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KitKatClub Berlin
© imago/imagebroker

KitKatClub als Spielplatz für Erwachsene: Eine Nacht mit Süßigkeiten, Techno und Bondage

Berlin rühmt sich seines exzessiven Nachtlebens. Der KitKatClub ist eine Institution – und sein Mietvertrag läuft aus. Was man da erleben kann.

Erotische Szenen, die als Schwarzlichtbilder von den Wänden großflächig fluoreszieren. Ich lasse mich treiben. Ich streife durch die verschiedenen Räume, ich sitze an der Bar, neben der Tanzfläche oder auf einem der Ledersofas und lasse die Bilder auf mich wirken.

Ein Drachenkopf, der Feuerstrahlen Richtung Tanzfläche speit. Videoclips von Balletttänzerinnen. Ein Süßigkeiten-Stand. Überall leuchtet und glitzert es.

Harnesses, Korsagen, nackte Oberkörper. Bilder von Schönheit, Absonderlichkeit oder Makel, alles wird hier zur Schau gestellt und produziert, alles findet hier einen Raum, wir können uns an allem ergötzen.

Wenige Städte der Welt haben eine so reiche Tradition an ausschweifendem und experimentierfreudigem Nachtleben wie Berlin. Wenige Städte haben einen Ruf, der so eng mit dem Unkonventionellen, dem Grenzen austestenden, dem Enttabuisierenden verwoben ist.

Wir kennen das alles, dokumentiert und zelebriert in zahlreichen Ausstellungen und Retrospektiven, in Spielfilmen und Serien, in Sachbüchern und Romanen wie denen von Christopher Isherwood, die dem Musical „Cabaret“ zugrunde liegen.

Erinnerungen an die Zwanziger

Das wilde und sündige Berliner Nachtleben der Zwanzigerjahre, Dekadenz und Freizügigkeit, der sogenannte Tanz auf dem Vulkan. Die illegalen Bars und Punkclubs der Achtziger, Subkultur in Kreuzberg und Schöneberg, die alternative Szene.

Nach der Wende die Techno-Clubs der Neunziger, tagelange Party-Nächte in verlassenen Kellern und Industriehallen, die Wiedervereinigung auf der Tanzfläche. Klischee und Erlebnis, Mythos und Wahrheit.

Und auch heute noch steht Berlin für sein Nachtleben – für Orte wie das Berghain, die es so sonst nirgendwo auf der Welt gibt, Läden, von denen man überall spricht, für die man uns überall beneidet. Der KitKatClub ist einer dieser Orte.

Der schönste, den ich kenne. Gegründet 1994 von Kirsten Krüger und Simon Thaur, die den Club bis heute betreiben, nach mehreren Umzügen seit 2007 an seinem jetzigen Standort, in einem Gebäude an der Köpenicker Straße. Der Vermieter hat gekündigt, nächstes Jahr im Sommer könnte hier Schluss sein.

Hier geht fast alles

In Berlin scheint fast schon jeder mal vom KitKat gehört zu haben. KitKat, ist das nicht ein Fetisch-Club für Leute, die auf Lack und Leder und Uniformen stehen? Stimmt. Ein Sex-Positive-Club, in dem Menschen sich in allen möglichen Konstellationen körperlich näherkommen, öffentlich, halb-öffentlich? Stimmt auch. Ein Techno-Club, in dem man rauschhaft tanzen kann, bis weit in den nächsten Tag hinein? Auch das.

Fetisch, offene Sexualität, rauschhafter Tanz, all das greift auch viel zu kurz. Das KitKat ist viel mehr – ein gesellschaftspolitisches Experiment, an dem jeder von uns teilnehmen kann.

Kinder müssen spielen und Grenzen überschreiten, um zu lernen, wer sie sind und wer sie sein wollen. Im Erwachsenenleben gehen diese Räume verloren. Das KitKat ist ein Ort, der uns das zurückgibt.

Ein Mann in seinen Sechzigern mit Schottenrock, der ausgelassen auf einem Podest tanzt. Eine Rollstuhlfahrerin, die sich über die Tanzfläche schlängelt. Tanzende und vibrierende Körper überall. Subtile und weniger subtile Erotik.

Der Gott des Rausches

Ein Mann und eine Frau auf einer Ledercouch, er liegt neben ihr, den Kopf auf seine Hand gestützt. Schweißtropfen glitzern auf dem Rücken des Mannes, es ist ein zärtliches und schönes Bild.

Stunden später eine Bondage-Show. Eine Frau, die horizontal über dem Boden schwebt. Behutsam lockert der Mann eine der Verschnürungen, der Körper fängt an sich zu bewegen und pendelt sich nach und nach in ein neues Gleichgewicht ein.

Eine nicht enden wollende Flut von Bildern, die auf einen einströmt. Manchmal kommt mir das Ganze vor wie eine audiovisuelle Kunstperformance, an der wir alle beteiligt sind.

Es ist ein Ort, an dem Geschlechtergrenzen und sexuelle Rollenbilder spielerisch aufgelöst werden, mit Offenheit und Toleranz, an dem sexuelle und geschlechtliche Diversität entstehen und gelebt werden kann.

An dem so vieles von dem, was heutzutage immer wieder propagiert wird, Wirklichkeit wird. Und damit Wirklichkeit schafft. Ein Ort der Ambiguität und Fluidität. Ein Ort der Identitätsbildung. An dem man sich ausprobieren kann.

Lust auf Exzess

Hier habe ich – ein heterosexueller Mann mit Mitte dreißig – mich zum ersten Mal zärtlich von einem anderen Mann küssen lassen. Hier habe ich Freunde gefunden, die mir erklärt haben, wie es sich anfühlt, wenn man im falschen Körper geboren wird. Oder im richtigen Körper und sich trotzdem als das andere Geschlecht fühlt.

Das KitKat ist ein Ort, der jeder Spielart des geschlechtlichen und sexuellen Seins einen Raum verschafft.

Die Lust an der Abschweifung, die Lust auf Exzess. Und so, natürlich, vielleicht vor allem, ist dies ein dionysischer Ort. Dionysos, der griechische Gott des Weines, des Rausches, des Wahnsinns und der Ekstase, im Zusammenhang mit dem Theater auch.

Nach Nietzsche neben Apollo – der steht für die Ordnung, das rationale Denken und die Mäßigung – eine der beiden Urkräfte des künstlerischen und kulturellen Ausdrucks.

Unser Leben und unsere Kultur ist voll von Apollinischem. Wir funktionieren. Wir werden ständig etwas effizienter in fast allem, was wir tun. Wir optimieren uns und unser Leben. Orte wie der KitKat-Club sind unsere seltenen Oasen des Dionysischen.

Eine Oase in der reflektierten Welt

Es ist Samstagnacht, die Tür öffnet sich in regelmäßigen Abständen, ein freundlich musternder Blick fällt auf den Besucher. Kirsten Krüger an der Tür, Simon Thaur im Club, so machen die beiden Betreiber und Lebenspartner das seit 25 Jahren. Kurz darauf taucht man ein, in diese von den beiden und uns allen geschaffene Welt. Eine Welt, die tief verwurzelten menschlichen Bedürfnissen einen Raum gibt, Bedürfnissen und Sehnsüchten, die in unserem Alltag und unserer Kultur zu wenig Platz finden. Die Lust an der Abschweifung, die Lust auf Exzess. Das Sich-Gehenlassen-können. Das Verschmelzen mit dem Kollektiv. Der gemeinsame rituelle Tanz.

[Max Wolf lebt als Schriftsteller und Verhaltensbiologe in Berlin. Zuletzt erschien von ihm der Roman „Glücksreaktor“ im Hoffmann und Campe Verlag.]

Hier kann man den theoretischen Menschen, das ständige Denken und Reflektieren, das ewige Funktionierenmüssen für einige Stunden abwerfen. Hier kann man Körper und Emotionen freien Lauf lassen. Hier kann man sein.

Max Wolf

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