Potsdamer Winteroper inszeniert „Elias“: Ein Prophet aus Fleisch und Blut
Alttestamentarische Wucht: Die Potsdamer Winteroper inszeniert Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium „Elias“ in der Friedenskirche.
Feldbetten sind ein Symbol fürs Unterwegssein: Heute hier, morgen da, die totale Mobilität – und Heimatlosigkeit. Feldbetten stehen auch in der Potsdamer Friedenskirche, eine langer, metallener Steg. Auf ihm rastet, tanzt, schläft das Volk Israel, das ebenfalls seine Heimat verloren hat, zumindest spirituell: Es verehrt den neuen Gott Baal. Das 1. Buch der Könige berichtet von der Episode, die den geschichtlichen Rahmen für das Auftreten des Propheten Elias (Elija) bildet. Felix Mendelssohn Bartholdy komponierte kurz vor seinem Tod auf den alttestamentarischen Stoff das populäre Oratorium „Elias“, das die Potsdamer Winteroper dieses Jahr aufführt.
Außer dem Steg prägt ein Beleuchtungsturm den Raum. Der Altar, sonst szenisch einbezogen, ist verhangen. Hier, am einen Ende des Kirchenschiffs, spielt die Kammerakademie Potsdam, also nicht in der Mitte wie sonst. Das hat Folgen: Orchester und Chor, der am anderen Ende agiert, laufen gelegentlich auseinander, obwohl Dirigent Titus Engel auf Monitoren übertragen wird. Oft passiert das nicht, an wirklich haarigen Stellen hechtet Engel auf den Beleuchtungsturm, um die Einsätze von oben zu geben. Die Kammerakademie überzeugt mit prägnantem, plastischem, dramatisch zugespitztem Spiel. Allerdings werden die tiefen Orchesterstimmen – Blech oder Pauke – von der Akustik der Kirche auf Kosten der Streicher begünstigt.
Was für ein Mensch war dieser Prophet, der ähnliche Wunder wie Christus vollbrachte, der Tote erweckte und in den Himmel auffuhr? Dessen Wiederkehr als Messias oder als sein Wegbereiter (die Schriften sind da nicht eindeutig) die Juden erwarten und die Christen in Jesus erfüllt sahen? Bariton Holger Falk holt ihn vom biblischen Sockel, macht einen Charakter daraus, zaudernd und verletzlich, mit eher dünner Stimme im ersten Teil. Religiöse Ausstrahlung, Autorität muss er sich erst erobern. Dieser Prophet ist kein perfekter Wundertäter, vielmehr ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit Schwächen. Er spottet und geifert, als Baal keinen Regen schickt. Fleischliche Freuden sind ihm nicht fremd, wie der Busen der Witwe (Marie-Pierre Roy), deren Sohn er wiedererweckt hat; eine Szene, die für Regisseur Andreas Bode sexuell grundiert ist. Neben Falk brilliert die Katalanin Anna Alàs i Jové mit rauchigem Alt als Königin und Engel, Oliver Johnston singt den Hofmeister Obadja.
Zwei große Leinwände zeigen archaische Szenen
Das Volk Israel wird musikgeschichtlich, von der Matthäus-Passion bis zu Schönbergs „Moses und Aron“, meist durch den Chor verkörpert. Mendelsohn Bartholdy hat sein 1846 beim Birmingham Music Festival uraufgeführtes Oratorium für Hunderte von Mitwirkenden konzipiert. In der Friedenskirche sind es nur 24 Choristen von Vocalconsort Berlin und Vokalakademie Potsdam. Schreiten sie nah an den Zuhörern vorbei, sind die Stimmlagen eindeutig zu identifizieren: eine berührende Durchhörbarkeit des Klangbildes. Auch die Engelsquartette und -terzette sprechen für die hohe sängerische Qualität der Aufführung.
Das Publikum in Stimmung bringen will Regisseur Bode auch mit filmischen Mitteln. Zwei große Leinwände zeigen archaische Szenen, menschliche Schemen in wüstenhafter Landschaft. Eingeblendete Begriffe wie „Macht“, „Gott“, „Vergehen“ künden den nächsten Abschnitt der Geschichte an. Der Knabe (Ben Strecker), der nach Wolken Ausschau hält, rollt auf dem Skateboard in die Kirche, der bis dahin kurzgeschorene Elias tritt am Ende mit Bart und langen Haaren auf. Effekte, die eigentlich überflüssig sind. Der Abend ist gerade in der minimalen Verwendung der Mittel von alttestamentarischer Wucht.
Friedenskirche Potsdam, wieder am 30. 11., 1. 12 und 2. 12., 19 Uhr