David-Bowie-Ausstellung in London: Ein Android schlägt auf der Erde ein
Das Model, der Sänger, der Schauspieler, der Maler, der Konzeptkünstler: Die Ausstellung „David Bowie is“ des Victoria & Albert Museums in London feiert den britischen Popstar.
„Where are we now?“ Ja, gute Frage in diesen vorweihnachtlichen Frühlingstagen. Wo sind wir jetzt, leibhaftig oder in Gedanken? Trifft David Bowie nach vielen Jahren stummer Abwesenheit mit seinen neuen Songs noch einmal ein Lebens- oder besser Überlebensgefühl? Das Gefühl mittlerweile, dass die Jugend und selbst das Midlifekrisenalter nicht ewig dauern, aber Pop uns begleiten wird bis an das Ende unserer Tage?
„Heroes for just one day“ und „Rock ’n’ Roll Suicide“ hin oder her: Die meisten jener Helden sind noch da und haben selbst – allerdings vergleichsweise vernünftige, arbeitsame – Kinder in dem Alter, das damals so wild und kreativ erschien. Die gebrauchten Posen sind immer mal wieder schön anzusehen, wenn auch mit Verfremdungseffekt. Diesen Eindruck distanzierter Leidenschaft, gekühlten Überdrucks und gespielten Untergangs gab es bei Bowie immer schon. Das tritt mit abnehmender Nähe zu Kohleheizung und Vinyl nur plastischer hervor. Wie eisig diese Aufforderung zum Tanz im Grunde war, „Let’s Dance“!
Nach dieser kleinen Orientierungstour lässt sich mit Sicherheit sagen, wo er jetzt ist, der 1947 in London als David Robert Jones geborene Künstler. Er steht mit dem Album „The Next Day“ in vielen Ländern an der Spitze der Charts, und er ist im Museum angekommen – oder das Victoria & Albert ist auf ihn gekommen. Es ist nicht das erste Mal, dass die Institution, die sich selbst als „the world’s greatest museum of art and design“ bezeichnet, Popkultur dokumentiert. Doch Bowie ist wie ein Dammbruch. Die Welt dürstet nach einem Großen. Über 50000 Vorbestellungen liegen vor für die Ausstellung, die am Samstag offiziell eröffnet, angeblich steigt die Zahl stündlich um einige Tausend. Das ist Museumsrekord und überhaupt kein Wunder bei dem Medienhype, der die Insel erfasst hat. Das freut den deutschen V & A -Direktor Martin Roth, früher Dresden, der sein Amt im September 2011 angetreten und die Bowie-Welle geerbt hat. Sie wird zur Sturmflut werden, wenn sich die Gerüchte über eine Tournee realisieren.
Es fühlt sich nicht wie ein Comeback an, vielmehr wie ein genial orchestrierter Relaunch. Das Album, die Videos, die Ausstellung – und immer noch kein öffentlicher Auftritt. In London wird gerätselt und gewettet, ob und wann er kommt. Vorerst vertritt ihn bei Galadinners und Empfängen Tilda Swinton, die im Minispielfilm zu „The Stars are out Tonight“ an Bowies Seite altert; nicht ohne Sex. Die Erwartung stirbt zuletzt.
Was immer der heute 66-Jährige im zurückliegenden Jahrzehnt gemacht hat, es war nicht planlos. Bowie hat für die Ausstellung die Kuratoren Geoffrey Marsh und Victoria Broackes in sein Archiv vorgelassen. Es befindet sich in New York, an einem unbekannten Ort, umfasst sagenhafte 75000 Objekte und wird professionell verwaltet. Das sind Museumsdimensionen, da hat einer gezielt und ausdauernd und mit beträchtlichem finanziellen Aufwand gesammelt – sich selbst.
Die Schau überwältigt auf sanfte Art
Das Model, der Sänger, der Schauspieler, der Maler, der Konzeptkünstler Bowie tritt im Victoria & Albert Museum als britisch-exzentrisches Wesen in Erscheinung, in der Ahnenfolge eines Oscar Wilde und Lord Byron. All die schrillen Kostüme, die wie ausgestopfte Urzeittiere in den Vitrinen stehen, sind Ummantelungen eines Egos, das keinen Kern zu haben scheint, ihn auch nicht braucht. Bowie ist von Anfang an Rolle, ein Ensemble von Masken und Kunstfiguren.
Bevor seine Musikerkarriere abhebt, übt er sich 1968 als klassischer Mime im Stil eines Marcel Marceau. Er tritt als Aufwärm-Act für Tyrannosaurus Rex auf, lässt aber Marc Bolans billigen Glam-Rock sogleich hinter sich, um 1980, in der Zeit der „Scary Monsters“, in das Clownskostüm des Pierrot zu schlüpfen. Dazwischen, natürlich, sein kurzes, explosives Dasein als Ziggy Stardust, eine Kreuzung von Peter Pan und Twiggy. Und die russisch-futuristisch ausgestülpten Kostüme von Kansai Yamamoto. Sie sind ein Augenfang in der Ausstellung, in der es viel zu entdecken gibt. Plattencover, Fotografien, Videos, das ist das Pflichtprogramm. Bowie aber hat sich stets als Kür verstanden, in ständig wechselndem Outfit. Aber wie klein die Plateaustiefel wirken, wie schülerhaft das handgeschriebene Notenblatt zur „Space Oddity“! Der Preis der Musealisierung.
Die Schau mit dem offenen Titel „David Bowie is“ überwältigt auf sanfte Art. Er ist alles Mögliche. Vision und Sound, das folgt der Bowie-Strategie. Der Audio-Guide spielt Songs ein, die der Besucher ohnehin im Kopf hat oder die es ihn zu hören verlangt, wenn er vor diesem oder jenem Stück steht. Das System ist intelligent, es folgt jedem beliebigen Gang durch die Ausstellung. Und wenn man zehn Mal „Heroes“ haben muss, im finsteren Berlin-Raum. Er versammelt rührende Erinnerungen an die Zeit der Mauer: einen Brief vom Hansa-Studio, wo Bowie aufgenommen hat, oder ein expressionistisch angehauchtes Portraitgemälde seines Freundes Iggy Pop.
David Bowies Verpuppungen zeigen die Siebzigerjahre im Zeitraffer. Der hellblaue Anzug von „Life on Mars“, dazu trug er dunkelblaue Lidschatten und feuerrotes Haar; der gelbe „Diamond Dogs“-Anzug, aus dem der Kopf eines magersüchtigen, käseblassen Hampelmanns herausschaut; der nur mit einer Art Lendenschurz bekleidete Performer und Schmerzensmann auf der Bühne. Zu jener Zeit sind so viele Helden des Pop und Rock gefallen, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison. Bowies ausgemergelter Körper deutet die Tragödie an, aber er wird sich wieder verwandeln, er kommt durch mit seinen „Ch Ch Changes“. Bowie war und ist ein fließendes Making Of, Prozess und Produkt fallen zusammen.
Heute ein Samurai, morgen eine Marlene Dietrich. Gestern ein Dandy, morgen ein Märchenwesen. Das ist der entscheidende Punkt dieser großartigen Künstlerretrospektive. Sie präsentiert David Bowie als Titelrollenspieler. Er schreibt sich seine Stücke selbst, aus tausenderlei Einflusssphären schöpfend. Die Faszination für das morbide Deutsche ist bekannt, Hauptstraße 155 in Schöneberg, Dschungel usw. Aber weiter noch reicht Bowies Anverwandlung der Weimarer Kunst, der Groteske, des scharfen neuen Tons von Brecht und Weill. Das mischt und trifft sich außerordentlich mit der britischen Distinktion. Bowie bleibt stets blitzblank in seiner Artikulation, sein Vortrag makellos. Verrucht und clean. Ein unnachahmlicher Plagiator.
Und wo waren wir hier? Auf dem Mond. Oder beinahe. 1969 setzt Neil Armstrong seinen Fuß auf den Erdtrabanten und sagt seinen berühmten Satz vom großen Schritt für die Menschheit. Bowie, inspiriert von Stanley Kubricks Film „2001 – A Space Odyssey“, ist zur gleichen Zeit wie die Amerikaner da oben – auf seinem eigenen Trip. Major Tom verabschiedet sich in der „Space Oddity“ von der Bodenstation und jeder „ground control“, für immer. Damals war die populäre Musik wieder einmal am Ende. Und Bowie zog seine Himmelsbahn, androgynes Sex-Subjekt, Android, Astronaut des inneren Universums.
Es beginnt als Pop und endet als Kunst. David Bowie hat es stets verstanden.