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Sophiensäle: Ein bisschen bröckeln darf es noch

Die Sophiensäle sind für knapp drei Millionen Euro sanft saniert worden. Es gibt mehr Licht, eine Lüftung und eine neue künstlerische Leiterin. Ein Baustellenbesuch vor dem großen Wiederöffnungsfest.

Es hämmert, schlägt, kracht und kreischt. Staub wirbelt auf, Sägemehl hängt in der Luft. Arbeiter beäugen kritisch die kleine Besuchergruppe und bohren einfach weiter. Ein Höllenlärm. Noch hat die Kunst hier nichts zu melden. Der backsteinerne Gründerzeithof ist zugeparkt, ein Gerüst verdeckt die Fassade. Aber die Stangen werden schon abgebaut, die Planen verschwinden. Die Bauarbeiten sind in der letzten Phase. Bis Freitagabend muss alles fertig sein – zumindest in den Bereichen, die dem Publikum zugänglich sind. Denn dann werden die Sophiensäle nach halbjähriger Renovierung wiedereröffnet.

Wie bitte? Ausgerechnet die Sophiensäle? Dieses in prachtvoller Schönheit verfallene Ensemble des ehemaligen Handwerkervereinshauses in Mitte, wo die Treppenstufen knirschten, der Putz abblätterte, der Sound des Theaters aus den zugigen Fenstern nach draußen in die Nacht drang? Dieses Gebäude, das so wunderbar passte zu dem, was dort stattfand, zum Provisorischen, Vorläufigen, dem Erkunden, Herausfinden, Forschen? Dieses morbide Mauerwerk, aus dem Neues entstand – ausgerechnet das ist renoviert, poliert und auf Hochglanz gebracht worden?

Ganz so wild ist es nicht. Erster Eindruck: Es hat sich gar nicht viel verändert. Noch immer krümmt und schält sich der Putz von der Decke, jetzt vielleicht ein bisschen überarbeitet, damit er nicht plötzlich in den Kragen der Besucher rieselt. Einige Treppenstufen haben neue Kanten. Der alte Lastenaufzug ist verschwunden, was mehr Licht und Freundlichkeit ins Treppenhaus bringt. Massivere Eingriffe gibt es im ersten Stock. Die großen silbernen Lüftungsrohre passen nicht zu den historischen Räumen, aber sie müssen sein. Im Festsaal, dem Kern des Hauses, wurden Stahlträger gesandstrahlt und eine Mauer im ersten Stock abgerissen. Dahinter lag eine Galerie, die jetzt wieder sichtbar ist, was dem Saal seine ursprüngliche Raumwirkung zurückgibt. Eine Spezialität sind die Kastenfenster: Innen alt, außen neu – originalgetreu rekonstruiert und schalldicht, damit jetzt endlich gespielt, gesungen und nach Herzenslust geschrien werden kann, ohne dass die Anwohner sich gestört fühlen. Radikal heutig sind die Toiletten und Duschen für die Künstler. Annähernd drei Millionen hat das gekostet, das meiste kam von der Lottostiftung, eine halbe Million vom Eigentümer des Hauses.

Der Sanitärbereich war, neben dem Brandschutz und der fehlenden Lüftung einer der Gründe für den Eingriff. Besuchern und Künstlern wenigstens ein Mindestmaß an Komfort zu bieten – ohne deswegen gleich die Seele des Hauses zu verkaufen. Es war eine Gratwanderung. Geschäftsführerin Kerstin Müller muss immer wieder erklären, wie behutsam man vorgegangen sei, dass vieles belassen wurde, wie es war – es klingt ein bisschen nach Verteidigung. Eine radikalere Sanierung hätte wahrscheinlich einen Aufschrei in der freien Szene hervorgerufen.

Seit 15 Jahren bieten die von Jochen Sandig, Sasha Waltz und Jo Fabian gegründeten Sophiensäle Künstlern aus der freien Tanz- und Theaterszene eine Plattform, unterstützen sie bei der Darstellung, verhelfen ihnen zu mehr Aufmerksamkeit – wobei die Gäste Geld mitbringen müssen, die Sophiensäle haben keinen eignen künstlerischen Produktionsetat. Dafür haben sie jetzt ein neues Leitungsteam. Mit Franziska Werner gibt es jetzt eine künstlerische Gesamtleiterin – eine Position, die es vorher nicht gab. Werner hält die Fäden in der Hand und hat das letzte Wort. Ilka Seifert ist für Musik und Musiktheater, Peter Pleyer für Tanz zuständig. Künftig soll der Nachwuchs noch stärker gefördert werden, sollen Künstler, die hier groß geworden sind, als Mentoren auftreten, darunter Nico and the Navigators, Sasha Waltz selbst und – eventuell – Constanza Macras.

Welche Trends könnten die freie Szene in nächster Zeit prägen? „Im Bereich Tanz scheint mir die Zeit von Theorie und Konzept, die zweifellos sehr wichtig war, vorbei“, sagt Pleyer, „und eine neue Bewegung und Körperlichkeit kehrt in die Arbeiten zurück.“ Ilka Seifert beobachtet, dass es immer häufiger um die Gemeinsamkeit von Kunst und Wissenschaft geht, um das offene Denken. Nicht umsonst klingen „Experiment“ und „experimentell“ fast gleich. Im Januar zum Beispiel werden sich Giovanni Frazzetto (Text), Sommer Ulrickson (Regie) und Amos Elkana (Musik) in „Never Mind“ mit den Identitätsverwirrungen des „Capgras-Syndroms“ befassen, bei dem Patienten vertraute Personen nicht erkennen können und als Betrüger wahrnehmen.

Die erste große Premiere nach der Wiedereröffnung wird Tschechows „Kirschgarten“ am 9. Dezember sein. Nein, meint Franziska Werner, das Staraufgebot (Joachim Król, Lars Rudolph, Devid Striesow) bedeute keine Neuausrichtung der Sophiensäle, und das Stück sei auch keine Anspielung auf die Renovierung: „Thorsten Lensing und Jan Hein, die Regisseure, haben früher schon bei uns inszeniert, auch mit Stars, und der ,Kirschgarten‘ war lange vor dem Umbau geplant.“

Am Freitag bei der Wiedereröffnungsparty ist das Haus selbst der Star. Es gibt fünf thematische Führungen, Speeddating mit dem Leitungsteam, mehrere DJs. Der Künstler Arik Hayut, der während der Arbeiten nebenan im Hof gewohnt hat, verarbeitet sein Baustellentrauma in einer Sound-Video-Installation. Außerdem dabei: der märkische Bauhandwerkerchor. „Den gibt’s wirklich“, sagt Franziska Werner, „das ist kein Projekt.“

Sophiensäle, Sophienstr. 18, Freitag, 2.12., ab 19 Uhr: Wiedereröffnungsfest, Ausstellung, Führung, Eintritt frei

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