Dustin Hoffman im Interview: „Ein guter Witz ist auch traurig“
Der scheue Star: Dustin Hoffman über sein Regiedebüt mit 75, warum er sich manche gute Rolle nicht zutraute, sein Verhältnis zu Woody Allen und Wahlkampfhilfe für Obama.
Mr. Hoffman, Sie agieren als Schauspieler seit rund 50 Jahren auf der Bühne und vor der Kamera. Mit „Quartett“ starten Sie nun Ihre Karriere als Filmregisseur, mit 75 Jahren. Ist das ein Weltrekord?
Dustin Hoffman: Das hatte ich selber geglaubt, bis mir kürzlich gesagt wurde, ein Japaner, wie heißt er gleich? (schaut auf eine Notiz), hier, ein gewisser Takeo Kimura habe 2008 mit 90 Jahren als Regisseur im japanischen Kino debütiert.
Da sind Sie ja fast ein Jungregisseur.
Das hoffe ich doch! Ein portugiesischer Regisseur ist 104 und dreht immer noch Filme.
Sie meinen Manoel de Oliveira. Er soll aber fast erblindet sein.
Ach so? Dann muss er sich nichts Überflüssiges mehr ansehen. Als Schauspieler oder Regisseur brauchen Sie ohnehin eine innere Vorstellung von dem, was Sie physisch zeigen wollen.
„Quartett“ spielt auf einem englischen Landsitz in einem luxuriösen Altersheim für ehemalige Musiker und Opernstars. Welche Vorstellung hatten Sie von dem Milieu? Gehen Sie öfter in die Oper?
Nein. Ich bekam einfach das Drehbuch. Und zwei vorgesehene Regisseure waren schon ausgefallen. Wenn Sie als Schauspieler noch nie Regie geführt haben, kriegen Sie selten so eine Chance. Ich hatte das Glück, mich bei den Dreharbeiten zu „Liebe auf den zweiten Blick“ 2008 mit dem Kameramann John de Bormann anzufreunden. Wir sprachen da öfter über einzelne Einstellungen, und er sagte: „Du solltest selber Regie führen!“ Mir werden ja auch nicht mehr so viele Rollen angeboten.
Einem Weltstar mit Oscars und tausend anderen Preisen fehlt es an Rollen?
Im Alter verengt sich das Spektrum, und gleichzeitig werden Sie anspruchsvoller. Also: John, der nun bei „Quartett“ die Kamera gemacht hat, empfahl mich der Produzentin Finola Dwyer, und so bekam ich vor drei Jahren Ron Harwoods Drehbuch, das mich sofort interessierte.
Der britische Dramatiker und Filmautor Ronald Harwood hatte mit „Quartett“ 1999 schon einen Bühnenhit.
Alte Künstler, die nie ganz aufhören können mit ihrem Beruf, mit ihren Passionen, Marotten, Eifersüchten und der Lust auf erotische Affären – diese Komödie des Lebens war mir sofort nah. Dazu muss man kein besonderer Opernkenner sein, auch wenn ich mich an eine Erfahrung im Lincoln Center in New York erinnere. Da war ich 30, hatte gerade meinen ersten großen Erfolg mit der „Reifeprüfung“ und wurde zu einer „Carmen“ mit der jungen Jessye Norman eingeladen. Während der Aufführung reichte mir ein Sitznachbar sein Taschentuch, weil ich offenbar Tränen in den Augen hatte. Dabei habe ich nicht so nah am Wasser gebaut.
Sie gelten als Perfektionist. Führt die Harmonie von großer Musik und Gesang noch zu einer gesteigerten Perfektion?
Tolle Sänger, heißt es, glauben während einer geglückten Arie manchmal zu fliegen. Trotzdem ist, was Talent und Kehlkopf da anstellen, auch eine Art Hochleistungssport, den ich bewundere. Aber ich wehre mich gegen das Wort „Perfektionist“. Bei manchen Musikaufnahmen werden heute digital alle winzigen Fehler oder der Atem eines Livekonzerts eliminiert. Das wirkt leblos. Leben und Kunst bestehen auch aus Fehlern. Und wir versuchen uns zu verbessern. Wir stellen uns auf die Zehenspitzen, sind zu klein, um ein Licht an der Decke zu erreichen, aber manchmal berühren wir das Ziel ganz kurz, mit den Fingerspitzen, und das Licht geht an, für einem Moment.
Es gibt den berühmten Satz von Samuel Beckett –
Scheitern, wieder scheitern, besser scheitern!
Sie waren mal mit Beckett verabredet.
Auch gescheitert. Ich sollte „Warten auf Godot“ spielen, war mit Beckett in Paris in einem Café verabredet, bin eine Stunde um den Block geschlichen und dann nicht hingegangen.
Sie waren zu scheu?
Zu scheu. Ich habe auch Rollen bei Fellini und Ingmar Bergman abgesagt.
Hat die Erfahrung hinter der Kamera Ihren Blick auf die Schauspielerkollegen irgendwie verändert?
Überhaupt nicht. Maggie Smith, Tom Courtney, wir sind alle im gleichen Alter. Ich wollte, dass sich bei diesem Endspiel der ehemaligen Stars keiner verstellen und die eigenen Erfahrungen, Ängste, Sehnsüchte unterschlagen sollte. Maggie Smith wurde in einem Interview auf ihre lange superbe Karriere angesprochen. Und sie sagte: „Ja schön, aber die Reise wird immer kürzer.“ Diese Empfindung spielt bitte mit, habe ich alle gebeten. Allerdings weiß jeder gute Schauspieler, dass er nur eine Farbe auf der Palette des Regisseurs ist und dass das endgültige Bild erst im Schneideraum entsteht.
Dustin Hofmann: "Ich denke oft an den Tod"
Thema Alter: Fürchten Sie den Tod?
Ich denke oft an ihn. Ich bin mit meiner Frau 36 Jahre zusammen, seit 32 Jahren verheiratet, und sie ist 17 Jahre jünger als ich. Sie sagt, ich hätte vom ersten Tag unserer Beziehung über Alter, Tod und Sex geredet. Mich tröstet, dass der Tod nicht selektiv ist. Gäbe es Gott, der einen bestimmten Prozentsatz der Menschheit sterben ließe und die anderen dürften weiterleben, dann wäre ich sauer! (Lacht) Wenn ich auf der falschen Seite stünde.
Solange Sie arbeiten, ist der Pfeil noch in der Luft, der Sie einmal treffen wird. Das hat ein französischer Philosoph übers Schreiben gesagt.
Eine wunderbare Metapher. (Schweigt eine Weile) Darum setze ich mich auch nicht zur Ruhe. Als ich den Willy Loman im „Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller spielte – Die Aufführung hat Volker Schlöndorff 1985 verfilmt – Da sprach ich mit Arthur über Unsterblichkeit, und er meinte: Wir alle wollen, dass sich jemand über unseren Tod hinaus an uns erinnert. Deswegen schreiben wir unsere Namen auf ein Stück Eis, an einem heißen Sommertag...
Als erfahrener Schauspieler und nun Regisseur: Was sagen Sie zur jüngsten Performance von Lance Armstrong im Fernsehinterview mit Oprah Winfrey?
Das hätte ich zu gerne gesehen! Leider war ich unterwegs, aber ich habe mir Ausschnitte auf Youtube angeschaut und die Zeitungen gelesen. Er erschien mir wie ein sehr gut vorbereiteter Schauspieler. Er wollte alles richtig machen, was man sich als Schauspieler nicht anmerken lassen sollte. Oprah hätte ihn danach fragen sollen.
Warum haben Sie eigentlich nie mit Woody Allen gearbeitet? Man denkt, viele seiner Geschichten hätten gerade für Sie geschrieben sein können.
Oh ja. Wir waren in unseren jungen Jahren mal zusammen bei einer Talkshow in New York, und er wollte, dass ich in seinen frühen Filmen spielen sollte, einer war „Mach’s noch einmal, Sam“. Wenn du nicht willst, sagte er, muss ich’s selber spielen. Das hat er dann gemacht. Später sollte ich in „Hannah und ihre Schwestern“ die Rolle spielen, für die Michael Caine den Oscar bekam.
Warum haben Sie das abgesagt?
Ich weiß es nicht. Vielleicht war es ähnlich wie bei Beckett, wie bei Fellini und Bergman. Ich bin zurückgeschreckt. Auch wenn Sie sehr erfolgreich sind, irren Sie immer wieder.
Was erwarten Sie denn von der zweiten Amtszeit von Präsident Obama?
Ich bin keiner der Schauspieler, die sich gerne als politische Experten gerieren.
Aber Sie haben sich gelegentlich politisch geäußert, hier in Berlin einmal gegen Bush und den Irak-Krieg.
Natürlich fühlten sich Obamas Anhänger in den ersten vier Jahren oft enttäuscht. Er hatte wie alle Politiker viel versprochen. Aber wir haben auch den schlimmsten Kongress aller Zeiten, Bush hat das größte Staatsdefizit hinterlassen. Vielleicht konnte Obama erstmal nicht mehr erreichen. Meine Freunde und ich mögen ihn, obwohl ich Politikern sonst eher misstraue.
Sie sind ein Schauspieler, der das Tragische und das Komische oft mischt. Haben Sie einen Lieblingswitz?
Viele. Die meisten sind aber nicht anständig. In einem guten Witz steckt auch immer etwas Trauriges oder Verletzendes. Um beim Thema zu bleiben: Den wunderbaren amerikanischen Komiker George Burns, der 100 Jahre alt wurde, hat man an seinem 80. Geburtstag gefragt, wie sein schlimmstes sexuelles Erlebnis gewesen sei. Er antwortete: Ziemlich gut! Als Burns dann 90 wurde, wollte ein Interviewer wissen, ob er immer noch Sex habe. Er sagte: ja. Und wie das sei? Oh, du spielst Billard mit einem Stück Seil.
Gibt es weitere Regie-Pläne? In Europa?
Ich habe ein Angebot, aber es hängt alles davon ab, wie „Quartett“ läuft. Das ist eine Low-Budget-Produktion, und ich muss nun in New York und Los Angeles selber für den Film werben.
Gehen Sie dort zur Oscar-Verleihung?
Nein. Es ist auch kein großes Vergnügen. (Lächelt) Wenn man nicht muss!
Das Gespräch führte Peter von Becker
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