Barenboim spielt Beethoven: Ein Mann, ein Saal
Ohne Zuschauer, aber von Kameras beobachtet versenkt sich Daniel Barenboim in die Werke des vor 250 Jahre geborenen Komponisten
Eigentlich würde er jetzt, wie seit vielen Jahren schon, auf Hochtouren laufen. Um Ostern herum befinden sich sowohl die Staatsoper als auch die Philharmonie fest in der dirigierenden Hand Daniel Barenboims. Dieses Mal wäre er zwischen der Neuinszenierung von Mozarts „Così fan tutte“ und Beethovens sämtlichen Symphonien gependelt, begeistert empfangen von internationalen Pilgerströmen.
Doch ohne Publikumsverkehr keine Festtage – ein harter Schlag, der eine umfassende Entgegnung provoziert. Das ahnte auch Staatsopern-Intendant Matthias Schulz, als er im Tagesspiegel-Interview sagte: „So wie ich Herrn Barenboim kenne, wird er sich nicht langweilen.“
Abtauchen, wenn es ungemütlich wird, war für ihn nie eine Option. Da er aber aktuell nur wenige Mitstreiter mit auf die Bühne nehmen kann, konzentriert sich Barenboim ganz auf sich selbst. Fünf Konzerte im Boulez Saal hat er für den April angekündigt, die live gestreamt werden und danach jeweils 72 Stunden kostenfrei im Netz abrufbar sind.
Zwei Konzerte gestaltet er mit seinem Sohn Michael
An zwei Terminen, die Mozarts Violinsonaten gewidmet sind, betritt er am 13. und 17. April um 19 Uhr zusammen mit Sohn Michael das Podium. Die Kameras im Saaloval werden ferngesteuert, die Teams für Bild und Ton sitzen verteilt auf Sicherheitsabstand in angrenzenden Räumen. Weitere Termine sind der 19. und 24. April, alle Aufführungen sind zu sehen auf www.boulezsaal.de
Beim ersten Konzert sind die Jalousien hochgezogen, dennoch dringt nichts von draußen herein, nicht einmal die Idee, dass es so etwas die Frühling tatsächlich geben könnte. „Es kommt mir vor“, schickt Barenboim in einer Pressemeldung voraus, „als sei Beethoven in so vielen seiner späten Werke, zu denen auch die Diabelli-Variationen zählen, in einen Zustand völliger Abgeschiedenheit von der Welt geraten.“
Karfreitag und Beethovens letzter Walzer – Barenboim formt daraus eine musikalische Meditation, auf die man sich einlassen wollen muss; sie ist karg und ausufernd zugleich.
Beethovens Genius entzündet sich am Widerstand gegen Konventionen, am beißenden Spott mitunter, an der Überschreitung von Grenzen. Seine Diabelli- Variationen, die bei ihrer Drucklegung als unspielbar galten, wurden erst eine Generation später erstmals öffentlich aufgeführt.
Ihr geistiges Feuer jedoch wirkt in Barenboims Spiel erloschen. Die Attacke stolpert, das Fließende mäandert in morastige Gefilde, viel Zeit vergeht, ohne sich zu erfüllen. Eine Schwere liegt über allen Klängen, die sich nur sehr kurz, dann aber verführerisch, etwas lichtet. Das Kameraauge schaut von weit weg hinunter auf den Flügel, als stünde dort im leeren Saal die ferne Geliebte.