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Jurjews KLASSIKER: Ein Auge zum Lachen, eins zum Weinen

Eigentlich wollte ich diesmal über Wladislaw Chodassewitsch (1886 – 1939) schreiben, einen der feinsten Lyriker und giftigsten Literaturkritiker des 20. Jahrhunderts.

Eigentlich wollte ich diesmal über Wladislaw Chodassewitsch (1886 – 1939) schreiben, einen der feinsten Lyriker und giftigsten Literaturkritiker des 20. Jahrhunderts. Anlass wäre der im Wuppertaler Arco Verlag russisch-deutsch erschienene Gedichtband „Europäische Nacht“ gewesen. Ich wollte zeigen, wie Bilder in der Übersetzung schon aus sprachgesetzlicher Notwendigkeit heraus vom Original abweichen müssen. Nachdem diese Kolumne heute aber zum letzten Mal erscheint, um neuen Formen zu weichen, sehe ich mit Bedauern, worüber ich nun alles nicht mehr schreiben werde.

Etwa über Kristijonas Donelaitis (1714 – 1780), der sich Christian Donalitius nannte. Ein protestantischer Pfarrer aus jenem Teil von Ostpreußen, der von litauischen Bauern besiedelt war und Kleinlitauen hieß. Mit seinem Epos „Die Jahreszeiten“ begründete er die moderne Poesie des mehrheitlich katholischen, hinter der preußischen Grenze befindlichen Litauen, dessen Eliten infolge der langen Union mit Polen vollkommen polonisiert waren. Interessant, dass Donelaitis’ Ausbildung als litauischsprachiger Pfarrer vom Königtum Preußen gefördert wurde. Denn dieses sympathisierte nicht gerade mit Minderheitenkulturen. Den Ausschlag gab wohl die Abneigung gegen Polen und den Katholizismus. Vor acht Jahren habe ich übrigens das faszinierendeMuseum besucht, das in Donelaitis’ alter Kirche eingerichtet worden ist.

Auch aus Leo Schestow (1866 – 1938), einem russischen Philosophen jüdischer Herkunft, dessen Werke bei Matthes & Seitz in Berlin erscheinen, wird nichts mehr werden. Seine erstmals ins Deutsche übersetzten Essays „Siege und Niederlagen“ wären ein guter Grund, über das ungewöhnliche Werk dieses ungewöhnlichen Menschen zu sprechen. Über die „russische religiöse Philosophie“, ein Phänomen des ausgehenden 19. und angehenden 20. Jahrhunderts, dessen Teil und Gegenteil Schestow war, werde ich mich ebenso wenig äußern können wie über die Geschichte der Juden im vorrevolutionären Russland. Sie besteht keineswegs nur aus Pogromen, wie in Deutschland bis heute wie selbstverständlich angenommen wird.

Mir bleibt nur der Abschied von allen treuen Lesern, insbesondere denen, die sich mit Dankesworten, Kommentaren oder Anregungen bei mir meldeten. Und das seit ziemlich genau sieben Jahren! Meine erste Kolumne erschien im November 2006 und handelte vom großen, im Schnee gestorbenen Robert Walser. Ich schrieb über Michail Jurjewitsch Lermontow, Georg Kreisler und Alexander Puschkin, Pu-sung-ling und Konstantinos Kafavis. Ich habe dabei versucht, immer wieder den Blick, den ich aus dem Osten mitgebracht habe, mit dem deutschen Leser zu teilen, um ihm etwas Unbekanntes aufzuschließen. Noch öfter erfuhr ich selbst bei der Vorbereitung Neues und Unerwartetes. Dadurch wurde auch ich ein klitzekleines Stückchen klüger, wofür ich dieser Zeitung danken möchte: Sie hat mir bei meinen Streifzügen nie etwas aufgezwungen.

Oleg Jurjew

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