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Raubkunst: Das Porträt "Grete Marx" von Bernhard Pankok aus dem Jahr 1915
© dpa

20 Jahre Washingtoner Erklärung: Eine gerechte Lösung für den Umgang mit NS-Raubkunst

Die Bundesregierung besitzt weiter Nazi-Raubkunst. Sie sollte sie zur Verhinderung künftiger Gräueltaten und Völkermorde nutzen. Ein Gastbeitrag.

Am Montag jährt sich die Verabschiedung der Washingtoner Erklärung zum Umgang mit NS-Raubkunst zum 20. Mal. Darin verpflichtete sich Deutschland, von den Nationalsozialisten geraubte Kunstwerke zu identifizieren, die Vorkriegsbesitzer zu ermitteln und eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden. Der Jahrestag fällt in eine Zeit, in der in Europa wieder neu und lebhaft über den Umgang mit Kunstwerken gesprochen wird, die auf gewaltsame oder widerrechtliche Weise in den Besitz des Staates gelangt sind. In Frankreich etwa wird gerade über den Umgang mit Kunstwerken aus der Kolonialzeit debattiert.

Der französische Präsident Emanuel Macron hat die Museen seines Landes aufgefordert, die in der Kolonialzeit geraubte Kunst zu identifizieren, Bedingungen für die Rückführung zu schaffen, Sammlungen zu inventarisieren und die Provenienz der Kunstwerke zu erforschen. Sein Vorschlag, der auf einem Bericht des Quai-Brandy-Jacques-Chirac-Museums und des französischen Kulturministeriums basiert, ordnet die Rückgabe der Benin-Bronzen an, die 1892 bei einer blutigen Belagerung des Behazin-Palasts aufgenommen wurden. Der Besitz solcher Kunst kann dem Plünderer nicht übertragen werden – auch das ist ein Grundsatz der Washingtoner Erklärung.

Wie im Falle der von den Nazis beschlagnahmten Kunst geht es dabei um mehr als nur um die Klärung von Eigentumsverhältnissen. Frankreich schafft damit ein neues Bewusstsein für die gewaltsamen Eroberungen der Kolonialzeit – das wird die Kunstwelt verändern. Auch die nationalsozialistische Raubkunst erregt heute noch internationale Aufmerksamkeit. Sie hat die Kunstwelt grundlegend verändert und trägt zur Erinnerung an den Holocaust bei. Gleichzeitig sind antisemitische Stereotypen in Europa lebendig, während die Erinnerung an den Holocaust zu verblassen beginnt, wie erst kürzlich eine Umfrage von CNN zeigte. Auch Deutschland sollte sich deshalb wieder neu und intensiver damit beschäftigen, wie es mit den Beständen von NS-Raubkunst in Verantwortung des Bundes umgeht. Wo und wie die Werke gezeigt, wie über sie gesprochen wird, kann einen Beitrag dazu leisten, den Holocaust nicht zu vergessen.

Ein Treuhandmodell wäre vorstellbar

Als das US-Außenministerium in den 1950er Jahren seine Kunstrückgabestelle in Deutschland schloss, wurden die verbliebenen Kunstbestände des „Central Collecting Point München“ – jeweils gekennzeichnet durch eine „Münchner Nummer“ (Eingangsnummer und Fotografie) – über die Treuhandverwaltung von Kulturgut des Auswärtigen Amtes an die Bundesregierung übergeben und mit den Beständen der Sammelstelle Wiesbaden vereint. Es liegt also nun in der Verantwortung der Bundesregierung, etwas zu unternehmen, um die Raubkunst, die sie nach wie vor besitzt, sowohl für die Erinnerung an den Holocaust als auch zur Verhinderung zukünftiger Völkermorde zu nutzen.

Zehn Jahre nach der Rückgabe der Kunstgegenstände an Deutschland wurden sie an das Bundesministerium der Finanzen übertragen und treuhänderisch verwaltet. 1965 berief das Finanzministerium einen Expertenrat ein, und mehr als 580 Gemälde und 1200 Grafiken wurden langfristig an 102 deutsche Museen verliehen. Weitere Objekte gingen an verschiedene Regierungsstellen. Die nicht ausgeliehenen Objekte werden beim Bundesverwaltungsamt aufbewahrt, wo man sich bemüht, andere Orte zu finden, um sie zur öffentlichen Besichtigung auszuleihen.

Die Bundesrepublik hat das souveräne Recht, den Status dieser Raubkunst zu bestimmen. Dabei sollte sie sich nach folgenden Prinzipien richten: Zentral ist, dass der deutsche Staat niemals – auch nicht indirekt – von den in der NS-Zeit begangenen Verbrechen profitieren darf. Daher sollte der deutsche Staat ankündigen, dass er das während des Holocausts geplünderte Eigentum lediglich als unbefristetes Treuhandvermögen ansieht und auch als solches behandeln wird. Deutschland muss die Werke in seiner Obhut halten und gleichzeitig anerkennen, dass das Land niemals als rechtmäßiger Eigentümer gelten kann. Die Bundesregierung wäre dann, wie jeder Verwalter, dafür verantwortlich, eine vollständige öffentliche Buchführung über das gesamte Bundes-Depotgut vorzunehmen.

Die Entdeckung der Sammlung Gurlitt im Jahr 2013 sollte als erneuter Impuls für den Bund dienen, die Eigentümer von Raubkunst, die sich in seinem Besitz, selbst zu identifizieren, als Ergänzung zur Provenienzermittlung der Bundesländer und der Museen. Gleichzeitig sollte der Fall Gurlitt genutzt werden zur Erinnerung an den Holocaust. Das Bemühen um einen gerechten und fairen Umgang mit NS-Raubkunst ist in einer Zeit, in der der Antisemitismus in Deutschland wieder auflebt, besonders wichtig.

Als Vorbild könnten die Franzosen dienen

Die Bundesländer, die ihre Eigentumsrechte aus den vermeintlichen Eigentumsrechten des Bundes abgeleitet haben, müssten das Gleiche tun.

Wird die Bundesregierung die Verantwortung annehmen, eine gerechte und faire Lösung für die von den Nazis beschlagnahmte Kunst zu finden, wie in der Washingtoner Erklärung festgelegt?

Als Vorbild könnten die Franzosen dienen. Sie sammelten, inventarisierten und präsentierten die in der NS-Zeit in Frankreich von den Nazis geraubte Kunst in der sogenannten MNR-Collection, organisierten eine Ausstellung der Werke in Israel und stellten diese Kunst dauerhaft im Louvre aus, verbunden mit den Angaben zur Provenienzgeschichte. Dieses Modell eröffnet die Möglichkeit, erhöht die Chance, die Werke den Eigentümern oder deren Erben zurückzugeben. Es hilft außerdem, das Andenken an die Opfer des Holocaust zu respektieren und wachzuhalten, die Öffentlichkeit besser über den Holocaust aufzuklären und zu zeigen, wie er die deutsche und europäische Kultur verändert hat.

Deutschland sollte eine dauerhafte Treuhand für NS-Raubkunst schaffen. Damit würde der deutsche Staat deutlich machen, dass er ohne Wenn und Aber anerkennt, dass er kein Recht hat, von Eigentum zu profitieren, das durch Völkermord in seine Hände gelangt ist. Ein solcher Fonds stünde im Einklang mit den Prinzipien des deutschen Rechts und der deutschen Politik, ebenso wie mit mit dem Völkerrecht. Ein solcher Fonds würde einen wichtigen Präzedenzfall für andere Nationen schaffen und dazu beitragen, in Zukunft Völkermorde und andere Gräueltaten zu verhindern, weil er das damit verbundene Profitstreben untergräbt.

Es wäre am besten, wenn die Bundesregierung anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Washingtoner Erklärung die Regeln für den Besitz von geraubten Kunstwerken in Deutschland auf Bundesebene verbindlich festlegt, sodass sich auch die Länder, Museen und Auktionshäuser daran orientieren können.

Der Autor diente zwischen 1994 und 1997 als US-Diplomat in Deutschland und ist seit 2014 Inhaber der Henry-Kissinger-Professur an der Universität Bonn.

James Bindenagel

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