Kultur: Durch die Pforten der Dämmerung
Der „Crazy Diamond“ funkelt nicht mehr: zum Tod von Syd Barrett, dem Mitbegründer und Wegweiser von Pink Floyd
Sie waren die größte Band der Epoche und befanden sich mitten in den Aufnahmen zu „Wish You Were Here“, einem Album, das ihren Ruhm noch einmal vergrößern sollte. Da stand eines Tages „ein großer fetter Bursche mit rasiertem Kopf“ und ohne Augenbrauen im Studio, wie sich Schlagzeuger Nick Mason später erinnert. Der Fremde „trug einen altersschwachen Mantel und hielt eine Einkaufstüte in der Hand, und auf seinem Gesicht lag ein gütiger, aber leerer Ausdruck“. Mason erkannte ihn nicht. Man musste ihm zuflüstern, dass vor ihm Syd Barrett stand.
Er hatte ihn sieben Jahre zuvor das letzte Mal gesehen – im April 1968. Pink Floyd hatten ihr Debütalbum „The Piper at the Gates of Dawn“ veröffentlicht und waren zu den Darlings des Swinging London aufgestiegen. Beinahe alle Stücke entstammten der Feder eines versponnenen Visionärs, der von Gnomen, Vogelscheuchen und Märchenhelden erzählte und eine obdachlose Maus namens Gerald zu seinen Freunden zählte. Barretts verspiegelte Fender-Gitarre, aus der er mehrminütige Klangmeditationen herauszuschlagen pflegte, sowie sein volles Lockenhaar taten das ihrige, um den Musiker zur Galionsfigur der britischen Rock-Szene zu machen. Tatsächlich reichen seine Einflüsse bis in die Gegenwart. „Blinding signs flap,/ Flicker, flicker, flicker blam. Pow, pow“, lautet eine Songzeile aus „Astronomy Domine“, die die Comic-Sprache adaptierte und für die Popmusik eine beschleunigte lautmalerische Einverleibung der Welt reklamierte. Bis heute zählt Barretts „Lucifer Sam“ zu den am meisten nachgespielten Pink-Floyd-Hits. Obwohl es darin um eine Siam-Katze geht, von der es heißt: „That cat’s something I can’t explain.“ Eine metaphysische Ratlosigkeit ist Barretts von Beginn an eigen.
Der Sohn eines berühmten Pathologen wurde 1946 in Cambridge als Roger Barrett geboren, wie er bis zum 15. Lebensjahr auch hieß. Dann taufte er sich in Syd um. Mit 19 folgte er dem Ruf seines Schulfreunds Roger Waters nach London, um sich dessen Band anzuschließen. Aus seiner Verehrung für die beiden Bluesmusiker Pink Anderson und Floyd Council kreierte er den Bandnamen Pink Floyd. Barrett vermittelte der Gruppe die spirituelle Dimension, ohne die sie sich niemals von einer gewöhnlichen R & B-Cover-Band, die Standards wie „Louie, Louie“ spielte, in etwas Anderes, Größeres verwandelt hätte. In diesem psychedelischen Kosmos beanspruchten Free-Jazz-Exzesse genauso ihren Platz wie Beat-Hymnen. Während die Beatles in ihren Abbey- Road-Studios das bahnbrechende „Sgt. Peppers“- Album einspielten, werkelten Pink Floyd nebenan an ihrem Debüt.
Es war der kreative Höhepunkt in Barretts dreijähriger Schaffensexplosion. Während Waters, Mason und Rick Wright vom Erfolg befeuert immer verwegener Pläne schmiedeten, verfolgte ihr Anführer andere Interessen. Sein LSD-Konsum nahm beängstigende Ausmaße an. Und wie schädlich die Kombination aus Weltflucht, der Suche nach Inspiration und Terminstress für Barrett war, blieb seinen Mitstreitern zunächst verborgen. Danach ignorierten sie es. Bis sie mit David Gilmour einen Nachfolger installierten, der Barretts zunehmende Ausfälle kompensieren sollte. Es kam vor, dass der ein ganzes Konzert über reglos auf der Bühne stand und immer denselben Akkord anschlug. Die Gitarre baumelte ihm wie ein Holzgewehr um den Hals. So entschieden sich die anderen eines Tages, ihn einfach nicht mehr abzuholen.
Damals starb Syd Barrett zum ersten Mal. Er wurde hinausgeschleudert aus der immer schneller rotierenden Umlaufbahn des Pop-Universums. Zwar blieb er formal Mitglied der Band, doch weder er noch der Rest schienen eine Verwendung für ihn zu sehen. Man half ihm bei zwei respektablen Solo-Platten („Barrett“, „The Madcap Laughs“, 1970), doch waren sie nur ein blasser Nachklang. Erst später, als Pink Floyd vor allem kommerziell in eine neue Dimension vorstießen, setzten sie ihrem „Crazy Diamond“ ein Denkmal: „Remember when you were young, you shone like the sun/ Shine on you crazy diamond/ Now theres a look in your eyes, like black holes in the sky/ Shine on you crazy diamond.“ Unter wuchtigen Synthesizer-Klängen wurde Barretts Verschwinden auf „Wish You Were Here“ zur Heiligenlegende erklärt, in die auch das schlechte Gewissen seiner Weggefährten hineinspielte.
Denn als er am 5. Juni 1975 plötzlich unter ihnen stand, in den Abbey-RoadStudios, wo er Musikgeschichte geschrieben hatte, aber nun als apathischer Einsiedler, der sich darüber beklagte, dass die Schweinefilets in seinem Kühlschrank ständig ausgingen – da war er ihnen so fern, wie nur irgendjemand es sein konnte. Er erklärte den schwerreichen Popstars, dass er sich die Zähne putze, indem er die Bürste still halte und selbst auf und nieder springe.
„I Know Where Syd Barrett Lives“ hieß 1978 ein Song von den Television Personalities. Da war das Gespenst der britischen Rockmusik endgültig abgetaucht. Gerüchten zufolge hatte er sich in die USA verzogen. Erst in den neunziger Jahren sickerte durch, dass ihn all die Zeit über Mutter und Schwester im heimatlichen Cambridgeshire betreut hatten. Niemand aus der Pop-Szene hatte noch Kontakt zu ihm.
Als ihm seine Schwester Rosemary im vergangenen Sommer von den Gerüchten erzählte, dass sich Pink Floyd wieder zusammentun würden, reagierte er nicht. Rosemary: „Er ist nicht mehr Syd, sondern Roger. Das ist ein anderes Leben für ihn, eine andere Welt in einer anderen Zeit.“ Nun ist auch Roger Barrett tot. Er, der seit langem an Diabetes litt, sei bereits am vergangenen Freitag „friedlich eingeschlafen“, heißt es.
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