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„Phi Phi Island“ von Josef Haslinger: Drum schweige und sei froh

Schuld im Paradies: Josef Haslinger berichtet in „Phi Phi Island“ vom Leben nach dem thailändischen Tsunami

Warum muss dieses Buch in Kleinschrift geschrieben sein, fragt man sich gleich. Hat der Autor und Literaturprofessor Josef Haslinger („Opernball“) auf einmal einen späten, sprachrevolutionären Furor entwickelt? Oder soll auf etwas direkte Weise das Außergewöhnliche von Text und Thema angezeigt werden? Also die schriftstellerische Verarbeitung der zufälligen Tatsache, dass Haslinger, seine Frau, seine Tochter und sein Sohn unter den Überlebenden des Tsunamis waren, der am zweiten Weihnachtstag 2004 unter anderem Phi Phi Island verwüstete, wo die Haslingers Urlaub machten?

Man muss eine ganze Weile in diesem „Bericht“ lesen, um Aufklärung zu erhalten. Erst auf Seite 166, als man sich längst an die Kleinschreibung gewöhnt hat, wird klar, dass sie nicht nur als Symbol mit dem Tsunami zu tun hat. Der kleine Finger der linken Hand, der bislang die Umschalttaste auf Haslingers Schreibapparat bediente, ist während der Flucht vor der „Wasserwalze“ an der Sehne schwer verletzt und unbrauchbar geblieben. Eine winzige Sache, gewiss, im Vergleich mit all dem, was damals geschehen ist. Das weiß auch Haslinger. Und doch: Für einen Schriftsteller garantiert sie die täglich neue Erinnerung.

Gleich am Anfang des Buchs stellt sich Haslinger aber auch der Frage, ob er dieses Buch nicht doch besser gelassen hätte: „du hast überlebt, und du hast keine Angehörigen verloren. warum nicht einfach froh sein und schweigen?“ Haslinger schreibt, er habe sich all die in diesem Zusammenhang stehenden ästhetisch-moralischen Fragen wieder und wieder gestellt, aber immer, wenn er sich zum Nichtschreiben entschlossen habe, sei wieder das Bedürfnis danach aufgetreten, habe sich zwischen ihn und alle anderen Schreibprojekte geschoben, und er habe gemerkt, anders geht es nicht.

Und warum auch: Ein „Themenverzicht“ hätte auch etwas Künstliches, beinahe Komisches gehabt. Immer wieder wird von Schriftstellern Aktualität, Auseinandersetzung mit der Realität, der Politik, der Arbeitswelt gefordert. Man müsse erst aufstehen und leben, um schreiben zu können, heißt es. Und wenn es denn einmal geschieht, dass einer mittendrin ist, dass er beinahe stirbt, dann soll er davon nichts erzählen dürfen? Es kommt auch in diesem Fall eher darauf an, wie man etwas macht.

So entwickelt Haslinger nach seinen gut gemeinten, aber auch etwas wichtig daherkommenden ersten Begründungsseiten einen immer interessanteren, oft hochspannenden, nämlich nüchternen Zugang zu seinem Thema. Das Buch, das seine Authentizität nicht erst herbeireden muss, hat tatsächlich etwas Berichthaftes. Dennoch ist es deutlich und gekonnt dramaturgisch strukturiert, entnimmt die Aufs und Abs seines Spannungsbogens geschickt der Realität.

Doch was ist denn überhaupt passiert? Erst am 24.12. sind die Haslingers, die den womöglich letzten gemeinsamen Weihnachtsurlaub mit ihren vor der österreichischen Matura stehenden Zwillingen verbringen wollten, auf Phi Phi Island angekommen. Sie spazieren genießerisch in der Umgebung ihrer Bungalows, sind am ersten Weihnachtstag schon vage auf der Suche nach der noch nicht gebuchten Unterkunft für die zweite Woche, waren am zweiten Weihnachtstag gerade vom Frühstück zurück, da sehen sie Menschen von der Terrasse aus in ihre Richtung rennen. Im ersten Moment nehmen sie an, es seien Jogger, aber es sind Einheimische, das kann also nicht sein. Glücklicherweise lassen sich Haslingers auch ohne Ahnung der Zusammenhänge von der Fluchtbewegung anstecken, rennen weiter vom Strand weg, da ist die Welle da, und alle werden von ihr mit dem Sperrmüll der zerschlagenen Häuser zusammen in den „Mixer“ genommen und weggeschwemmt. Edith und Josef Haslinger schaffen es, sich am Dachvorsprung eines Hotels festzuhalten, zeitweilig glauben sie, ihre Kinder seien tot, bis diese auf dem Nachbarhoteldach zu sehen sind.

Anfangs badet Haslinger wohlbedacht im Luxus, den man sich gut bürgerlich geleistet hat. Man ist im teuersten „Resort“ untergekommen. Es gibt ein Willkommensdinner am Pool. Haslinger schildert die Kleidung, in der die Familie auftrat, in aller Ausführlichkeit. Deswegen, heißt es dann, weil es die Sachen jetzt nicht mehr gibt. Geschickt streut Haslinger immer neue Brüche, beschwört auch das Naturparadies, eines der schönsten Korallenriffe der Welt, das es zwei Tage später ebenfalls nicht mehr gibt. Gerade die Abruptheit der Brüche, erzielt immer wieder neu ein beinahe barockes, ein Andreas-Gryphius-Gefühl: Wo itzund Städte stehn …

Es ist die zeitliche Strukturierung der Handlung, die das Buch so ausgeklügelt erscheinen lässt. Es geht nicht nur um ein Davor und Danach. Das Ehepaar Haslinger ist, ohne die Kinder, die nicht mehr wollten, ein knappes Jahr später noch einmal hingefahren. Mit dem Bedürfnis, die Stätten, die man gerade einen Tag lang genießen konnte, noch mal zu sehen, um womöglich die schockartige Wirkung, die der plötzliche Verlust haben musste, einzudämmen. Aber gleichzeitig auch mit der verständlichen Angst, dass da noch mal etwas passieren könnte. So ergriffen wie neugierig schreitet Haslinger die Wege ab, die er damals gegangen ist und beobachtet gleichzeitig die Veränderung der Wohnlandschaft. Die tapear tatoo bar, die vor dem Tsunami in einem düsteren Gässchen untergebracht war, steht jetzt in der ersten Reihe.

Die Beobachtungen Haslingers sind vor allem interessant, weil er, abgesehen von der Vermittlung der Unfähigkeit, Kleinlichkeit und Verlogenheit aller mit den Folgen der Katastrophe befassten österreichischen Stellen, keine eindeutige Botschaft aus ihnen herauslesen möchte. Nüchtern registriert er die soziale Schichtung der Auswirkungen des Unglücks. Auch sie ergibt keine klare Aussage. Einerseits sind die Billiglohn-Bauarbeiter, die nach einer Abschlussfeier erschöpft in ihrer Barackensiedlung schliefen, alle tot und treiben in der Schlammgrube des ehemaligen Nutzwasserreservoirs, das zur Sperrguthölle wurde. Auch das Küchenpersonal war zu beschäftigt, als dass es die nahende Gefahr hätte bemerken können. Andererseits haben gerade die überlebt, die in den billigen Hütten am Hang lebten, hinter dem Paradies, weitab vom Meer.

Nach und nach blättert Haslinger die ganze Geschichte auf, springt, von den Assoziationen seiner Erinnerung geleitet, zwischen den Zeiten. Ebenso geduldig wie genau unternimmt er seine Forschungen, ob es die Internetsuche nach Kurzbekannten ist, die plötzlich eine große Bedeutung erhalten haben, oder die Frage, wie mit dem Unglück im nachhinein umgegangen wird. Da gibt es die Masseurin, die vom halbjährigen Weinen um ihren Mann erzählt, und im gleichen Atemzug lachend zum Geschäft übergeht. Da gibt es den Sohn, der deutlich traumatisiert scheint und mit seinem Leben mindestens eine Weile lang nicht mehr zurechtkommt, oder den Wiener Beamten, der sich am mit viel Kleidungsmüll zusammen nachgeschickten, im Bungalowsafe geschützten Bargeld bereichern wollte. Mit dem Pech des Pragmatikers hatte er nur die Euros gestohlen, nicht das thailändische Geld, das ihn verriet.

Josef Haslinger: Phi Phi Island. Ein Bericht. S. Fischer Verlag. Frankfurt a. M. 2007. 204 S., 17,90 €.

Hans-Peter Kunisch

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