Pearl Jam live in Berlin: Ein Feuerwerk der Rock-Referenzen
Schwitzen, singen und hüpfen in der Waldbühne: Das Publikum liegt den Rockern von Pearl Jam bei ihrem Berlin-Konzert von Anfang an zu Füßen.
Das erste Statement setzen Pearl Jam schon bevor sie anfangen. Eine Vorband gibt es nicht. Das Publikum in der Berliner Waldbühne vertreibt sich die dreieinhalb Stunden seit Einlass mit La Ola und Bier in der Nachmittagssonne. Vielleicht, weil sie ahnen, dass hier gleich ein Referenz-Feuerwerk durch die jüngere Rockgeschichte abgeschossen wird. Punkt 20 Uhr eröffnet Sänger Eddie Vedder mit „Wash“, und man will ihm hier gleich bei der ersten Zeile „Please let it rain today“ widersprechen. Danach wird es an diesem Abend auch schon schwierig, nicht mit ihm einer Meinung zu sein – zumindest musikalisch. Zweiter Song, „Sometimes“, balladig.
Eine Bühnendeko gibt es nicht, die Leinwand zeigt Schwarzweißbilder. Pearl Jam sind eine dieser Bands, die viel können und nur wenig zur Schau tragen. Praktisch die Anti-Rammstein. Es funktioniert, schon jetzt sitzt kaum noch jemand auf den Rängen. Das kann ja was werden. Was genau, begreift man ein paar Takte später bei „Corduroy“. Der Song geht nach vorne, Eddie Vedder spielt jetzt auch Gitarre, obwohl er besser singt, wenn er beide Hände am Mikro hat. Das Publikum hüpft, weil das auf Konzerten eben die logische Steigerung von Stehen ist.
Ein bisschen „Yeah"-Dialog mit dem Publikum, ein paar nette deutsche Phrasen – Vedder hat extra einen Notizzettel dabei –, Gitarrist Mike McCready spielt sich schon mal warm. Würden sie nicht stehen und hüpfen und Fahnen schwenken, das Publikum läge ihnen zu Füßen. Es sind kaum 15 Minuten rum.
Die meisten im Publikum sind um die 40
Natürlich liegt das in erster Linie an der Band, einen wesentlichen Anteil haben jedoch auch die Fans. Erstens sind sie treu: Weil Pearl Jam dafür bekannt sind, keine Show wie die vorige zu spielen, reist ein beträchtlicher Block ihnen hinterher. Im Publikum wehen Flaggen aus Nepal, Chile, Frankreich und der Türkei, man hört Spanisch, Englisch, Russisch und Bayerisch. Bei so viel Nerdhaftigkeit kann die Band sich auf Textsicherheit und Begeisterung verlassen.
Und zweitens hat das Publikum eine selten homogene Altersstruktur, die meisten sind um die 40. Das liegt wohl daran, dass Pearl Jam noch nicht lang genug auf Tour sind, um schon als Rockopas durchzugehen. Bei Springsteen, den Stones und Co. sieht man vor allem ältere Herren, die ihre längst erwachsenen Kinder mitbringen. Andererseits sind die Musiker zu lange im Geschäft und ist der Grunge schon zu lang aus der Mode, um eine nennenswerte Zahl junger Fans anzulocken.
Nirvana-Vergleiche drängen sich auf
Unterm Strich bedeutet das, die meisten hier waren in den Neunzigern gerade aus der Pubertät raus und sind demnach mit Pearl Jam aufgewachsen. Für den Fall, dass sich sich doch mal jemand Jüngeres hierher verirrt haben sollte, schiebt die Band noch schnell „Why Go“ ein, eine Erinnerung daran, wo praktisch der gesamte Nu-Rock von Rage Against the Machine bis System of a Down seine Wurzeln hat.
Und dann gleich noch eine Referenz: Bei „Habit“ klingen Pearl Jam– live noch viel mehr als im Studio – endgültig blutsverwandt mit den ewigen, ungeliebten Brüdern von Nirvana. Man könnte das als wahrlich durchgekauten Vergleich abtun, würde Vedder nicht förmlich darum betteln, als er am Ende des Songs seine Telecaster in die Luft wirft, um dann beim Fangen zu scheitern. Kurt Cobain hat sich auf die Weise mal selbst ausgeknockt, Vedder immerhin bleibt unversehrt. Tragikomische Mini-Analogie der Rockgeschichte.
Andere Musiker haben das letzte Wort
Die Band aus Seattle hat die große Fähigkeit, sich ihrerseits in unterschiedlichen Genres zu bewegen. „Red Mosquito“ ist ein klassischer Pentatonik-Blues, „Lukin“ ein schnelles Punkbrett – Vedder widmet es Johnny Ramone und lobt nebenbei das Berliner Ramones-Museum als eines der besten der Welt. Und „Given To Fly“ klingt nach feinem Brit-Crunch, Mike McCreadys Soli nach Stevie Ray Vaughn. Und dennoch ist immer unzweifelhaft, dass es Pearl Jam sind.
Zum Schluss wären da ja noch die expliziten Verneigungen der Band. „Angie“ von den Stones wird angespielt, das stand zuletzt 2009 auf der Setlist, übrigens ebenfalls in Berlin. Als Zugabe wird der Smashhit „Alive“ eingerahmt von „Comfortably Numb“, einem Pink-Floyd-Cover, und zum Schluss Rockin' in the Free World von Neil Young, mit dem die Band 1995 das Album „Mirror Ball“ aufnahm. Einem anderen Musiker das letzte Wort zu überlassen, ist dann das letzte Statement des Abends. Eine nette Geste, aber am Ende klingt es ja doch nach Pearl Jam.
Christian Vooren
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