zum Hauptinhalt
Idyll, fast geheim. Der Thielpark mit seinen von Weiden umstandenen Teichen.
© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Parks: Ein Garten fürs Leben

Der Thielpark ist eine filigrane Grünfaser auf dem Stadtplan. Eine Erinnerungsreise nach Dahlem.

Sicher, es wäre vernünftiger gewesen, diesen Spaziergang am U-Bahnhof Thielplatz zu beginnen. Erstens, weil die Bahn einen da schon mal zumindest geografisch mitten in den Thielpark bringt, der vielen Berlinern unbekannt ist, ein bisschen ungeläufiger wohl noch als die Lage des Bahnhofs. Zweitens, um gleich das Kuriosum unterzubringen, dass es hier sehr wohl einen U-Bahnhof Thielplatz gibt, nicht jedoch einen Platz selben Namens, sondern nur eine Löhlein- und eine Brummerstraße, die beidseits der hier in offener Troglage geführten U-Bahnlinie 3 Richtung Krumme Lanke verlaufen. Und drittens natürlich wegen Thiel.

Andererseits unternehme ich hier eine Erinnerungsreise in eine Zeit, als ich mich für vieles interessiert habe, nicht jedoch für Parkpaten mit Namen Thiel. Als ich 18 war und für kurze Zeit in dieser schönen Gegend im Berliner Südwesten lebte, wusste ich also nicht, dass Hugo Thiel, hoher Beamter im preußischen Ministerium für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, in den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts maßgeblich an der Umwandlung Dahlems vom Ackerland zum Villenviertel beteiligt war. Und ebenso wenig, dass sich Thiel 1879, bereits mit 40, „Geheimer Regierungsrat“ nennen durfte, um später – wirklich geheimnisvoll – zum „Wirklichen Geheimen Rat“ aufzusteigen. Und die Büste dieses Glatzkopfs mit Rauschebart in der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Uni, heute zwei flotte Klicks nah? Die war damals ganz besonders weit weg. Ost-Berlin eben.

Also: nicht via Thielplatz in den Park, sondern ab Dahlem-Dorf, eine U-Bahnstation näher an der Stadt, und als Annäherungsversuch ist das ebenso zulässig. Denn der Thielpark, diese filigrane Grünfaser auf dem Stadtplan, schlängelt sich von der Clayallee erst ostwärts Richtung Dahlemer Ortskern, um dann auf halbem Wege stracks nach Süden abzubiegen. Und auch ich selber stieg damals, als ich 18 war, in der ummauerten Halbstadt, immer in Dahlem-Dorf aus, wenn ich von der Weddinger Schule kam, und ging die letzten paar hundert Meter zu Fuß. Nach Hause, ins ziemlich unverschämt Grüne, und der Thielpark lag fast nebenan.

So unendlich lange war ich nicht mehr hier. Keine Augen hatte ich damals für die Wohlsituiertheit einer Berliner Gegend, in der bis heute sogar die Imbissbuden reetgedeckt sind wie das Bahnhofsdach und Cafés zum Beispiel Kornfeld Café heißen, als ginge die einstige Domäne Dahlem bis in die Steglitzer Mietskasernenwelt weiter. Oder sah alles rund um den Bahnhof schlichter aus damals, oder macht die Erinnerung es so? Wo heute ein hübsches Asia-Schnellrestaurant lockt, war eine düstere Fahrschule untergebracht, deren Inhaber sich mit meinen Führerscheinhoffnungen mühte. Vieles ist anders, bunter, größer, auch die Schleicher’sche Buchhandlung gegenüber. Nur dass sie heute, etwas glatter, Schleichers Buchhandlung heißt, mit Jürgen Schleicher als Inhaber seit 44 Jahren.

Aber jetzt nicht stöbern und wie immer alle Zeit im Buchladen vergessen, und auch nicht in den Alten Krug Ecke Fabeckstraße, wo die Wochenkarte montags immer Schnitzel bietet und freitags Fisch. Sondern zum Park. Eine freundliche Sonne scheint spät am Tag und spät im Jahr und auch nicht mehr besonders früh im Leben – das richtige Wetter für den Thielpark und seine Spaziergänger, jedenfalls in jenem Winkel, aus dem ich mich dem Park nähere und der ohnehin seine schönste Seite ist. Abbiegen von der Königin-Luise-Straße, wo wir damals vergleichsweise unfein zur Miete zwischen Grund-, Real- und Höherer Schule wohnten, südwärts in den Bachstelzenweg und über die Bitterstraße, in der sie unlängst die Äste der hohen Platanen restlos abgeraspelt haben wie für einen Horrortraum. Aber dann!

Der Park umfasst mich, wie früher. Er umschmeichelt einen, lockt und spielt. Die nach Süden ausgerichteten Bänke am nach Friedrich Meinecke – noch so ein Preuße, die Inschrift auf einem Feldstein erinnert an den Historiker – benannten Fußgängerweg sind von Natursteinmäuerchen und immergrünen Hecken eingefasst; man sitzt also, ohne den Vorbeigängern ein Bein zu stellen und fein geschützt gegen den Wind. Der Blick geht hinunter zu den Weiden, die als erste grünen im Jahr und wohl als letzte ihr Laub abwerfen, und zum Teich, zu Enten, Binsen und Schilf. Hier also sind mein Bruder und ich mit dem Rad runtergesaust damals, wieder und wieder, sogar winters übers Eis? Den Schutzengel gegen Hals- und Beinbruch hatten wir immer dabei.

Ein Garten, dieser Park. Ein Luxus in einem Stadtteil, wo nahezu jeder seinen eigenen Garten besitzt, wir hatten es immerhin zu einer Terrasse in der ersten Etage gebracht. Ja, wer das Glück hat, ein Jahr oder auch zwei am Rande dieses Gartens zu leben, auf dessen Höhen das Sonnenlicht kaum vergehen mag, hat einen Wärmevorrat für viele Winter und überhaupt. Später bin ich an Ausfallstraßen gezogen, in Mansarden, und irgendwann bringt der Mensch es ja meistens zum Balkon. Vom Thielpark bleiben Wärme und Weite, und das auf einem lächerlichen Fastnichts an Fläche.

Ich gebe zu: Ich kannte damals kaum mehr als dieses Zauberstück des Parks. Kaum den verkrauteten Teich westlich der Gelfertstraße, kaum jenes schon schattigere Areal unter Kiefern nach Süden, zum Universitätsgelände hin. Die Uni kam später, und bald ging es sowieso nach anderswo. Die Gässchen, die diesen Teil begrenzen, heißen scharfkantig: Auf dem Grat. Oder auch düster: Im Schwarzen Grund. Hier zeigen die Grundstücke dem Park nur ihr weitläufiges, mit Eisenzaunzähnen, Wachdienstwarnschildern und Kameras bewehrtes Privatgrün, das die Welt auf Abstand hält und man kaum mehr Gärten nennen mag. Im Park selbst wächst der Efeu hier klamm an schwarzen Stämmen hoch, und die hingepackten Sitzbänke, umgeben von hässlichen Mülltonnen, stehen fast im Weg.

Nicht meins. Nicht das gewesene Eigene. Schon finde ich mich am U-Bahnhof Thielplatz wieder, hinter dem der Park noch ein bisschen weitergeht, und auf der Freifläche vorm Bahnhofseingang und dem Imbiss mit den Studentenpreisen streben die Studenten heimwärts oder sonst wohin. Zwei stehen voreinander, sie sind 18 oder nur ein bisschen älter, er kündigt tapfer an, ab jetzt wieder seine Freiheit zu genießen, sie sieht an ihm vorbei und schweigt. Und die Novembersonne ist weg hinter den Bäumen.

Zur Startseite