Kultur: Ein Bett aus Beton
Ikone der Moderne: Le Corbusiers Haus in der Stuttgarter Weißenhof-Siedlung ist gerettet
Ein Haus auf Stelzen, ein Zelt aus Stein, für Großstadtnomaden: Das 1927 von Le Corbusier errichtete Doppelhaus der Stuttgarter Weißenhofsiedlung zählt zu den Architektur-Inkunabeln der Moderne. Mit dem gleich nebenan gebauten Einfamilienhaus desselben Architektenteams – Le Corbusier entwickelte die Projekte mit seinem Vetter Pierre Jeanneret – gehört es zu den extravagantesten Gebäuden der Siedlung, die unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe für die Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“ errichtet worden sind.
Gebaut wurde damals in sagenhaften zweieinhalb Monaten. Nun ist das Haus nach drei Jahren Arbeit durch die Ludwigsburger Wüstenrot Stiftung vorbildlich restauriert worden. 2006 wird die Kommune in beiden Haushälften ein „Weißenhofmuseum“ eröffnen: für die lange vernachlässigte Mustersiedlung des „Neuen Bauens“ hoffentlich das Startsignal für eine Revitalisierung.
Nach bestem denkmalpflegerischen Wissen und Gewissen renoviert wurde auf dem Weißenhof schon einmal. Nachdem 1977 eine Bürgerinitiative auf den katastrophalen Zustand der Siedlung aufmerksam gemacht hatte, erfolgte ihre Generalinstandsetzung zwischen 1981 und 1987 durch die Staatliche Hochbauverwaltung Stuttgart. Für das Corbusier-Doppelhaus hieß das: Teilrekonstruktion der Anfang der dreißiger Jahre zerstörten Innenausstattung; aber auch der erneut in Kauf genommene Verlust originaler Substanz, um moderne bautechnische Standards zu erreichen. Die in Bundesbesitz befindlichen Wohnhäuser werden noch immer vermietet.
Zum 75. Geburtstag des Weißenhofs 2002 entschloss sich die Kommune, das Corbusier-Doppelhaus vom Bund zu erwerben und herzurichten. Dabei sollten auch Fehlinterpretationen der achtziger Jahre korrigiert werden. Die Restaurierung älterer Restaurierungen – in Museen längst konservatorischer Alltag – ereilte nun erstmals ein Baudenkmal der klassischen Moderne.
Seinen sichtbarsten Erfolg feiert die Restaurierung an der Straßenfassade: Der 1932/33 eingebrachte Keller wurde so weit abgetragen, dass die untere Stützmauer um 33 Zentimeter abgesenkt und die originale Länge der schlanken Stahlstützen, die das Wohngeschoss tragen, wieder freigelegt werden konnte. Zusammen mit der um wenige Zentimeter abgesenkten Brüstung der Dachterrasse ergibt sich so in Verbindung mit der nach Befund erneuerten Farbigkeit – blaue Stützen, rotbraune Wandrücklagen im Erdgeschoss, gebrochenes Weiß für die Außenwände – weitgehend das schnittige, durch horizontale Fensterbänder geprägte Bild von 1927.
Dabei ist vieles nicht mehr „original“: so auch das rasante Flugdach über der Dachterrasse. Nach gründlichen Materialuntersuchungen des erhaltenen Daches von 1927 entschieden sich die Stuttgarter Architekten Mark Arnold und Arne Fentzloff vom Büro „Architektur 109“ für einen kompletten Neubau. Über 80 Prozent der historischen Substanz hätten ohnehin ausgetauscht werden müssen.
Solchen Kompromissen zwischen Sicherheit, konservatorischem Ethos und den Wünschen der künftigen Nutzer begegnet man auf Schritt und Tritt: etwa bei den nach heftigen Diskussionen nun zum zweiten Mal rekonstruierten Bettschränken im kombinierten WohnSchlafraum der rechten Haushälfte. Le Corbusier und Alfred Roth, der beide Häuser vor Ort ausführte, hatten in diesen Einbaumöbeln aus Beton die Betten versteckt, damit man sich tagsüber ungestört bewegen könne. „Corbus“ Ziel: „eine Art Verbindung von Schlaf- und Salonwagen, entweder für den Tag oder für die Nacht eingerichtet.“ In den Achtzigerjahren waren die Bettschränke schon einmal rekonstruiert worden, damals allerdings länger als ursprünglich, um moderne Bettgestelle unterbringen zu können. Nun wurden sie erneut nachgebaut, zwar in den originalen Maßen, aber in Stahl und Holz, um für die künftige Museumsnutzung Gewicht zu sparen.
Leicht haben es sich die Architekten, das flankierend tätige Landesdenkmalamt Baden-Württemberg und die Wüstenrot Stiftung mit ihrem Beirat, zu dem auch der Münchner Bauhistoriker und Corbusier-Kenner Norbert Huse gehört, fraglos nicht gemacht bei den Fragen, wie mit dem vielfach Veränderten umzugehen sei. Herauspräpariert hat man ein einzigartiges Baukunstwerk, dem mit helfender Hand nur der geringstmögliche Schaden zugefügt wurde. Für die in Stuttgart geplante Gründung einer „Stiftung Weißenhof“, aber auch für „Corbus“ Nachbarn am Weißenhof lässt es hoffen.
Le Corbusier sah seine Häuser übrigens nur ein einziges Mal, im Oktober 1927, zwei Wochen vor Ausstellungsschluss – und war enttäuscht. Werbeleute haben den Signalwert seiner Architektur dagegen schnell erkannt: Eine Autoreklame von 1927 zeigt das Doppelhaus, vor dem eine schöne Frau mit dem neuesten Mercedes-Cabriolet posiert.
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