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Raumgreifend. „The Master“, mit Philip Seymour Hoffman als Titelheld und Joaquin Phoenix, läuft ab Donnerstag im Kino.
© Senator

The Master: Ein Gott namens Dodd

Teufelspakt zwischen einem Sektenguru und einem unzähmbaren Kriegsheimkehrer: Paul Thomas Andersons subtiler Kino-Thriller „The Master“.

Der Krieg ist vorbei und Freddie Quell am Ende, dabei fängt doch jetzt wieder das sogenannte Zivilleben an. Freddie, durchzuckt von Aggressionsschüben und konvulsivischem sexuellen Begehren, ist ein vereinsamtes Nervenbündel, er hat das, was man heute eine posttraumatische Belastungsstörung nennt. Aber damals, nach dem Pazifikkrieg Mitte des vergangenen Jahrhunderts, da gibt es nicht viel mehr als gutes Zureden für die Entlassenen aus der Marine, ein simpel normiertes therapeutisches Gespräch, und für Freddie einen Job als Kaufhausfotograf. Lächeln bitte, aber sofort!

Und saufen tut Freddie, und wie. Und was erst: Im Fotolabor mixt er Entwicklerflüssigkeit in seine Chemie-Cocktails, später macht er als Erntehelfer die Kollegen in der Arbeitskolonne mit Lackverdünner high, oder passiert das noch später, Hauptsache total besoffen, Hauptsache Lebensvorhang zu. Freddie birst vor selbst- und weltzerstörerischer Energie, Freddie ist ein hyperaktiver menschlicher Vulkan, man muss nur in sein flackerndes Auge sehen. Keine Frage, wenn er so weitermacht, wird er bald irgendwo im Rinnstein liegen, endlich tot, endlich erlöst von sich selbst.

Aber das Leben, das tückische, das gnädige, hat noch etwas mit ihm vor. Freddie lernt Lancaster Dodd kennen, den von so scheinbar ausgeglichenen Menschen umgebenen Guru auf seinem schönen Dampfer, der im Hafen von San Francisco ankert. Und Dodd alias Gott, einer der selbsternannten Art, formt aus dem Freddiewrack einen Menschen nach seinem Bilde. Auch diesem blinden Passagier wird er, so sein Plan, die Augen öffnen darüber, dass der Mensch kein Tier ist, dass er wiedergeboren wird, um mit ein bisschen Anstrengung und Hypnose oder vielleicht auch Gehirnwäsche im Wege inquisitorischer Sitzungen zu einer immer edleren Version seiner selbst heranzureifen. Ach ja, und gegen einen brutalstmöglich gemixten, irgendwie bewusstseinserhebenden Tropfen hat Dodd auch beileibe nichts einzuwenden.

Ein Pakt also. Gib mir von deinem Teufelszeug zu trinken, dafür darfst du mein Sklave sein. Oder auch eine Teufelsaustreibung – aber, bitteschön, wer ist hier der Teufel? Dodd will dem armen Teufel die Dämonen austreiben und dessen monströse Energie für sich selber nutzbar machen, Dodd führt den armen Teufel mit der Peitsche durch die Manege seiner Entourage, Dodd ist „The Master“ und Freddie sein wildes, zu zähmendes Tier. Und sein selbsternannter Bodyguard. Wie ein rasender Pitbullterrier attackiert er jeden, der seinen Meister zu kritisieren wagt.

Die Erzählung fühlt ihrem gemarterten Helden den Puls

Eine Zurichtung also eher als ein Pakt unter Freunden, wie Dodd das seltsame Verhältnis dem verlorenen, nähesüchtigen Freddie hochzudeuten sucht – und spätestens jetzt wäre von Scientology zu reden, von Ron Hubbard, dem Gründer dieser Para-Religion, und davon, dass der Film sich durchaus an Elementen der Vita dieses schillernden Scharlatans orientiert. Ist er, zumal der stets unwiderstehliche Philip Seymour Hoffman den Guru verkörpert, auch von ihm fasziniert? Ein bisschen Cocktail hausgepanschter Ideologie träufelt er durchaus in die Zuschauerhirne, macht sie zeitweise selber zu Versuchskaninchen. Andererseits geht auch der Meister bei genauerem Hinsehen an der Leine seiner leise herrschenden Frau, ein Hanswürstchen, zum Wurstmaxe gebläht. Freddie erkennt das, ein Wissen, das aufblitzt wie in Fieberschüben. Niemandes Exorzismus geschieht hier, sondern ein Exerzitium, eine Höllenfahrt.

Joaquin Phoenix ist der zerbrechliche, zerbrechende und sich doch immer wieder zusammensetzende eigentliche Held dieses Films von Paul Thomas Anderson, dem seit „Magnolia“ bis „There Will Be Blood“ grandiosen Sonderling des amerikanischen Kinos. Zu Seymour Hoffman blickt die Kamera auf und hinunter, fokussiert ihn im Blickgewitter seines Zöglings, dessen Disziplinarübungen kaum Erfolge zeitigen. Untauglich, dieser schmale Schmerzenskerl, einfach nicht hinausschickbar in die rohe Welt als endlich Geläuterter, als Thetan oder Titan, irgendwie nicht umformbar zum stets willig funktionierenden Vorbildmenschlein. Lässt der Meister ihn fallen? Befreit Freddie sich, geht er unter – oder ist das irgendwann alles eins?

Manchmal legt sich dieses Duell etwas matt in die Länge der fast zweieinhalb Stunden des Films, um dann wieder zu packen über eine Nebenfährte, ein unerhört trauriges oder auch flirrend frohes Ereignis. Und plötzlich reißt der prächtige 70-Millimeter-Horizont der Leinwand auf für eine Minute der wahren Empfindung, ganz gegen die monomanischen Monologe des Meisters, die sich als Dialoge tarnen. Und die Erzählung fühlt ihrem gemarterten Helden den Puls. Ja, er zittert. Ja, er geht.

Letzten Herbst hat „The Master“ in Venedig zwar den Regiepreis und den Preis für sein famoses Figurinenpaar gewonnen, den Goldenen Löwen aber verfehlt. Auch bei den Oscars treten nun Seymour Hoffman und Phoenix miteinander an, verstärkt durch Amy Adams, die tödlich sanfte Ehefrau des Gurus, aber die Top-Nominierung unter den besten Filmen hat die Academy „The Master“ nicht spendiert. Vielleicht wegen der nicht sonderlich verschlüsselten Sicht auf Scientology – oder auch, weil die Kritik daran nicht grob genug ausfiel? Paul Thomas Anderson schaut lieber kühl in den Kessel gefesselter Gefühle und lässt darin sein Ensemble grässlich verbogener Menschen treiben. Aufregend unbehaglich.

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