Interview mit Colin Firth: "Eigentlich bin ich Fan der Royal Family"
Am Donnerstag kommt "The King's Speech" in die deutschen Kinos. Hauptdarsteller Colin Firth spricht im Interview über historische Stoffe und seine Hochachtung vor der britischen Königsfamilie.
Mr. Firth, als Sie sich 2009 in Venedig für den Preis als bester Hauptdarsteller bedankten, taten Sie das in fließendem Italienisch. Nun spielen Sie in "The King’s Speech" einen stotternden König. Welche Rolle spielt der Umgang mit Sprache für Sie?
Wir Schauspieler sind abhängig von Worten, um eine Geschichte verkörpern zu können. Und Autoren sind wie Gott – sie bringen alles zum Leben. Aber wenn ich Worte sage, dann meine ich genauso das Schweigen, die Blanks dazwischen. Gute Texte schließen gerade das mit ein, was man nicht sagen kann, was man vermeiden will, die Fehler, die Euphemismen. Nur schlechte Drehbücher sagen alles. Wenn Menschen genau das sagen, was sie denken, ist das eine Soap-Opera, kein guter Text.
Es geht in "The King’s Speech" gerade darum, nicht sprechen zu können…
Großen Autoren geht es um die Grenzen der Sprache. Selbst Shakespeare beschäftigt sich mit Selbstwidersprüchen und mit der Unfähigkeit, die richtigen Worte zu finden, egal ob bei Julia oder bei Hamlet. Es ist ein Paradox: Alles hängt vom Schreiben ab, und trotzdem weiß jedes große Schreiben davon, dass Worte begrenzt sind. Und hier kommt der Schauspieler ins Spiel: Er muss die Zwischenräume zwischen den Worten bewohnen, und den Faden aufnehmen, wo der Autor losgelassen hat. Wir geben Gesten, Nuancen, Intonation hinzu, und geben den Beschränktheiten damit Leben und Menschlichkeit. Das ist ganz sicher der Fall bei der Figur George VI., die ich in "The King’s Speech" spiele.
Sie sind also das Instrument, auf dem die Musik gespielt wird?
Vor Jahren hat ein Freund von mir, der Künstler ist und nicht viel von Schauspielern hält, gesagt: Du solltest dein eigenes Kunstwerk schaffen, nicht nur menschliches Verhalten kopieren, das ist keine Kunst. Ich weiß nicht, ob Schauspiel Kunst ist. Erst einige Jahre später habe ich realisiert, dass es beim Schauspielern gerade um diese Beschränktheit der Worte geht. Ich habe mir allerdings oft gewünscht, ich wäre ein Autor…
… Sie sind doch einer. Sie haben zum Beispiel in einem Band mit Kurzgeschichten veröffentlicht, den Nick Hornby herausgegeben hat.
Ja, ich schreibe ein bisschen und genieße das als Übung. Literatur und Musik wären mein Traum gewesen, ich bin wahrscheinlich ein verhinderter Schriftsteller – wie viele Schauspieler.
Im Rückblick fällt auf, wie oft Sie historische Rollen gespielt haben: Jane Austen und das Elisabethanische Zeitalter, Holland zur Zeit Vermeers, die Dreißiger, die Sechziger des letzten Jahrhunderts… Ihr Vater ist Geschichtsprofessor. Hat es damit zu tun, dass Sie eine besondere Leidenschaft für historische Stoffe haben?
Historisch oder nicht ist für mich keine Kategorie. Alles ist ein Moment in der Geschichte, auch der jetzige Moment. Wir benutzen die Vergangenheit nur deshalb so gern, weil wir inzwischen eine Perspektive auf sie gewonnen haben. Das funktioniert aber nur, wenn wir eigentlich eine Geschichte darüber erzählen, wie wir heute leben oder woher wir kommen. Bei "The King’s Speech" ist die Vergangenheit auf schockierende Weise gegenwärtig. Sind Menschen immer noch isoliert und einsam? Ja. Gibt es immer noch Protokollvorschriften, die eigentlich ein Statussymbol sein sollen, aber uns nur von anderen trennen? Ja. Haben Menschen immer noch Schwierigkeiten mit Intimität? Ja. Und haben sie immer noch Angst davor, ihre Rolle nicht erfüllen zu können? Ja, ja, ja. Das war nicht nur 1937 so. Und ich glaube, das ist der Grund, warum "The King’s Speech" so viele Menschen anspricht. Auch bei "A Single Man" hat es mich übrigens sehr beschäftigt, dass wir die Szene, als ich den Telefonanruf bekomme und erfahre, dass mein Liebhaber ums Leben gekommen ist, just an dem Tag gedreht haben, als in Kalifornien "Proposition 8" verabschiedet wurde, mit der man Schwulen ihre Rechte entzogen hat. Wir müssen nicht 1962 leben. Das könnte heute sein.
Trotzdem scheinen die Dreißigerjahre besonders attraktiv zu sein. Sie selbst haben in "Easy Virtue" mitgespielt, eine Art Tanz auf dem Vulkan vor dem Zweiten Weltkrieg, Madonna hat gerade auf der Berlinale die ersten Minuten ihres Films über die Liebesgeschichte zwischen Wallis Simpson und Edward VIII. vorgestellt. Warum ist just diese Epoche so attraktiv?
Bestimmte Zeitperioden interessieren bestimmte Generationen besonders stark. Ich wäre sehr neugierig zu wissen, wie interessiert die Menschen zur Regency-Zeit an der Epoche der Restauration waren. Die Zeit, die uns besonders interessiert, liegt immer einige Jahrzehnte zurück.
Es ist die Zeit unserer Großeltern…
Ja, genau. Wir haben diese Zeit immer als selbstverständlich angesehen, weil wir die Menschen, die damals lebten, noch kannten, zumindest bis vor kurzem. Diese Generation stirbt nun. Die Großeltern sind nicht mehr da. Und die Tatsache, dass diese Generation wegstirbt, heißt, dass wir sie im Kopf ins Museum stellen. Es sind nicht mehr die kleinen alten Frauen und Männer, die wir auf der Straße sehen, sondern sie sind Geschichte geworden, und wir denken heute: Mein Gott, wir haben diese Menschen gekannt, wir haben Geschichte gekannt. Meine eigenen Großeltern haben sehr lange gelebt, bis in dieses Jahrhundert: Meine letzte Großtante ist vor einigen Monaten gestorben, mit 102.
Und haben Sie mit ihren Großeltern über die Kriegszeit gesprochen?
Nicht sehr. Meine Familie war in der Zeit in Indien, sie haben dort Medizin unterrichtet und Missionsarbeit getan, und sie haben den Blitz in London nicht erlebt und nicht in der Armee gedient. Ich habe deshalb zuhause keine Kriegsgeschichten gehört. In Großbritannien ist das ja immer noch eine Obsession – wenn man im Fernsehen surft und irgendeine beliebige Geschichtssendung trifft, wird man ganz sicher Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg sehen. Die Hauptdarsteller zu dieser Zeit sind ja auch einfach unendlich spannend, es gibt einige sehr überzeugende Bösewichte. Ich glaube, wir haben noch nicht einmal begonnen, die Geschichte des 20. Jahrhunderts zu begreifen. Es ist ja auch gerade erst zu Ende gegangen.
Was genau meinen Sie?
Die Medienrevolution, um die es auch in "The King’s Speech" geht – es ist die Frühzeit der Live-Radioübertragungen – ist außergewöhnlich. Und die industriellen Veränderungen, der Luftverkehr, die neue Musik, die politischen Ideologien, das Ende vieler Monarchien, die Migrationen ganzer Völker, das sind erdbebenartige Veränderungen. Die Landkarte der Welt hat sich damals verändert. Ich habe darüber nachgedacht, als mein erster Großvater starb: Was hat er für ein Jahrhundert erlebt, gerade in Indien: der Unabhängigkeitskampf, die Zeit von Gandhi. Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war besonders bewegt: Schauen Sie sich nur an, was Frauen 1910 getragen haben, und wie sie sich 1930 gekleidet haben.
Es gibt auf der Berlinale das Gerücht, dass über eine Fortsetzung zu "The King’s Speech" verhandelt wird…
Das höre ich zum ersten Mal.
Wenn es so wäre, würden Sie noch einmal King George spielen?
Ich liebe diesen Charakter. Und es gäbe noch viel über ihn zu sagen. Es hängt natürlich vom Drehbuch ab, aber wenn ich das Gefühl hatte, sie bringen die Geschichte auf eine interessante Art voran, würde ich Bertie sehr gern noch einmal besuchen. Aber wir alle kennen die Gefahren von Sequels.
Sie sind zitiert worden mit kritischen Bemerkungen zur britischen Monarchie und der Frage nach einem nichtdemokratischen Staatsoberhaupt.
Das war eigentlich nicht mein Punkt. Im Gegenteil, ich habe ziemliche Hochachtung vor der Royal Family, vor allem natürlich vor George VI. und dem Dilemma, in dem er sich befindet. Aber auch Prinz Charles nutzt seine Position auf erstaunliche Weise. Und die Queen ist bewundernswert – sie hat ihre Pflicht erkannt und hält daran fest. Großbritannien ist immer noch eine Demokratie. Dass ich einen König spiele, heißt ja nicht, dass ich ein Monarchist bin. Stephen Frears ist nach "The Queen" gefragt worden, ob er ein Monarchist ist, und er hat gesagt, ich bin ein Queenist. In dem Sinne bin ich es auch. Ich bin nicht gegen die Royal Family. Ich bin eigentlich sogar ein Fan.
Das Gespräch führte Christina Tilmann
Colin Firth, 50, ist derzeit der gefeiertste britische Schauspieler. Bekannt wurde er 1995 mit der Rolle des arroganten Mr. Darcy in der BBC-Verfilmung von Jane Austens "Stolz und Vorurteil". Die Szene, in der er im nassen Hemd aus einem Teich steigt, wurde 2001 in "Bridget Jones’ Diary" persifliert – auch dort spielt Colin Firth eine Hauptrolle. Weitere Rollen in "Der englische Patient" (1996), "Shakespeare in Love" (1998), "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" (2003), "Love Actually" (2003), "Mamma Mia!" (2008), "A Christmas Carol" (2009) und "Dorian Gray" (2009). Für die Rolle des schwulen Universitätsprofessors George Falconer in Tom Fords Christopher Isherwood-Verfilmung "A Single Man" erhielt Colin Firth 2009 den Preis für den besten Hauptdarsteller auf dem Filmfest in Venedig und war 2010 für einen Oscar nominiert. Für "The King’s Speech" von Tom Hooper ist Firth nun ebenfalls für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert. Der Film wurde am Mittwoch Abend als Gala-Special auf der Berlinale präsentiert und läuft ab Donnerstag in den deutschen Kinos. Die Oscars werden am 27. Februar verliehen.