Zum 80. Geburtstag: Ein ungarischer Held
Er hat den Holocaust überlebt, war Pen-Präsident, stand der Berliner Akademie der Künste vor und machte sich für die Demokratie in seiner ungarischen Heimat stark. Das ist heute wichtiger denn je. Ein Würdigung des Schriftstellers György Konrád, der am heutigen Dienstag seinen 80. Geburtstag feiert.
Dass ein auf dem ungarischen Lande geborener Jude seinen 80. Geburtstag auf dem ungarischen Lande feiern kann, umgeben von seiner Familie, geachtet und geschätzt von der Welt (wenn auch nicht von der ungarischen Regierung), ist eigentlich ein Wunder. Denn die von einem „Reichsverweser“ regierte Monarchie, als deren treuer Untertan György Konrád wie die anderen jüdischen Schulkameraden in der kleinen ostungarischen Stadt Berettyóújfalu erzogen wurde, hatte im Juni 1944 sämtliche zur Verfügung stehenden administrativen und logistischen Mittel aufgeboten, den damals Elfjährigen umstandslos zu Tode zu bringen. So, wie ihr dies bei über einer halben Million ungarischen Juden auf schreckliche Weise gelang.
Doch der Elfjährige organisierte mit der eigensinnigen Gelassenheit, die er zeitlebens an den Tag legen würde, um den Preis eines Hauses eine Fahrerlaubnis nach Budapest, für sich, seine Schwester und seine Kusine. Die Eltern waren vorzeitig von den ungarischen Behörden verhaftet worden, er selber entging auf diese Weise der auf den nächsten Tag angesetzten Deportation aller Juden des Städtchens. Mit Unterstützung von Verwandten, knapper Not und viel Glück kann er in Budapest überleben; Konrads Familie – Vater, Mutter, die beiden Kinder – ist eine der ganz wenigen, die nach dem Krieg wieder zusammenfinden.
Weshalb er von anderen Überlebenden zu hören bekommt, er habe nun „für die anderen“ zu leben. Das erschreckte ihn. „Ich hätte das gern als Phrase abgetan und auch nicht bedauert, hätte darin eine Missbilligung gesteckt, doch ich wusste, dass von etwas anderem die Rede war. Davon, dass ich mich jetzt so verhalten müsste, wie sie, wären sie am Leben. Oder dass ich mich so verhalten müsste, um die Zustimmung der getöteten Kinder zu erringen,“ schrieb er. Selbst der Entschluss, Schriftsteller zu werden, kann im Zusammenhang mit dieser frühen Mahnung verstanden werden. Ein Schriftsteller, das ist einer, der überlebt, um zu berichten.
Als Konrád in dem 2005 erschienenen Buch „Sonnenfinsternis auf dem Berg“ Rückschau hält, scheint er am Ziel angelangt – soweit dies einem Menschen gegeben sein kann: fünffacher Vater, Großvater, gefeierter Autor, Träger des europäischen Karls-Preises und des Kossuth-Preises, ehemaliger Präsident des Internationalen Pen-Clubs und der Berliner Akademie der Künste. Der Traum von der ungarischen Demokratie, an dem er unbeirrt festgehalten hatte, war Wirklichkeit geworden. Das Land, in dem zu bleiben ihn weder Abhörmikrofone (er pflegte sich mit Ehefrau und Freunden bei wichtigen Dingen über Zettel auszutauschen, die sie umgehend verbrannten), noch Polizeischikanen und Publikationsverbote hatten abhalten können, war der Nato beigetreten und unterwegs in die EU.
Heute, da das von ihm als Demokratur bezeichnete Regime einmal mehr den Versuch unternimmt, der ungarischen Kultur qua Amtsgewalt die eigenen Vorstellungen aufzunötigen, gilt er wieder als Staatsfeind. Hochrangige Kulturfunktionäre, die sich einst in die innere Emigration zurückgezogen hatten, sprechen Konrád, dem hartnäckigen Patrioten, sein Ungarntum ab. All dies ist grotesk, ein dümmliches Wiederanknüpfen an die Vorurteile der 20er- und 30er Jahre und von bösartiger Gleichgültigkeit gegen deren katastrophale Folgen. Doch zeigt dies zugleich, wie sehr der Schriftsteller noch gebraucht wird. „Ich tröstete mich damit, dass es ohne Gefahr keine gedankliche Schärfe gibt. Wenn du wegen deiner Wahrheit nicht angegriffen werden kannst, dann hat deine Wahrheit auch kein Gewicht.“ Éljen! György Konrád, der ungarische Held, er lebe hoch! Mögen ihm und uns noch viele weitere Bücher beschieden sein.
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