Christo und Jeanne-Claude im Interview: Drei Dinge, die wir nie gemeinsam tun
Christo und Jeanne-Claude haben nicht nur das Geburtsjahr (1935) gemeinsam, sondern auch den Geburtstag (13. Juni).
Christo und Jeanne-Claude haben nicht nur das Geburtsjahr (1935) gemeinsam, sondern auch den Geburtstag (13. Juni). Christo Javacheff kam als bulgarischer Emigrant nach Paris und lernte dort die Generalstochter Jeanne-Claude kennen. 1958 heirateten sie - und es begann die Karriere Christos als "Verpackungskünstler"., der Luft in Plastikhüllen füllte (documenta 1968), ein Tal mit einem Vorhang abteilte (1972) oder einen Zaun über 40 Kilometer durch die Felder laufen ließ (1974). Die Werke von Christo und Jeanne-Claude - seit den 90er Jahren treten sie öffentlich gleichberechtigt auf - wuchsen zu immer größeren logistischen, auch politisch interpretierten Aktionen. Höhepunkt war das 24 Jahre lang hartnäckig verfolgte Projekt des "Verhüllten Reichstags", das heute vor sechs Jahren vollendet wurde. Die weltweit tätigen Künstler leben in New York.
Wenn Sie an Berlin denken, was kommt Ihnen als erstes in den Sinn?
Jeanne-Claude: Wir verbinden mit Berlin natürlich vor allem den Verhüllten Reichstag.
Christo: Jedes Projekt, das wir realisieren, wird zu einem Lebensabschnitt. Wir fragen uns nicht nach der Bedeutung oder deren Veränderung. Jede Erfahrung ist einzigartig und kann nicht ersetzt oder wiederholt werden. Nur wir sind jeweils älter oder jünger.
Jeanne-Claude: Aber wenn Sie uns fragen würden, was Australien für uns bedeutet, dann ist es natürlich auch die "Wrapped Coast" von 1969.
Hat denn Ihr Kunstwerk die Wahrnehmung des Reichstags nachhaltig verändert?
Jeanne-Claude: Wir beantworten grundsätzlich keine generellen Fragen zu Kunst oder Politik. Wir sprechen nur über unsere Kunst.
Aber es geht um Ihre Kunst.
Christo: Der Reichstag war für nur 14 Tage verhüllt und ein unvergessliches Ereignis. Doch vielleicht ist es noch nicht lange genug her, um die Aktion zu reflektieren.
Jeanne-Claude: Wir sind keine alten Generäle, die von ihren Kriegserinnerungen berichten. Dazu haben wir keine Zeit. Jetzt gerade stecken wir unsere Kreativität in den Gropius-Bau und in den Neuen Berliner Kunstverein. Die im September beginnende Ausstellung ist sicher die größte, die wir je machen werden. Niemals wieder werden wir einen so großen Platz für unsere frühen Werke von 1958 bis 1969 finden. Nichts wird aus den 70er, 80er und 90er Jahren zu sehen sein, abgesehen von der Dokumentation über den "Verhüllten Reichstag".
Berlin hat sich lange Zeit gelassen für das vom damals Regierenden Bürgermeister Diepgen versprochene Dankeschön für so viel positives Stadtmarketing. War es eine Enttäuschung für Sie, dass über ein halbes Jahrzehnt vergehen musste, bis die Ausstellung nun realisiert wird?
Christo: Die Ausstellung kommt zur richtigen Zeit. Es wäre uns gar nicht möglich gewesen, sie vorher zu konzipieren.
Jeanne-Claude: Das Museum of Modern Art in New York zum Beispiel verleiht nicht gerne Ausstellungsstücke ohne die Gegenleistung, ebenfalls ein Kunstwerk ausgeliehen zu bekommen. Da der Martin-Gropius-Bau keine feste Sammlung hat, leiht das Museum of Modern Art die fünf Arbeiten, die es von uns besitzt, nicht dem Gropius-Bau, sondern uns. Ähnlich ist es mit der National Gallery in Washington.
Christo: 386 Kunstwerke für vier Monate nach Berlin zu schaffen, bedeutet die größte Leistung der Ausstellung. Das alles auf einer Fläche von 3 600 Quadratmetern.
Ist diese Berliner Doppelschau mit ihren knapp 400 Zeichnungen, Objekten und Dokumenten für Sie mehr als ein Blick zurück?
Christo: Wir sehen die Ausstellung nicht als Retrospektive. Wir planen, die frühen Arbeiten zu zeigen, die sich in privaten Sammlungen befinden und seit 1965 weder für die Öffentlichkeit noch für uns zugänglich waren. Außerdem stehen diese Werke für eine Ästhetik, die entscheidend für die Entwicklung anderer Projekte war. Wie zum Beispiel die "Store Fronts", von denen die wenigsten Leute wissen.
Jeanne-Claude: Die "Store Fronts" hatten dieselbe Größe wie die Geschäfte in der Straße. Durch über Glas gespannten Stoff sollte der Blick ins Innere verhindert werden. Diese Arbeit ist von 1965 / 66, aber Sie werden darin bereits den "Running Fence" entdecken können, der 1976 in Kalifornien realisiert wurde, und ebenfalls den orangefarbenen "Valley Curtain" in Colorado 1972.
Christo: Wir werden auch einen Entwurf für das Verhüllen des Chicagoer Museums zeigen, den wir verloren glaubten.
Jeanne-Claude: ... und im Privathaus eines Museumsbesitzers wiederfanden.
Die alten Institutionen in Berlin scheinen sich schwer mit Ihnen als Künstlerpaar zu tun. Es ist bekannt, dass die Akademie der Künste Christo allein die Mitgliedschaft angeboten hat, die Sie allerdings ablehnten.
Christo: Das hatte ich schon vergessen (lacht).
Jeanne-Claude: Es gibt einen Grund für diese Schwierigkeiten, schließlich haben auch wir anfänglich nur von einem Künstler gesprochen: von Christo. Jeanne-Claude war die Managerin und Agentin. Es ist schon schwierig, einen Künstler zu etablieren, aber doch einfacher, als zwei bekannt zu machen. Nach vielen Jahren, in denen Christos Haar grau wurde und meines rot, verkündeten wir die Wahrheit über unsere Zusammenarbeit. Das war vor sieben Jahren. Die älteren Institutionen reagierten natürlich verwirrt auf diese Identitätsänderung. Verstehen Sie? Es war unser Fehler, nicht deren!
Christo: Tatsächlich begann unsere gemeinsame Arbeit 1961 in Köln.
Jeanne-Claude: Es gibt drei Dinge, die wir nie gemeinsam tun. Wir fliegen nie gemeinsam im selben Flugzeug. Zweitens: Ich zeichne nicht. Christo verwirklicht unsere Ideen auf dem Papier.
Christo: Die "Surrounded Islands" waren Jeanne-Claudes Idee.
Jeanne-Claude: Das haben wir geheim gehalten, sonst hätten wir nie die Erlaubnis bekommen. Und noch etwas machen wir nicht gemeinsam: Ich lasse Christo nie mit unserem Steuerberater arbeiten!(lacht)
Ihr nächstes Projekt "Over the River" in Colorado, bei dem über zehn Kilometer des Arkansas River zugedeckt werden, wollen Sie im Sommer 2004 realisieren. Für "The Gates" - 1800 behängte "Tore" auf den Wegen des New Yorker Central Parks - stehen die Chancen schlechter, ausgerechnet in einer so kunstsinnigen Stadt wie New York. Wo liegen die Gründe?
Jeanne-Claude: Es liegt an den Berlinern, dass uns die Erlaubnis für beide Projekte bisher verweigert wird. Niemand will fünf Millionen Besucher in 14 Tagen - wie in Berlin!
Christo: Wir müssen für all unsere Projekte sozusagen öffentlichen Raum ausleihen. In Deutschland von der Regierung, beim Central Park von der Stadt und beim Fluss-Projekt vom Bundesstaat. "Over the River" hat eine Länge von über 60 Kilometern, obwohl nur elf Kilometer davon mit Stoff verhüllt werden. An der gesamten Strecke liegen Dörfer und Städte, und die Menschen dort verlangen Hilfe, falls der Verkehr übermächtig wird.
Jeanne-Claude: Stellen Sie sich vor, in einem Dorf bekäme eine Frau ein Baby. Die Straße wäre von Autos blockiert, so dass sie nicht zum Krankenhaus gelangen kann. Für solche Fälle haben wir uns verpflichtet, Hubschrauber einzusetzen. Es sind Millionen von Details, mit denen wir uns im Vorfeld einer Realisierung herumschlagen.
Und wie verhält es sich mit Mr. Giuliani, dem Bürgermeister von New York?
Jeanne-Claude: Nicht die Stadt verwaltet den Park, sondern letztlich Privatleute.
Christo: In 20 Jahren haben Sponsoren 20 Millionen Dollar für den Central Park ausgegeben, um ihn in einem guten Zustand zu erhalten. Somit sind unsere Verhandlungspartner auch 32 Privatpersonen.
Jeanne-Claude: ...die nicht an Kunst interessiert sind. Es sind konservative Leute, die ins Ballett und die Oper gehen.
Wie entstehen die Ideen für Ihre Projekte? Der Verhüllte Reichstag geht auf eine Postkarte zurück, die Ihnen der in Berlin lebende Amerikaner Michael Cullen 1962 schickte.
Jeanne-Claude: Nein, es war nicht die Postkarte, das wird man in der Ausstellung sehen. Christo entwarf 1961 eine Foto-Collage für die Verhüllung eines öffentlichen Gebäudes. In dem dazugehörigen Text ist von dickem Stoff und starken Seilen die Rede, die ein Gebäude, vielleicht ein Regierungsgebäude, umhüllen sollen. Michael Cullen sah diesen Entwurf und schickte uns diese Postkarte mit der Frage: Warum nicht das Parlament in Berlin? Wir sagten spontan: Ja, verschaff uns die Genehmigung.
Christo: Nochmal zum Central Park: Als wir 1964 in Manhattan ankamen, waren wir fasziniert von der Skyline. Unsere erste Idee war, Gebäude zu verhüllen. Als wir nach vielen Jahren zurückkehrten, beschäftigten wir uns vor allem mit den Menschen dort. Die Leute in Manhattan laufen viel zu Fuß. Speziell natürlich im Central Park, der im 19. Jahrhundert von zwei Landschaftsarchitekten sehr zeremoniell mit einer Steinmauer ringsherum angelegt wurde. Wir machten einen ebenfalls zeremoniellen Entwurf: Fünf Meter hohe metallene Rahmen werden entlang der Gehwege aufgestellt. In diese Rahmen, die gleich hoch, aber verschieden breit sind, hängen wir safranfarbene Stoffbahnen. So entwickle ich meine Ideen - in diesem Fall von der Betrachtung der Skyline über die Beobachtung der Leute hin zu der Überlegung, wie dem banalen Vorgang des Gehens Struktur gegeben werden kann.
Jeanne-Claude: Jedes Projekt hat einen anderen Anfang. Es gibt nur den Bezugspunkt zu uns, zu nichts anderem. Als wir in Paris die Pont Neuf verhüllten, standen Christo und ich an der Seine. Auf einem Floß lag der Stoff, der unterhalb der Bögen verlaufen sollte. In dem Moment, in dem der Stoff zwischen Brücke und Boot war, sahen wir uns mit einem Lächeln an. Wir sahen den Stoff, durch den die Sonne hindurch schien und sich im Wasser des Flusses spiegelte. Und so wurde die Idee zu "Over the River" geboren.
Kostet es Sie viel Überwindung, nach Beendigung einer intensiven Arbeit gleich mit dem nächsten Projekt zu beginnen?
Jeanne-Claude: Für uns ist es keine Arbeit. Die Kunst ist unser Leben!
Christo: Wir machen nichts ein zweites Mal. Es wird niemals wieder "Umbrellas" oder "Surrounded Islands" geben, niemals wieder eine verhüllte Brücke oder ein verhülltes Parlament. Jedes Projekt ist eine neue Expedition.
Gab es in Ihren Anfängen in den 60er Jahren auch politische Ideen, die Sie antrieben?
Christo: Schönheit oder Körperlichkeit einer Verhüllung heben Dimensionen wie Politik, Wirtschaft und soziale Verhältnisse auf eine andere Ebene..
Jeanne-Claude: Beim Betrachten des Verhüllten Reichstags haben die Menschen die Politik völlig vergessen. Sie haben nur noch die Schönheit bewundert. Schönheit ist erhabener als Politik.
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