Sigmar Polke im me Collectors Room: Doppelt schauen lohnt
Immer wieder neue Varianten: Das 200 Arbeiten umfassende Editionswerk von Sigmar Polke im me Collectors Room.
Diese Ausstellung zeigt den ganzen Polke. Wie er arbeitete, schichtete, rasterte, lasierte, fotokopierte und sich am liebsten vom Zufall auf die Sprünge helfen ließ. Auch wenn im me Collectors Room kein einziges Gemälde des 2010 verstorbenen Künstlers zu sehen ist: Dafür führen über 200 Editionen vor, wie er die Malgründe und Materialien liebte, die Verfließungen der Farbe, die Überlagerungen der vorgefundenen Motive. Und wie Polke mit anamorphotischen Verzerrungen das Wirkliche erst recht zum Vorschein brachte.
Immer wieder neue Varianten spuckte sein Bilderkosmos aus. Welches Bild ist das Richtige? Dass es darauf keine einfache Antwort geben konnte, macht die chronologisch gehängte Schau ebenfalls deutlich. Sie breitet als Gastspiel des rheinland-pfälzischen Sammlers und Unternehmers Axel Ciesielski sämtliche Editionen, Multiples und Druckgrafiken aus, die Polke schuf. Manches ist gleich mehrfach vorhanden, weil sich unter den Händen des prozessverliebten Polke jedes Auflagenwerk unversehens zu einer Folge von Unikaten auswachsen konnte.
Polkes Kunst fordert einen flexiblen Geist
In sechs unterschiedlichen Varianten ist etwa die große Arbeit „Sauberes Auto - gute Laune“ von 2002 zu sehen, mal auf kostbarem rosa Seidenbrokat, mal auf Schlangenlederimitat oder billigen Blümchenstoff. Auch die sich überlagernden und spiegelnden Offsetdruck-Motive variieren von Exemplar zu Exemplar. So etwas erforderte Engelsgeduld und technische Finesse im Druckhergang, wie Mike Karstens erzählt. Er arbeitete als Drucker und Verleger zehn Jahre lang mit Polke zusammen. Einmal entzückte er den Künstler mit einem Stapel kitschig glitzernder Selbstklebe-Metallicfolie als Basis für die diffizilen Mehrschichtdrucke der Serie „Der Kuchen ist alle“. Sie erzählt in comicartigen Strichzeichnungen von einer Hungerattacke des Künstlers. Bildwitz und Sprachwitz ploppten früh bei Polke auf. „Hurra!!! 3 Richtige“ jubelt 1971 ein bundesdeutsches Wirtschaftswunderpaar im spießigen Wohnzimmer. Und die von Polke grob ausgeschnittene „Kulturschablone“ gibt den Blick auf schnöde Illustriertenannoncen frei.
Nur auf einen Knopfdruck zu warten scheint der legendäre „Apparat, mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann“. Polke kreierte das neodadaistische Kosmosmodell mit Elektroantrieb 1969 für den Verleger Klaus Staeck. Damals wollte kaum jemand das Stück für 260 Mark kaufen, heute ist es ein begehrtes Multiple. Gerade aufgetaucht und noch gar nicht im Katalog über die Editionen enthalten ist das früheste Werk der Schau, eine Einladungskarte zur Debütausstellung Polkes 1963 in Düsseldorf. Um den spiralig gesetzten Text zu entziffern, müsste man sich auf den Kopf stellen. Polkes Kunst erfordert flexiblen Geist. Seine niemals schlafende Ironie grundiert sogar die abstrakten Arbeiten.
Feinste Rasterpunkte sind sein Markenzeichen
Und sein eigensinniger Materialmix garantiert, selbst bei diesen Auflagenwerken, verblüffende haptische Qualitäten. Etwa bei Polkes letzter Edition. Dafür vergrößerte der Künstler Motive des Stuttgarter Klassizisten Dannecker ins Riesenhafte, bis sich die anmutigen Frauenfiguren fast wieder verflüchtigen. Den Clou jedoch bildet der Bildträger, ein samtiger Prägestoff mit Reptilienhauttextur. Nur dessen winzige Erhebungen „küsste“ der Farbauftrag beim Druckvorgang. So entstanden feinste Rasterpunkte – Polkes Markenzeichen. Entdeckt hatte er sein Faible für die Rasterei, als er einst ein briefmarkengroßes Zeitungsfoto zweier Bikinimädchen auf Leinwandformat maximierte. Die Inkunabel „Freundinnen II“ grüßt gleich zu Beginn der Ausstellung mit neckischem Lächeln: einmal als rarer, eigenhändig kolorierter Druck und einmal pur. Doppelt sehen lohnt sich, bei Polke jedenfalls.
me Collectors Room, Auguststraße 68; bis 27. 8., Di–So 12–18 Uhr.
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