Kultur: Ein Sommernachtsschaum
Katie Melua beschließt das Gendarmenmarkt-Festival Classic Open Air.
„Irgendwann landet jeder bei der Klassik“, hat Gerhard Kämpfe, der Erfinder von Classic Open Air, zur Eröffnung seiner 21. Freiluftkonzertsaison auf dem Gendarmenmarkt gesagt. Es kommt eben nur darauf an, die Landebahn bequem genug zu machen. Und so öffnet Kämpfe seine Arme ganz weit, dehnt den Kulturbegriff extrabreit: Tutti in piazza! Schließlich wollen allabendlich 6000 Klappstühle gefüllt werden. Wie beim privaten „Klassikradio“ gilt darum die Faustregel: Zum Genre gehört alles, wo Geigen mitspielen.
Dabei war der Anfang 1992 geradezu bildungsbürgerlich, mit Arienabenden und Wunschkonzerten, als Stars kamen damals Carerras, Cura, Caballé. 2012 ist die Softpop-Sängerin Katie Melua der top act, Chris de Burgh oder Anett Louisan, Chaka Khan, die Scorpions oder die Söhne Mannheims sind in den letzten Jahren vor der tollen Kulisse der Schinkelfassade schon aufgetreten. 70 Prozent seiner Kunden, darauf ist Kämpfe stolz, zählen nicht zur Stammkundschaft der Hochkulturtempel. Das sorgt für Stimmung wie beim Public Viewing. Allerdings muss auch der eine oder die andere sanft daran erinnert werden, dass es der Respekt vor den Künstlern gebietet, private Plaudereien während der Darbietung etwas einzudämmen.
Berliner Freilufteventveranstalter müssen Hasardeure sein, selbst im Hochsommer: Bei der von Herbert Feuerstein moderierten „First Night“ wurde am vergangenen Donnerstag mal wieder klar, dass der Berliner Juli keineswegs temperaturverlässlich ist – und der Gendarmenmarkt darum oft ein Platz des himmlischen Frierens. Übers wild bewegte Wochenende folgten drei bunte Abende, ein beinbetonter mit Ballett, Show und Urban Dance, ein ganz klassischer, gestaltet von sechs Solisten der hauptstädtischen Opernhäuser, und ein rhythmischer, bei dem sich Sarah Connor als schwarzes Soulschaf unter eine Phalanx von Swingspezialisten mischte.
Das Finale am Montag dann hatte Gerhard Kämpfe für eine 27-jährige Herzchirurgentochter reserviert: Geboren als Ketewan Melua in Tiflis, aufgewachsen in Moskau, 1993 nach Nordirland übersiedelt, startete die Georgierin 1999 mit Gitarre und romantischen Balladen eine lukrative Gesangskarriere, die bisher zu 11 Millionen verkauften Alben und einer sechsmonatigen Burn-out- Zwangspause führte.
Katie Meluas jüngste Veröffentlichung trägt den Titel „Secret Symphony“, bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert hat sie dann konsequenterweise auch das Filmorchester Babelsberg im Rücken.
Doch wie fast immer, wenn sich Popstars bühnenfüllende Instrumentalensembles leisten, bringt die Investition über den reinen Schaueffekt hinaus keinen Mehrwert. Es ist wie mit dem Espresso und dem Latte Macchiato: Die Koffeinmenge bleibt gleich, nur wird der belebende Gehalt in der Milchvariante stark verdünnt und mächtig aufgeschäumt. Heraus kommt bombastic pop, eine filmmusikhafte Klangkulisse, die Katies schlichte Songs gar nicht nötig haben.
Zumal sich Meluas Mentor Mike Batt nicht gerade als begnadeter Orchesteranimator erweist. Nach dem jazzigen „Nobody knows you“ tuschelt er mit seiner Interpretin, woraufhin diese verkündet, man werde jetzt den Anfang der Nummer noch mal spielen, weil der Abend für eine CD mitgeschnitten wird. Doch auch beim second service klingen die Babelsberger wieder so matt, rhythmisch so schwach konturiert wie beim ersten Versuch.
Weil sich die zierliche Sängerin zudem kaum auf der Bühne bewegt, haben bei diesem Konzert vielleicht sogar die akustischen Schnorrer am meisten Vergnügen, also jene Hundertschaften nicht zahlender Zuhörer, die sich jenseits der Absperrungen rund um den Gendarmenmarkt niedergelassen haben, teils beeindruckend professionell ausgerüstet mit Campingstühlen und prall gefüllten Picknickkörben. Ein perfekter Rausgehabend ist es allemal: der obligatorische Regen setzt nämlich diesmal erst nach der offiziellen Lärmschutz-Sperrstunde um 22 Uhr ein. Frederik Hanssen
Frederik Hanssen
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