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In „Macbeth“ geht er denkbar plakativ zu Werke, bis hin zum Schleudern schwarzer Babypuppenleichen.
© dpa

Festival „Theaterformen“ in Braunschweig: Ein Zebra streifen

Braunschweig und der Rest der Welt: Das Festival „Theaterformen“ schafft mit einem afrikanischen "Macbeth" und Goethes Zebra eine gute Mischung.

Macbeth ist jetzt Milizenführer. Der massige Warlord und seine Mörderlady – klassische Parvenüs ohne Skrupel auch in Geschmacksfragen – räkeln sich im Machtgefühl wie auf dem teuren Leopardenplüsch des heimischen Wohnzimmers. Oh, donna mia! Macbeth sieht in seinem Aufstieg die Weissagungen der Hexen erfüllt. Genauer: die der Abgesandten des Konzerns Hexagon, die mit ihren Geldkoffern Leute wie ihn hochrüsten, um selbst Rohstoffe wie Gold oder Coltan plündern zu können. Hier ist keine schwarze Magie im Spiel. Das ist Ausbeutungsalltag in Afrika. Auf Italienisch besungen, als wär’s noch das alte Königsdrama.

Der streitbare südafrikanische Regisseur Brett Bailey hat Verdis Shakespeare-Oper in den Ostkongo verlegt. Mithin in eine vom Kolonialismus gründlich verheerte Krisenregion, die auch heute, nach Millionen Toten, nicht zur Ruhe kommt. Verdis Komposition wurde dabei vom Belgier Fabrizio Cassol für drei südafrikanische Solisten, einen Chor und das „No Borders Orchestra“ unter Leitung des Serben Premil Petrovic angepasst. Das Libretto hat sich Bailey selbst vorgenommen und um die Rahmenhandlung einer kongolesischen Theatergruppe ergänzt, die im Rathaus von Goma Kisten mit Requisiten eines lange zurückliegenden „Macbeth“-Gastspiels findet. Die kulturelle Übernahme des europäischen Kanons. Beim Festival Theaterformen in Braunschweig wurde diese afrikanische Tyrannen-Oper zum Auftakt mit Ovationen gefeiert.

Bailey – Schöpfer der Völkerschau-Nachstellungen „Exhibit A“ und „B“ – ist ja bekanntlich kein Freund subtiler Bilder. Auch in „Macbeth“ geht er denkbar plakativ zu Werke, bis hin zum Schleudern schwarzer Babypuppenleichen. Aber musikalisch glückt die Geschichte vollkommen. Und das unverhohlene Erstaunen, mit dem in Foyergesprächen und Kritiken auf die Kunstfertigkeit der Solisten Nobulumko Mngxekeza (Lady Macbeth), Owen Metsileng (Macbeth) und Otto Maidi (Banquo) reagiert wird, entlarvt ganz nebenbei den chauvinistischen Kulturbetrieb aufs Schönste.

Am Ende zählt die Kunst

Vor Braunschweig war dieser „Macbeth“ unter anderem schon auf dem Brüsseler Kunstenfestival und bei den Wiener Festwochen zu sehen. Produktionen dieser Größenordnung sind bloß noch als Tournee zu realisieren. Dass die Festivals darüber an Profil verlieren würden, will zumindest Anja Dirks nicht gelten lassen. Die künstlerische Leiterin – die nach sechs erfolgreichen Theaterformen-Ausgaben im Sommer aufhört – findet eher die Vorstellung absurd, „dass jemand allein durch fremde Länder reist und die geniale Theatergruppe entdeckt, von der noch nie ein Mensch gehört hat“. Am Ende des Tages, so die Überzeugung, zählt die Kunst. Nicht die Exklusivität.

Ob eine Arbeit wie „Kiste im Koffer“ gerade erst bei Matthias Lilienthals Festival „Theater der Welt“ in Mannheim zu sehen war, dürfte den Braunschweigern tatsächlich von Herzen egal sein. Der studierte Psychoanalytiker Kuro Tanino aus Japan entwirft ein grandioses, freudianisch geladenes Triptychon über Leistungsdruck und Libido. Ein Teil davon lief vor Zeiten auf dem „Tokio Shibuya“-Festival am HAU. Aber erst als Gesamtkunstwerk – mit vier phantasmagorischen Bühnenräumen auf einer Drehbühne – entfaltet Taninos Traumspiel seine volle Bildgewalt und den wunderbar verschrobenen Humor. Es geht um einen Studenten, der vor dem Prüfungsstress in eine Märchenwelt flüchtet, in der Bäume durch die Decke wachsen und – und wo ihm Fabelwesen, Phalli und der übermächtige Vati begegnen.

Internationale Mischung überzeugt auch dieses Jahr

Die internationale Mischung, für die Dirks’ Festival steht, geht auch in diesem Jahr überzeugend auf. Was kommende Attraktionen noch untermauern dürften. Wie das schweizerisch-spanische Gerichtsstück „Please continue (Hamlet)“, das auf der Folie des Shakespeare-Dramas einen authentischen Mordfall von realen Anwälten und Richtern im Theaterraum verhandeln lässt. Oder die Produktion „Jeder echte Herzschlag“ der estnischen Gruppe NO99, die mit dem Dichter Juhan Liiv auf der Suche nach der wahren Empfindung um die Welt gereist ist.

Klar, ganz ohne Lokalbezug kommt kein Festival aus. Die Theaterformen bieten ihn mit einer Museumsführung eigener Art: „Goethes Zebra“. Wird auch im August beim Kunstfest Weimar zu sehen sein, hat aber viel mit Braunschweig zu tun. Auf dem dortigen Kohlmarkt sah Johann Wolfgang nämlich anno 1784 sein erstes Zebra. Und musste gleich ein eigenes haben. Dieser weithin unbekannten Obsession im Geheimrats-Leben ist manisch der Forscher Bruno Bruns gefolgt, dessen imposante Sammlung uns nun der Schweizer Künstler Hans-Peter Litscher als kundiger Führer erschließt. Die irren Querverweise reichen dabei quer durch die Weltgeschichte. Vom Marquis de Sade (sehr am Zebra-Gemächt interessiert) zum Goethe-Kenner Che Guevara, der von Walter Ulbricht ein Zebra geschenkt bekam.

Ein großer und poetischer Spaß. Enden wir mit dem Goethe-Gedicht „An ein Zebra“: „Von Westen will das letzte Licht / noch schleichend uns vereinen. Du bist ein Tier, ich bin es nicht / das kannst du nicht verneinen.“

Festival Theaterformen: noch bis 22. Juni in Braunschweig, theaterformen.de

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