Kultur: Ein Recht auf Liebe gibt es nicht
Angela Schanelec und Thomas Arslan über das pralle Leben, die „Berliner Schule“ und das Nachdenken im Kino
Ihre Filme „Nachmittag“ und „Ferien“ feiern heute im Forum und Panorama Premiere. In beiden Fällen geht es um brüchige Familienkonstellationen, die ähnlich distanziert dargestellt werden. Zufall?
THOMAS ARSLAN: Wir gleichen das nicht ab. Ich zeige meine Filme anderen immer erst, wenn sie fast fertig sind. Dann geht es um Nuancen am Feinschnitt.
Der Begriff „Berliner Schule“ – mit dem Sie, Christian Petzold und andere zusammengefasst werden – beschreibt also nicht mehr als ein paar auffällige ästhetische Gemeinsamkeiten?
ARSLAN: Man muss sich das sehr informell und lose vorstellen. Ich gehe manchmal mit Christian ins Kino und spreche über Filme. Aber das ist keine Zusammenarbeit im engeren Sinn. Manchmal sehen wir uns Monate nicht.
ANGELA SCHANELEC: Wir sind befreundet, aber jeder arbeitet sehr für sich. Durch den Blick auf uns als Gruppe, der jetzt ziemlich überhand genommen hat, entsteht ein falscher Eindruck: Für uns unterscheiden sich die Filme viel stärker als für jemanden, der von außerhalb draufblickt und der Einfachheit halber Parallelen zieht. Dass es jetzt in beiden Fällen um Familien geht, ist Zufall.
Sie scheinen nicht sehr glücklich mit dem Etikett „Berliner Schule“.
ARSLAN: Der Nachteil ist, dass es einige Leute davon zu entlasten scheint, die einzelnen Filme genauer anzusehen. Es werden nur noch Schnittmengen von Vergleichbarem hergestellt. Wie bei den Dogma-Filmen hat sich aber irgendwann erledigt, was man darüber noch Neues schreiben kann.
SCHANELEC: Am Anfang, als der Begriff auftauchte, hatten wir die Hoffnung, dass er sich positiv auswirkt. Dann stellte sich aber schnell heraus, dass er eher alles verwässert.
Gibt es auch Vorteile?
SCHANELEC: Ja. Zum einen werden unsere Namen permanent genannt. Zum anderen ist eine Diskussion in einem Gruppenzusammenhang gerade im Ausland, wo man deutsche Filme viel weniger kennt, eine Chance.
Eine Ihrer Gemeinsamkeiten ist die stark zurückgenommene Mimik und Gestik der Schauspieler.
ARSLAN: Ich will, dass die Darsteller einfach spielen und sich nicht auf Tricks oder Manierismen verlassen. Beim Filmemachen stellt sich immer die Frage, wie man Lebendigkeit ästhetisch herstellt. Dieser künstliche Prozess funktioniert für mich nicht, indem ich das „pralle Leben“ vor der Kamera stattfinden lasse, sondern indem ich etwas Vergleichbares beim Publikum auslöse. Dabei muss man dem Zuschauer einen Spielraum lassen. Der ist nicht mehr gegeben, wenn die Darsteller jedes Gefühl vormachen.
Ähnlich gehen Sie mit der Frage um, was im Bild zu sehen ist und was durch den Ton aus dem Off nur angedeutet wird. Auch hier bekommt der Zuschauer große Freiräume.
SCHANELEC: Film besteht aus Ausschnitten. Deshalb muss man zwangsläufig darüber nachdenken, was zu sehen und was nur zu hören sein soll. Für mich stellt sich die Frage: Wie kann ich das Auge und das Ohr des Zuschauers in Anspruch nehmen, ohne alles doppelt vorzuführen?
Sie gehen dabei weiter als andere.
SCHANELEC: Manchmal werde ich gefragt, ob ich denn gar nicht an den Zuschauer denke. Eigentlich denke ich nur an den Zuschauer. Worum es mir geht, sind seine Assoziationen und Vorstellungen. Warum soll es gut sein, sich anzumaßen, dem Publikum alles zu liefern und den Anspruch zu erheben: „Ich zeig dir das jetzt mal, lieber Zuschauer, und dann hast du dich mit nichts anderem zu beschäftigen?“
Was muss der Zuschauer dabei leisten?
ARSLAN: „Leisten“ muss er gar nichts. Wenn er sich für meinen Film entscheidet, geht er ja bereits aktiv auf ihn zu. Und da erwarte ich nicht mehr als ein bisschen Offenheit für meine Filme – die ich als sehr direkt und einfach empfinde.
Wer abends müde von der Arbeit kommt, geht dennoch eher selten in einen Ihrer Filme, oder?
SCHANELEC: Ich mache meine Filme nicht, damit die Leute abschalten. Es muss schon die Lust geben, im Kino weiterzuleben, weiterzudenken, weiterzufühlen – und sich nicht nur bedienen zu lassen.
ARSLAN: Da würde ich zustimmen. Es ist wichtig, dass der Zuschauer lebendig bleibt und nicht in ein Wachkoma versetzt wird, bei dem es egal ist, was vorne auf der Leinwand stattfindet. Aber die Spielformen sind vielfältig: Aktiv involviert muss man auch bei einem Brian-de-Palma-Film wie „Femme Fatale“ sein, sonst versteht man nach einer halben Stunde gar nichts mehr.
SCHANELEC: Ich möchte es vermeiden, den Zuschauer zu manipulieren. Was mich an Blockbustern stört, ist die Tatsache, dass bestimmte Mittel eingesetzt werden, bei denen der Zuschauer lachen oder weinen soll. Diese Mittel sind durchsichtig, und trotzdem kann man sich ihnen oft nicht entziehen. Mir geht es um die subjektive Erfahrung.
Sie ziehen es vor, den Zuschauer zu individualisieren statt ihn zu kollektivieren?
SCHANELEC: Ja, diese Formulierung finde ich gar nicht so schlecht.
Ausgehend von einer Polemik des Produzenten Günter Rohrbach debattieren die Feuilletons derzeit die Funktion der Filmkritik. Welche Rolle spielt Kritik für Sie?
ARSLAN: Ich gehöre zu den Leuten, die alle Kritiken lesen. Auch deshalb, weil für mich die Kritik die Aufgabe des Korrektivs hat: sich eben nicht nur darauf zu kaprizieren, Presseblätter von Großproduktionen abzuschreiben, sondern als Helfer Schneisen zu schlagen für Dinge, die sonst nicht wahrgenommen werden.
SCHANELEC: Für mich spielt die Filmkritik natürlich auch eine Riesenrolle. Es sind die ersten Reaktionen, die man bekommt. Und die haben Konsequenzen für die Aufnahme des Films, zumal meine Zuschauerzahlen sowieso gering sind.
ARSLAN: Im Gegensatz zu denen von Rohrbach. Deswegen fand ich seine Äußerungen nur peinlich: Die Blockbuster-Hersteller verdienen Millionen und sind sich dennoch nicht zu blöd, Beschwerde darüber zu führen, dass die Kritik sie nicht liebt. Man hat kein Anrecht darauf, geliebt zu werden.
Wie gehen Sie mit schlechten Besprechungen um?
SCHANELEC: Bei mir ist die Fähigkeit, Kritik wegzustecken, ziemlich ausgeprägt – wobei das nachlässt (lacht). Und zwar, weil ich mir Sorgen um meine Arbeit mache. Schlechte Kritiken und wenig Zuschauer, da kannst du irgendwann einpacken.
ARSLAN: Ja, ohne positive Reaktionen kann man es auf die Dauer nicht machen. Wir arbeiten ja mittlerweile unter haarsträubenden Bedingungen. „Nachmittag“ und „Ferien“ hatten mit jeweils etwa 450 000 Euro die Hälfte der Etats, die wir bei den Filmen davor hatten. Das stellt eine sehr konkrete Brutalität für alle Mitarbeiter und einen selber dar.
– Das Gespräch führte Julian Hanich.
Angela Schanelec , 45, drehte zuletzt Mein langsames Leben (2001) und Marseille (2004). Ín ihrem neuen Film Nachmittag übernimmt sie Motive aus Tschechows „Möwe“. Die Regisseurin lebt in Berlin. Ihr Film läuft heute, 19 Uhr (Delphi), 14.2., 10 Uhr (Cinestar 8), 15. 2., 20 Uhr (Colosseum 1), 18. 2., 17.30 Uhr (Arsenal).
Auch Thomas Arslan , 44, lebt in Berlin. Er wurde bekannt mit
Geschwister (1997), Dealer (1999) und
Der schöne Tag (2001), einer Trilogie über das Leben junger Türken in Deutschland. Sein fünfter Spielfilm Ferien ist zu sehen: heute, 14.30 Uhr (International), 15. 2., 19 Uhr (Zoo-Palast), 16. 2., 11 Uhr
(Cinemaxx 7), 18. 2.,
20 Uhr (Cubix 7 + 8).
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