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Daniel Barenboim und das West-Eastern Divan Orchestra.
© Stephanie Pilick/dpa

West-Eastern Divan Orchestra in der Waldbühne: Ein Lied kann eine Brücke sein

Von Müdigkeit keine Spur: Das West-Eastern Divan Orchestra beendet seine umfangreiche Sommertournee mit einem Auftritt in der Waldbühne.

Musik braucht keine großen Worte, sie spricht für sich selbst – das scheint Daniel Barenboim durch den Kopf zu gehen, als er die Stufen zum Podium der Waldbühne herabschreitet und sich umstandslos ans Klavier setzt. Keine Ansprache, kein Kommentar zur aktuellen Situation in Gaza beim Konzert, das die Sommertournee des von ihm (mit Edward Said) gegründeten West-Eastern Divan Orchestras beschließt. Aber warum auch? Es kann sich doch sowieso jeder vorstellen, welch ungeheure Verzweiflung, welche negativen Energien und Kräfte in dem Orchester getobt haben müssen, in dem junge israelische, arabische und spanische Musiker gemeinsam spielen – angesichts mehrerer tausend Palästinenser und mehrerer Dutzend Israelis, die in den vergangenen acht Wochen gestorben sind.

Es wurde schon so viel geredet, muss man noch mehr sagen? Auf Facebook haben die Musiker gegenseitige Beschimpfungen gepostet, Maestro Barenboim musste einschreiten und einmal mehr die Kultur des gegenseitigen Zuhörens anmahnen. Jeder hätte es verstanden, wäre das Ensemble unter der Kraft der realen Ereignisse zerbrochen. Aber es existiert weiter, ein „Leuchtturm der Hoffnung“, so Barenboim. Kunst zeigt gerade in der Krise ihre Stärke. Im Orchester müssen die Mitglieder eben tatsächlich und wortwörtlich „aufeinander hören“ – und während sie im Akt der Musikausübung stumm miteinander reden, können sich Verständnis und Sympathie von allein einstellen. Das meint Schiller wohl, wenn er sagt: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“. Im West-Eastern Divan Orchestra demonstriert eine winzige Gruppe ein Stück gelebte Utopie: dass eine Zusammenarbeit von Israelis und Palästinensern möglich ist. Und sie finden damit weltweit Beachtung – weil sie die einzigen geblieben sind, weil sich keine Nachahmerprojekte gefunden haben.

Barenboim glänzt einmal mehr als Pianist und Dirigent

Also Mozart. Auf den können sich sowieso alle einigen. Völlig sinnlos, im letzten Klavierkonzert KV 595 von 1791 irgendwelche Hinweise auf seinen nahen Tod zu suchen. Man wird keine finden – und wird der Kunst der großen Komponisten auch nicht gerecht, wenn man sie ständig auf lebensweltliche Bezüge abklopft. Heiter, in souverän-entspannter Gelöstheit entspinnen sich hier die Motive im kammermusikalisch ausgedünnten Tonsatz, und so abgeklärt spielt sie das Orchester auch. Die Musiker wirken frisch, ohne Anzeichen irgendwelcher Müdigkeit nach der langen Tournee, die sie ans Teatro Colón in Barenboims Geburtsstadt Buenos Aires, nach Luzern, London und Salzburg geführt hat. Die Lautsprecheranlage funktioniert hervorragend, tautropfenförmig und berührend einsam setzt Barenboim die Töne in den Kadenzen. Einmal mehr glänzt er in seiner Paraderolle als Pianist und Dirigent, wie kein anderer seiner Zunft bedient er beides.

Nach der Pause träumt man sich mit Maurice Ravels „Rapsodie espagnole“  – wohl eine Referenz an die andalusische Heimat des Orchesters – in spanische Wärme, während die frühherbstlichen Temperaturen in der Waldbühne langsam sacken und die Nasenspitze erkaltet. Besucher schwingen sich mitgebrachte Decken über die Schulter. Die ganze zweite Konzerthälfte ist Ravel gewidmet und steckt die Spannweite seines Schaffens mit selten gehörte Stücke ab. „Alborada del gracioso“ (Morgenlied des Narren) ist von phantasievoller Orchestrierung und abrupten Stimmungswechseln, geprägt, „Pavane pour une infante défunte“ von weitausschwingenden Streicherkantilenen. Vielleicht tut man dem Franzosen doch unrecht, reduziert man ihn nur auf den notorischen „Boléro“, in dem er zwei Themen ohne jede Verarbeitung immer wieder auftischt. Der erklingt natürlich auch noch. Barenboim verlässt sich jetzt ganz auf sein Orchester und lässt die Arme hängen, erst als Orchestrierung und Klangfarben raffinierter werden, setzt er wieder ein. Als Zugabe kommt's nochmal ganz dicke spanisch: Mit diversen Zwischenspielen aus „Carmen“. Wärmt einen jetzt auch nicht mehr wirklich. Aber solange kühles Wetter das einzige Problem ist, darf man sich glücklich schätzen.

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