungenen Ausflug in die Neo-Disco-Welt.
Das ganze Album pulst und strudelt in einer schwarz schimmernden Schönheit, die es locker mit Fever Ray aufnehmen kann. Es ist so, wie Planningtorock in „Manifesto“ ihr Liebesideal beschwört: gleichzeitig „secular“, „succular“ und „circular“, also irdisch, nah beim Menschen, jetztzeitig; saugend und sexy; und kreisend, Differenz durch Wiederholung schaffend. Man könnte auch sagen: Planningtorock startet in ein neues deleuzianisches Zeitalter. Passgenau zu ihrer Philosophie des Mehr-Werdens auch der Albumtitel: Spricht man „W“ Englisch aus, kommt man bei einem beherzten Appell heraus: „Double You! – Verdopple dich!“
Planningtorock: „W“ erscheint am 20.5. bei DFA/Cooperative, Konzert: 20.5., 20 Uhr, Astra Kulturhaus
Kirsten Riesselmann
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