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Ja, sie ist’s. Cecilia Bartoli, zurechtgemacht als Abbé Steffani, vor nächtlicher Kulisse. Foto: Decca/Uli Weber
© Decca/Uli Weber

In dubio pro Veneto: Donna Leon und Cecilia Bartoli entdecken einen Barockkomponisten

Ihre gemeinsame Leidenschaft für die Oper hat sie zu diesem ungewöhnlichen Projekt inspiriert: Die italienische Mezzosopranistin Cecilia Bartoli entreißt auf ihrer neuen CD das Werk des Komponisten Agostino Steffani den Archiven - und die amerikanische Krimiautorin Donna Leon schreibt dazu den passenden Krimi. Der spielt, wie auch ihre Brunetti-Bücher, natürlich in Venedig.

Sie sind so zwangsläufig aufeinander zu getrieben, wie sich die giftigen Abwässer von Marghera in die Laguna Veneta verströmen: Donna Leon, amerikanische Schriftstellerin mit Wohnort Venedig, die ihren Commissario Brunetti durch Nebel und Hochwasser schickt, um ihn mit den dunklen Seiten des menschlichen Wesens zu konfrontieren – und Cecilia Bartoli, Sängerin aus Rom, die selbst abseitiges Repertoire in hell funkelnde Sterne am Klassikhimmel verwandelt. Bestseller sind sie beide. Jedes Jahr wandert ein neuer Brunetti-Fall ins Regal, Nummer 20 erschien in diesem Sommer, und alle zwei Jahre veröffentlicht La Bartoli ein neues Konzeptalbum, so zielsicher, dass sie zur meistverkauften Klassikkünstlerin weltweit aufgestiegen ist.

Die Primadonnen verbindet eine Schwäche: die Leidenschaft für die Barockoper. Als die Mezzosopranistin sich Händels Musik zuwendet, muss es geschehen sein. Händel ist der Hausgott Donna Leons, die Termine ihrer Lesereise drapiert sie rund um Premieren von Werken ihres Idols. Wege kreuzen sich, Sympathien wachsen. „Wenn Cecilia Bartoli einen überwältigenden Eindruck vermittelt, dann den Eindruck von Intelligenz, musikalischer Intelligenz, verfeinert, konzentriert und fokussiert auf eine Kunst, für die sie höchsten Respekt empfindet und zu deren größten Zierden sie selbst gehört“, notiert Leon nach ersten Gesprächen über die geteilte Passion.

Jetzt machen sie offen gemeinsame Sache, die Virtuosin der Vokalprojektion und die Krimiautorin, die ihre Romane noch immer nicht ins Italienische übersetzen lässt, weil sie unbehelligt weiter in Venedig leben möchte, gleich hinter dieser kleinen Piazza mit der märchenhaft hineingestürzten Kirche. Bartolis Begeisterung soll Schuld daran sein, dass parallel zu ihrem neuen Album „Mission“ der Roman „Himmlische Juwelen“ erscheint, für den Leon sich pünktlich zu ihrem 70. Geburtstag am Freitag aus der routinierten Brunetti-Deckung begibt. Mag sich der sanftmütige Weintrinker doch in der Questura mit seinem Vorgesetzten herumschlagen oder sich mit dem Polizeiboot zum nächsten blutgetränkten Tatort bringen lassen. Die Hauptfigur von CD und Roman ist längst erkaltet: 1728 traf Agostino Steffani in Frankfurt am Main der Schlag, als er in finanzielle Bedrängnis geraten, Kunstgegenstände veräußern wollte.

Wer war dieser Mann, dem Bartolis und Leons Veröffentlichungen huldigen – und seinen Namen auf den jeweiligen Titelseiten nicht erwähnen? Stattdessen Spannung, ja ein Spiel mit dem Schock: Nur der aufmerksame Beobachter vermag hinter dem glatzköpfigen Geistlichen, der mit herausforderndem Blick das Kreuz in Händen hält, die unerschrockene Sängerin zu erkennen. „Mission“ ist ein Bekehrungsversuch, der vor lustvoll manipulierten Bildern nicht zurückschreckt. Wer bislang noch nie etwas von Agostino Steffani gehört hat und durch das opulente Booklet blättert, wird sogleich in eine Welt der Geheimnisse entführt, in der kirchliche Würdenträger dunkle Ecken aufsuchen, um Botschaften auszutauschen und lernt eine sorgfältig frisierte, forschende Dame der Jetztzeit kennen, die nur staunen kann, über das, was sie erfährt von diesem weitestgehend vergessenen Künstler, der Musiker und Diplomat war, vielleicht Spion.

Bei der Forscherin im Booklet könnte es sich um Caterina Pellegrini handeln, die Aushilfshauptfigur in Donna Leons Roman „Himmlische Juwelen“. Die promovierte Musikwissenschaftlerin, Fachgebiet Barockoper, kehrt mit der wagen Aussicht auf neue Dokumentenfunde zurück in ihre Heimatstadt Venedig. Dort erwartet sie zwei Truhen, die jahrhundertelang in den Archiven der Propaganda Fide lagerten, der Missionsabteilung des Vatikan.

Einst gehörten sie Agostino Steffani, heute streiten sich zwei Cousins, die mit dem kinderlosen Geistlichen verwandt sein wollen, um den Inhalt. Zwei venezianische Kretins, der eine wegen Wucherei vorbestrafter Glaswarenhändler am Markusplatz, der andere ein Steuern hinterziehender Wassertaxiunternehmer. Natürlich stammen sie ursprünglich von der terra ferma, aus Castelfranco Veneto – genau wie Steffani, 1654.

Der wird mit zwölf als Sängerknabe nach Venedig an die Oper geholt, daraufhin vom Kurfürsten von Bayern als „musico“ mitgenommen, wie es in alten Papieren heißt, die Dottoressa Pellegrini entdeckt – und weiß, dass man einst Kastraten auf diese Art umschrieb. „,Oddio', wiederholte sie, in Gedanken bei dem Mann mit dem aufgedunsenen, bartlosen Gesicht und der stoischen, unsagbar traurigen Miene.“

Unser Held, ein Opfer des kleinen Messerchens, dessen blutigem Walten im Namen der Kunst Bartoli ihr vorangegangenes Album „Sacrificium“ widmete? Leon klammert sich an diesen Cliffhanger mit kommerziellem Nebenaspekt, um ein schwer fassliches Leben zu umreißen. München, Hannover und Düsseldorf werden die Hauptwirkungsstätten Steffanis, der nach seiner Ordinierung zum Abbé zahlreiche Ämter bekleidet, darunter das des Rektors der Universität Heidelberg, des Apostolischen Vikars von Norddeutschland und eines Thronassistenten Seiner Heiligkeit. Ein Musiker auf diplomatischem Parkett, ein italienischer Katholik am protestantischen Hof von Hannover, ein Heiratsvermittler. Ein Rätsel.

Deprimiert von seinem Leben zwischen den Fronten, ist es die Freundin Sophie Charlotte von Preußen, die Steffani aufzurichten versucht. Sie schreibt ihm: „Die Musik ist eine treue Freundin, die Euch nicht verlassen, Euch nicht verraten und Euch keine Qualen bereiten wird, vermag sie Euch doch alle Wonnen und Schönheiten des Himmels zu schenken. Freunde hingegen sind lau und falsch, und Mätressen undankbar.“ Und Dottoressa Pellegrini, Donna Leons Barockopernforscherin, stößt prompt in den Truhen auf das Manuskript einer Arie: „Während sie das Sopransolo vor sich hin sang, erinnerte sie sich, dass es – Wunder über Wunder – von vier Viole da Gamba begleitet wurde. Sie verband ihre Stimme mit dem warmen Klang der Instrumente und spürte, wie gut das funktionierte und wie wunderbar es sich anhören musste.“

Dies sind schwache Worte, um einzufangen, was Cecilia Bartoli aus Steffanis „Dell’alma stanca a raddolcir le tempre“ („Um der matten Seele Qualen zu mildern“) zaubert, wie sie sich in ein Paradies aufschwingt, das einzig in der Musik beheimatet sein kann, das Schall ist und Nachklang – und nicht von dieser Welt. Während sich Leon in ihrem holpernden Rechercheroman versteckt selbst das Urteil spricht („Tanto fumo. Poco arrosto.“ – Viel Rauch, wenig Braten.), bewegt sich La Bartoli traumwandlerisch auf der Höhe ihrer Möglichkeiten. Zugleich ist das Überspannte von ihr abgefallen, mit dem sie einst Antonio Salieri davon befreien wollte, auf immer Mozarts trauriger Schatten zu sein.

Steffani, der Stile in sich aufzusaugen und zu verschmelzen wusste wie eine Generation später Händel (der sich umfassend beim Abbé bediente) kitzelt die musikalische Phantasie der Bartoli. Zusammen mit Diego Fasolis und seinem Originalklangensemble I Barocchisti liefert sie weit mehr als eine Sammlung nie aufgenommener Arien ab, sie reist in prallen 80 Minuten durch eine Welt, die zwar vom Donner geschüttelt, aber nur von der Musik gerührt wird. Eine imaginäre Bartoli-Oper entsteht: Mission erfüllt.

Jetzt heißt es wieder zwei Jahre überstehen. Oder die nächsten zwei Brunettis.

„Himmlische Juwelen“ erscheint bei Diogenes (304 S., 22,90 €), „Mission“ bei Decca. Cecilia Bartoli singt das Programm am 29.10. in der Berliner Philharmonie.

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