Kultur: Ein Bund für Berlin
Warum die Kultur in der Hauptstadt ein nationales Projekt ist / Von Monika Grütters
An der Frage nach der Rolle Berlins in der deutschen Kulturpolitik scheiden sich die Geister, nicht erst seit dem Urteil der Karlsruher Richter. Die einen beklagen den finanziellen Aufwand – das Land Berlin wendet etwa 360 Millionen Euro jährlich für die Kultur auf, der Bund mehr als 420 Millionen; andere provozieren mit der polemischen Frage: „Braucht Berlin drei Opernhäuser?“ Die Antwort kann nur in der Qualität der Kunst selbst liegen. Kulturpolitik in und für Berlin ist zunächst Landespolitik und damit Anstoß selbstbewussten Wetteiferns im Konzert der anderen föderalen Glieder der Bundesrepublik. Weil aber Berlin der Ort brandenburgischer, preußischer, deutscher, europäischer und Weltpolitik gewesen ist, wird das „normale“ Kulturinteresse eines Stadtstaates von knapp vier Millionen Einwohnern weit überstiegen: Berlin ist ein Schlüsselort moderner Weltkultur und zugleich der wichtigste Ort der Erinnerung an die Barbarei, die durch Deutschland über Europa kam. Und Berlin ist der Ort der Erinnerung an die jahrzehntelange Spaltung der Welt und an ihre glückliche Überwindung mit dem Fall der Mauer. Schließlich ist Berlin die Hauptstadt. Was in ihr kulturell gelingt, wird in den Augen der Welt ganz Deutschland gutgeschrieben.
Kulturpolitik in Berlin ist also, ob sie es will oder nicht, auch Bundespolitik. Diesem Gedanken ist auch der Hauptstadtkulturvertrag verpflichtet. Immerhin gibt es ihn ja: Am 7. Juli 2001 wurde er zwischen dem Bund und Berlin geschlossen, seine aktuelle Fassung trat Anfang 2004 in Kraft. Diskutiert werden aber immer wieder die mangelnde Systematik des Vertrags und die Frage, ob man dem Bund auch neue Einrichtungen übertragen könnte und sollte.
Der Hauptstadtkulturvertrag regelt bislang die Übernahme folgender Berliner Institutionen durch den Bund: Jüdisches Museum, Berliner Festspiele, Haus der Kulturen der Welt, Martin-Gropius-Bau, Deutsche Kinemathek und Akademie der Künste. Zusätzlich leistet der Bund einen jährlichen 10-Millionen-Euro-Zuschuss zum Hauptstadtkulturfonds, mit dem innovative Kulturprojekte gefördert werden sollen. Außerdem hat er sich verpflichtet, für Bauinvestitionen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Sanierung der Museumsinsel eine Dekade lang jährlich etwa 30 Millionen Euro bereitzustellen und trägt überdies fünf Millionen Euro zur Finanzierung von Gedenkstätten und Ehrenmalen bei.
All das ist weitgehend unbestritten. Was die Diskussion erneut anfacht, ist die Bittstellerhaltung der Berliner Landespolitiker gegenüber dem Bund, vor allem die Frage nach der Übernahme der Staatsoper, die der Regierende Kultursenator Klaus Wowereit der Kanzlerin wie Sauerbier anbietet. Schon der Stil ist Teil des Problems: Wowereit hat die Braut ja nicht geschmückt, um sie dann liebevoll in andere Hände zu geben, sondern er macht keinen Hehl daraus, dass ihm die Finanzierung des maroden Knobelsdorff-Baus lästig und die Konsolidierung der Opernstiftung mit ihren drei Häusern aufgrund etlicher Geburtsfehler bei ihrer Gründung missglückt ist. Also möchte er ein Problem loswerden.
Ein Zugeständnis des Bundes angesichts der inzwischen dramatischen baulichen Situation ist die Bereitstellung eines Sanierungsanteils in Höhe von 50 Millionen Euro. Die Antwort des Landes aber kann nur Zweifel an Wowereits politischem Instinkt aufkommen lassen. Denn Berlins freche Reaktion, seinen eigenen Sanierungsanteil nicht investieren zu wollen, sondern die ganze Oper an den Bund abzuschieben, ist fatal, weil sie – ausnahmsweise mal vollkommen zu Recht – die Kritiker aus den anderen Bundesländern bestätigt, die Berlins anmaßende Haltung nicht bedienen wollen, solange das Land (angeblich) keine Anstrengungen unternimmt, seine Probleme selbst zu lösen.
Die Verantwortlichen auf Bundesebene sind hoffentlich souverän genug, anzuerkennen, dass die Hauptstadt trotz ihrer politisch ungeliebten Regierungskoalition gerade kulturell nicht heruntergewirtschaftet werden darf. So liegen Überlegungen nahe, wie die Kulturnation in Berlin über das bisherige Maß hinaus tätig werden kann, etwa im Kontext der Gedenkstättenpflege. Die Berliner Mauer ist keine Landesangelegenheit; ihre Überreste sind ein internationales Fanal gegen Diktatur. Bund und Land haben sich daher auf eine gemeinsame Finanzierung der Mauergedenkstätten verständigt.
Aber ist das Gedenken an dieses bedeutende Symbol der Teilung der Welt nicht eine Angelegenheit der gesamten Republik? Zurzeit stoppt der Bund durch den Ankauf noch nicht bebauter Mauergrundstücke für bislang 6 Millionen Euro eine Entwicklung der letzten Jahre, die die Mauer mit all ihren Schrecken aus dem Bewusstsein zu verdrängen drohte. Der Ausbau der Gedenkstätte an der Bernauer Straße, ein sichtbares Denkmal am Brandenburger Tor, der Tränenpalast, eine Lösung für die Situation am Checkpoint Charlie: Die Bündelung der Verantwortung für diese Orte wäre sinnvoll.
Anders als die Akademie der Künste hätte auch die Gesamtverantwortung für die Topographie des Terrors in die Hand des Bundes gehört. Jetzt wäre es an der Zeit, die Stiftung zur Aufarbeitung des Unrechts des Dritten Reiches durch deren Einbeziehung zu komplettieren. Kritiker könnten dem entgegenhalten, dass die Gedenkstättenpolitik bundesweit eine Mischfinanzierung vorsieht. Aber Berlin als Hauptstadt der NS-Diktatur und dann der DDR kann mit all seinen Orten, die uns heute Mahnung und Verpflichtung sind, nicht mit den anderen 15 Bundesländern gleichgesetzt werden.
Anders läge der Fall, wenn der Bund die Staatsoper übernähme. Dann könnten die übrigen Länder völlig zu Recht auf ihre eigenen Probleme etwa bei der Finanzierung ihrer Theater (aktuell in Thüringen) verweisen. Bisher ist der Bund nirgendwo alleiniger Träger einer Bühne. Hinzu kommt, dass die Staatsoper mittlerweile Teil einer Stiftung ist, unter deren Dach künstlerische und wirtschaftliche Synergien aller drei Berliner Musiktheater erreicht werden sollen.
Hier könnte ein Systembruch zum Sündenfall für die Kulturrepublik werden und in der Nation mit der höchsten Theaterdichte der Welt Begehrlichkeiten aller anderen Bundesländer wecken. Da wäre es nur eine vergleichsweise kleine finanzielle Anstrengung, das jährlich stattfindende Internationale Literaturfestival bei den vom Bund getragenen Festspielen zu verankern. Eine Summe von aktuell 350 000 Euro, die bis dato aus dem Hauptstadtkulturfonds erbracht wird, könnte das Festival retten. Es verdankt sich einer privaten Initiative und hat sich nach sechs Jahren fest im Kulturleben der Republik verankert.
Da der Hauptstadtkulturfonds Innovatives fördern soll, ist die seit Jahren praktizierte quasi-institutionelle Finanzierung sowohl des Literatur- als auch des bei der Berliner Literaturwerkstatt angesiedelten Poesiefestivals zum Problem geworden. Den Festspielen fehlt als einzige künstlerische Gattung bisher die Literatur: Diese Lücke könnte mit dem Literaturfestival geschlossen werden. Das Poesiefestival dagegen ist Teil des Programms der Berliner Literaturwerkstatt und also Sache des Landes.
Die Krönung des Bundesengagements in Berlin aber könnte die Übernahme der Stiftung Berliner Philharmoniker sein. Sie folgte einer anderen Logik als ein Bundesbetrieb der Staatsoper: Während diese in der deutschen Opernlandschaft viele Schwestern hat, sind die Philharmoniker unter Simon Rattle eines der besten Orchester der Welt, vielleicht sogar das beste. Und somit ein Solitär. Schon einmal, quasi als Auftakt zu den Hauptstadtkulturvertragsverhandlungen, haben die Akteure, Kulturstaatsminister Michael Naumann und Kultursenator Christoph Stölzl, die Philharmoniker dem Bund übertragen wollen. Damals wurde das aber als „Cherry picking“ des Bundes abgelehnt: Der Bürgerstolz Berlins wehrte sich, man wollte nicht gleich sein „Bestes“ abgeben. Der Diepgen-Senat reagierte klug: Der Etat für die Musiker wurde erhöht, das Orchester in die Rechtsform einer Stiftung überführt. Dank der neuen Rechtsform agieren die Philharmoniker heute freier als am kurzen Gängelband der (Berliner Landes-)Politik, auch hat sich die Hoffnung erfüllt, dass eine solche Verfassung Sponsoren ermutigt, sich nachhaltig und großzügig zu engagieren.
In diesem Jahr feiern die Philharmoniker ihr 125-jähriges Bestehen. Mit einer Übernahme ihrer Stiftung würde der Bund den Kulturetat des Landes um 14,47 Millionen Euro jährlich entlasten, ohne die Kritik der anderen Bundesländer auf sich ziehen zu müssen. Sollte es die Bereitschaft auf Bundesebene geben, über ein breiteres Berlin-Engagement nachzudenken – und das ist ja nicht nur Aufgabe der Kultur-, sondern vor allem der Haushaltspolitiker –, könnte Berlin endlich in die Lage versetzt werden, sein Staatsopern-Problem selbst zu lösen.
Zwar kennt der Föderalismus keine „Kulturhauptstadt“, aber das alte europäische Modell der kulturell strahlenden Hauptstadt ist unersetzlich. Über die gemeinsame Verantwortung für die Kultur in Berlin kann und soll deshalb immer wieder neu nachgedacht werden.
Die Autorin ist Obfrau für Kultur in der CDU-Bundestagsfraktion.
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