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Stammt aus einer christlichen Familie im Norden Nigerias. Der in Berlin lebende Schriftsteller Elnathan John.
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Debütroman von Elnathan John: Die zweifelhaften Absichten des Herzens

Ein Nigerianer in Berlin: Elnathan John erzählt in seinem Debütroman "An einem Dienstag geboren" von den Fronten in einem gewalttätigen Land.

Der Norden Nigerias ist, anders als der ölreiche Süden, islamisch geprägt. Vor über hundert Jahren gründeten die Geistlichen dort ein Kalifat, das erst durch die britische Eroberung des Gebiets beendet wurde und auf das sich die Islamisten bis heute berufen. Ein Sultan von Sokoto ist noch heute im Amt. Die im armen Nordosten des Landes gelegene Stadt ist der Schauplatz von Elnathan Johns eindringlichem Bildungsroman „An einem Dienstag geboren“.

Hauptfigur ist der junge Koranschüler Dantala. Als er nach sechs Jahren religiösen Drills aus der Schule flieht, ist er ganz auf sich allein gestellt. Er lernt den nur wenige Jahre älteren Anführer einer Straßengang kennen und folgt ihm – wie er immer wieder jemandem folgen wird, in dem er einen Vater zu finden hofft. Schon auf den ersten Seiten dieses Romans zeigt sich die Stärke des Autors, in einer klaren, direkten, mitunter lakonischen Sprache die Empfindungen seiner Figuren zu schildern, ihre Hoffnungen wie ihre Wut. Er erzählt dabei von alltäglichen Details: wo sie schlafen, was sie essen, wie Freundschaften entstehen und wem gegenüber sie loyal sind. „Für Allah zählen die Absichten des Herzens“, glaubt Dantala. „Wenn wir uns prügeln, dann weil es nicht anders geht. Wenn wir in Sabon Gari in kleine Läden einbrechen, dann weil wir Hunger haben, und wenn jemand stirbt, dann weil es Allahs Wille ist.“

In seiner Heimat genießt Elnathan John, der 1982 im Norden Nigerias in einer streng christlichen Familie geboren wurde und bis 2012 als Rechtsanwalt tätig war, höchstes Ansehen. Nach einer erfolgreichen Sammlung von Kurzgeschichten stand er mit diesem seinem ersten Roman auf der Shortlist des Nigeria Prize for Literature. Bei uns ist dieser kluge Autor, der seit fast einem Jahr in Berlin lebt, noch zu entdecken. Auf der Website www.elnathanjohn.com kann man seine vielfältigen Aktivitäten verfolgen.

Gewalt entsteht aus Armut und Angst

Dantalas Neugier und Wissbegier hebt ihn aus der Menge der Straßenkinder heraus. Er beobachtet sich selbst, wie er mit einer Machete zuschlägt und Feuer in Wahlbüros legt – man hat die Jungen dafür bezahlt, im Präsidentenwahlkampf 2003 die politischen Gegner einzuschüchtern. Mit diesen starken und verstörenden Szenen setzt der Roman ein, das Entstehen von Gewalt aus Zufällen, Armut und Angst wird sein zentrales Thema bleiben.

Den Namen Boko Haram (wörtlich: Bücher sind Sünde) erwähnt Elnathan John kein einziges Mal, doch lehrt in der salafistischen Moschee, in der Dantala Zuflucht findet, einer ihrer künftigen Führer. Das öffentliche Streitgespräch zwischen dem eher liberalen Oberhaupt der Gemeinde und seinem militanten Stellvertreter, eines der eindringlichsten Kapitel, bildet den tatsächlichen Disput zwischen Sheikh Jafar Adam und Mohammed Yusuf ab, dem früheren Koranschüler, der zum Gründer der militanten Boko-Haram-Bewegung wird.

Dantala, der den Sheikh verehrt, gerät zwischen die Fronten. In seinen Notizbüchern hält er Wortdefinitionen fest, um sich in dieser wirren Welt feste Punkte zu schaffen. Ein gelungener und ironischer Kunstgriff, denn in diesen Erklärungen tobt ein Sturm der Gefühle: hier beschreibt der Teenager seine erwachende Sexualität, erzählt von seiner psychisch kranken Mutter und dem prügelnden Vater. Großartig beschreibt er auch die allgegenwärtige Korruption, und sein staunender, scharfer Blick lässt daraus eine ätzende Satire werden.

Es ist eine grausame Welt, in der Dantala, für den es ein reales Vorbild gibt, zu überleben versucht. „An einem Dienstag geboren“ ist ein politischer Roman, der sich an den historischen Fakten orientiert und den unsichtbaren Einzelnen hinter den Machtkämpfen und Attentaten Gesicht und Stimme gibt. Dantala leidet unter Albträumen und den seinem Körper eingebrannten Gewalterfahrungen. Er ist ein eindrucksvoller und sympathischer Held, der zum respektierten Stellvertreter des Sheikhs aufsteigt, ohne sich selbst zu verleugnen – er ist sogar ziemlich eigensinnig, dabei rastlos lesend und lernend: Er ahnt, dass Sprachen und glaubwürdige Geschichten sein größtes Kapital darstellen.

Heute ist das religiös gespaltene Nigeria ein Land im Krieg. Die schlecht ausgebildete Armee spielt dabei eine gewalttätige Rolle, in den Gefängnissen wird gefoltert und getötet. Elnathan Johns Roman endet im Gefängnis, wo Dantala, der verhaftet wurde, weil er im falschen Moment am falschen Ort war, sich mit allen Kräften ans Leben klammert. Er kehrt in ein unbekanntes, ein Land am Wendepunkt zurück. Nie zuvor, schrieb der Autor 2015, dem Erscheinungsjahr des englischen Originals, sei Nigeria einer echten demokratischen Wahl so nah gewesen – und noch nie so nah an dem Punkt, an dem der Fortschritt verloren gehen könne.

Elnathan John: An einem Dienstag geboren. Roman. Aus dem Englischen von Susann Urban. Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2017. 250 S., 24,80 €.

Nicole Henneberg

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