Bücherfrühling: Don Quijote in Budapest
Péter Esterházy huldigt dem großen Literaturspieler Dezsö Kostolányi – und porträtiert sich in seinem neuen Ungarn-Roman "Esti" selbst.
Kornél Esti – c’est moi, bekannte Péter Esterházy im Nachwort zu Dezsö Kostolányis Roman „Ein Held seiner Zeit“ über den larmoyanten, verspielten, reizbaren, belesenen und sehr liebebedürftigen Esti, den ersten modernen Antihelden der ungarischen Literatur. Wie auf einer doppelt belichteten Fotografie verschmilzt in seinem neuen Roman „Esti“ die historische, literarische Figur, die so radikal wie Don Quijote das Gelesene zu leben versucht, mit einem fiktiven Ich des Schriftstellers Esterházy.
Dass wir es mit einem durchtriebenen, aller Schreibweisen der Moderne mächtigen Autor zu tun haben, zeigen schon die methodischen Streitereien der beiden Erzähler: „Dass du es mir aber nicht zu irgendeiner läppischen Geschichte zusammenkleisterst. Es soll alles so bleiben, wie es eines Dichters würdig ist: Fragment“, herrscht der eine den anderen an. Fortan wird alles unter dem Vorbehalt erzählt, dass es möglich, sogar wichtig ist, Geschichten zu erzählen – wofür dieser vergnügliche und beschwingte, kunstvolle und kluge Roman der Beweis ist.
Der doppelte Esti ist ein Träumer und Nachtmensch, der das unbekannte und gefährliche Terrain der radikalen Subjektivität erkundet: Alles, was denkbar ist, ist auch möglich. Esti liebt das Leben auf eine bestürzend leidenschaftliche und naive Weise, denn er versteht es nicht und rätselt ständig, warum er auf die Welt gekommen ist. Esterházy hat sich nicht nur von der literarischen Figur anregen lassen, sondern auch von der klaren und strengen Diktion Kostolányis und der kantigen Moral seines Esti, der schlechte Gedichte und alle Formen von Dummheit für unmoralisch hält. Er hasst Spießbürger und Reaktionäre jeder Couleur, und so ist es kein Zufall, dass Esterházy gerade in dieser bleiernen politischen Zeit in Ungarn den renitenten Esti zum Romanhelden macht.
So wie in der „Einführung in die schöne Literatur“ die grausamen Auswirkungen der Diktatur auf das Leben jedes Einzelnen aufgedeckt und ihre Menschenverachtung bloßgestellt werden, so geht es jetzt um das neue Ungarntum, bei dem Esti schlecht wird. Er ekelt sich vor dem patriotischen Dünkel ringsum, wird immer wieder ausfallend („Gott, Vaterland, Familie – sie können mich mal“) und klagt über ständige Kopfschmerzen wegen der reaktionären Stürme der Ausgrenzung, die durchs Land fegen.
Öfter, als er eigentlich will, geht er auf Reisen, wo ihn absurde Erlebnisse und obszöne Gedankenspiele beschäftigen. Lauter böse und höchst amüsante Novellen reihen sich aneinander, kürzeste und längere, die um eine unerhörte Begebenheit kreisen oder um einen unerhörten Satz. Wir folgen Esti in die öde Provinz von Pécs, wo er mit einem rauschebärtigen Chefredakteur autistische Liebesabenteuer erlebt, schauen in ein chaotisches Vorstadthaus mit vier vorlauten Kindern und einer „innerlich wie äußerlich erstklassigen Gattin“, folgen seinem Vater Mátyás durch die Jahrhunderte (wie in „Harmonia Caelestis“), und beobachten, hoch symbolisch, den kleinen Esti am Finger seines Vaters: „Das ist Estis Leben, dieses Knabbern.“
Aber dieser Verwandlungskünstler kann noch viel mehr. Mit leichter Hand verwandelt ihn sein Autor in eine aufreizende Studentin im Minirock, lässt ihn als betenden Karpfen sanft Gott lästern oder als Hund in einer Mordgroteske auftreten. Natürlich will uns der Autor provozieren, gräbt Fallgruben, in die wir hineinfallen und zwingt uns, die Dinge jenseits ihrer Alltäglichkeit zu sehen und bar jeder „Natürlichkeit“. Dafür ist der Schriftsteller Esti doppelt skrupulös, wenn es um die Sätze geht, die er gerade schreibt, denn sie sind, nach seiner an Wittgenstein geschulten Auffassung, die reale Welt, die uns Leser umgibt. Also darf es weder uns noch ihm langweilig werden, postuliert Esterházy, was ihm, einem Virtuosen der Leichtigkeit, auch gelingt. In jedem Satz schwingt Hrabalsche Spottlust mit, und schon die Konstruktion seines tollpatschigen, liebes- und sexsüchtigen Helden, der immer, wenn er nicht weiter weiß, die Tintensorte wechselt und meint, jetzt könne ihm nichts mehr passieren, ist eine Selbstparodie.
Dezsö Kostolányi überließ seinem hoch sensiblen und ängstlichen, arroganten und unerfahrenen Helden kompromisslos das Wort, was 1933 ein Skandal war. Auch Péter Esterházy beugt sich der Sehnsucht seines Esti nach einer aberwitzigen Vielfalt an Schicksalskapriolen. Leider, seufzt der Autor hinter dem Schriftsteller-Ich augenzwinkernd, sei sein Held nur selten zufrieden mit den eigenen Attributen. Nicole Henneberg
Péter Esterházy: Esti. Roman. Aus dem Ungarischen v. Heike Flemming. Hanser
Berlin 2013. 368 S., 24,90 €. – Buchpremiere: Mittwoch, 6.3.,
Akademie der Künste, Pariser Platz (20 Uhr).
Nicole Henneberg
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