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Alfred-Kerr-Preis: Ein befreiender Tanz

Die 21-jährige Theaterschauspielerin Julia Häusermann erhält den Alfred-Kerr-Preis.

Die Preisträgerin muss sich in Geduld üben. Sie hat all den Reden und Grußworten im Haus der Festspiele gelauscht. Dem bemerkenswert freien Festvortrag des großen Günther Rühle, Präsident der Alfred-Kerr-Stiftung. Den pointierten Gedichten des Theaterkritikers Kerr, subtil intoniert von Gerd Wameling. Und schließlich der Laudatio von Thomas Thieme. Jetzt endlich gehört die Bühne ihr. Ein überwältigender Moment. Julia Häusermann schlägt die Hände vors Gesicht, fächelt sich Luft zu, vergießt auch ein paar Tränen. Von ihrer überschießenden Ansprache sind eigentlich nur die Worte „Danke, danke, danke“ zu vernehmen. Alles Weitere geht unter, in Rührung und Schweizerdeutsch.

Thomas Thieme, Alleinjuror des Alfred-Kerr-Darstellerpreises, hat eine bestürmend überzeugende Entscheidung getroffen. Der Preis ist mit 5000 Euro dotiert und wird durch die Alfred-Kerr-Stiftung und die Tagesspiegel-Stiftung finanziert. Unter all den jungen Schauspielerinnen und Schauspielern, die sich beim 50. Theatertreffen als Nachwuchsgrößen aufgedrängt hätten, fiel seine Wahl auf eine kleine, rothaarige, bisher unbekannte Frau. Die 21-jährige Julia Häusermann, die beim Züricher Theater Hora spielt, hat das Down-Syndrom. Sie zählt zu den elf Protagonisten der Inszenierung „Disabled Theater“ von Jérôme Bel, die von sich erzählen, tanzen, schweigen. Und die den Zuschauer herausfordern, seinen Blick auf Behinderte zu reflektieren.

Die Produktion hat ja durchaus Kontroversen aufgeworfen – und Diskussionen darüber, ob Bel seine Darsteller vorführe. Tatsächlich kann das „Disabled Theater“ in die Freakshow kippen. Und zwar dann, wenn Publikum und Kritik in herabwürdigender Umarmung das Spiel des Behindertenensembles als liebenswert und authentisch verkitschen. Doch dass die Darsteller dem Zooblick durch ihre Energie trotzen, lässt sich schwerlich bestreiten.

Thieme hat die Konvention gesprengt, wonach im Behindertentheater nur Kollektivleistungen zu würdigen sind. Warum soll es nicht auch hier leuchtende Protagonisten geben? Wie Julia Häusermann, die in dem Stück zu Michael Jacksons „They Don't Care About Us“ eine zärtlich-wilde Choreografie inklusive Moonwalk hinlegt. Die jetzt in einer Preisträgerreihe mit Fritzi Haberlandt, Lina Beckmann, Fabian Hinrichs steht.

Alfred Kerrs Tochter, die bald 90-jährige, staunenswert vitale Judith Kerr, grüßte das Publikum in einer Videobotschaft. Sie wünsche sich, sprach die in London lebende Schriftstellerin, „dass wir bei dieser Verleihung alle ein bisschen an meinen Vater denken. Ich habe ihn sehr geliebt“.

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