Ai Weiwei: Die Wut und die Erinnerung
Ai Weiwei im Haus der Kunst in München – die große Einzelausstellung des chinesischen Aktivisten.
Es soll um Kunst gehen an diesem Tag im Münchner Haus der Kunst, was nicht ganz einfach ist bei der Vorgeschichte. Ein weltweit wahrgenommenes Event ist diese erste große Einzelausstellung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei geworden. Ai Weiweis Verletzung bei einer Verhaftung im August, seine Notoperation in einer Münchner Klinik, seine Absage, an der Frankfurter Buchmesse teilzunehmen, all das war in den vergangenen Tagen Gegenstand der regen Berichterstattung. Um Kunst ging es dabei kaum.
Der Mann sitzt indes still auf dem Podium, die große Narbe sichtbar am Kopf, keine Spur von dem lachenden Schalk, den wildwachsenden Haarbüscheln, mit denen er noch das Plakat ziert. Ja, er habe immer noch Gedächtnisprobleme, erklärt Ai Weiwei, doch andererseits: „Ich hatte schon immer ein schlechtes Gedächtnis.“ Was ein Gespräch über die Kunst durchaus erschwert. Seine Antwort ist „Ja“ oder „Nein“, leise, zögernd, und auch die Fragen aus dem Publikum kommen kaum aus dem Polit- und Medizinumfeld heraus. Tragik eines Künstlers, der sich selbst zum Gegenstand seiner Kunst gemacht hat oder konsequente Fortführung eines Wegs, der unter den Umständen, unter denen er arbeitet, nicht anders sein kann als politisch? „Ich bin mein eigenes Ready-made“, sagt Ai Weiwei, und der Verweis auf Marcel Duchamp zieht sich durch sein Werk, seit den frühen Achtzigern, als er sich im Museum für Modern Art in New York neben Duchamp-Arbeiten fotografiert. Aber angebrachter wäre vielleicht der Vergleich mit Christoph Schlingensief, der mindestens so konsequent darauf beharrt, dass auch persönliche Lebensbedingungen politisch sein können. „Als Künstler kann ich nicht anders als politisch aktiv zu sein“, sagt Ai Weiwei. Er würde notfalls auch Politiker werden.
Er war auch schon alles Mögliche, Babysitter und Tellerwäscher, Friseur, Koch und Masseur, Gärtner und Opernstatist, Architekt, Kurator, Künstler. „Persönliche Erfahrung ist die Basis zu gesellschaftlicher Veränderung“, das ist sein Credo, und war auch 2007 der Grundgedanke hinter dem Documenta-Projekt „Fairy-Tale“, das 1001 Chinesen nach Kassel brachte. Im Haus der Kunst sind sie noch einmal präsent, als Schwarzweißporträts, aufgenommen in dem Moment, in dem sie im deutschen Konsulat ihren Reisepass bekamen. Zarte, stolze, scheue, ungelenke Posen, eine Armee von Schattenmenschen, die hier noch einmal sichtbar werden. Davor, im größten Raum, eine Installation aus 100 wuchtigen Baumwurzeln auf einem Teppich, der exakt den Granitplatten des Museumsfußbodens nachgebildet ist. Und dazu ein Zelt, mit zehn Pritschen, Koffern und Stühlen, eine Notunterkunft, wie sie in Kassel stand.
Ähnlich gemeinschaftlich funktioniert auch der Aufbau im Haus der Kunst: Das zwanzigköpfige chinesische Team wohnte im Basement des Nazibaus, schlief und kochte da, und abends zogen köstliche Gerüche durchs Haus. Und Ai Weiwei, der seine Hauptaktivität längst ins Internet, in Blogs, Handyfotos und Twittermeldungen verlegt hat, dokumentierte den Aufbau, dokumentierte auch seine Mitarbeiter auf dem Oktoberfest, im Englischen Garten, am Eisbach, bei Stadterkundungen in München, den Bruder beim Verspeisen von Schweinebraten mit Semmelknödel, und sich selbst im Krankenbett.
Und noch einmal ist Kassel präsent, in dem Hauptwerk „Template“, das den Besucher im Eingang begrüßt. Die Großskulptur aus Türen historischer Bauten, die der aktuellen Bauwut zum Opfer fielen, ist eine Rekonstruktion. In Kassel brach das Gefüge wenige Tage nach Aufbau durch einen Sturm zusammen, blieb dann als Ruine liegen. Und hat jetzt, im geordneten Zusammenbruch, etwas vom Floß der Medusa, wie es sich in die Höhe schraubt. Und doch hat diese Arbeit nun noch einmal eine andere, makabere Konnotation bekommen. Denn um Naturgewalt, Zusammenbruch und Ruinen geht es auch in dem Werk „Remembering“, das Ai Weiwei den Ärger und die Popularität eingebracht hatte.
Der Versuch, mit einer Gruppe von Freiwilligen die Namen der Kinder zu erforschen, die am 12. Mai 2008 bei einem Erdbeben in Sichuan unter den Trümmern ihrer Schulen starben, hat Ai Weiwei in Konflikt mit den chinesischen Behörden gebracht, hat zu seiner Verhaftung, zu dem verhängnisvollen Schlag auf den Kopf geführt. Fast fünftausend Namen hatten sie erfahren, und das Projekt geht noch weiter, wenn auch sehr vorsichtig, um die Helfer nicht zu gefährden, erzählt er in München. Schwarzweißfotos der Tage nach der Katastrophe zeigen die Helfer in weißen Schutzanzügen, müde auf Stühle gelagert, und unter den Trümmern, die in den Himmel ragen wie die Türen von „Template“, unzählige Schulranzen und Schulbücher.
Mit neuntausend Schulranzen hat Ai Weiwei nun die Fassade des Hauses der Kunst verkleidet, ein bunter Vorhang aus Blau, Gelb, Rot und Grün, der in chinesischen Schriftzeichen den Satz „Sieben Jahre lang lebte sie glücklich in dieser Welt“ trägt: Das hat eine Mutter über ihre bei dem Erdbeben ums Leben gekommene Tochter gesagt. Und dass ein Land die Namen verunglückter Kinder vergisst, während gleichzeitig mit großer Pracht das 60. Staatsjubiläum gefeiert wird, bringt den stillen Künstler dann doch auf die Palme, er spricht von Diktatur, und davon, dass das Leben eines Bauern nichts gelte in China. „So Sorry“, der Ausstellungstitel, spielt auf jene verlogene Entschuldigungshaltung an, die dahinter nur Gleichgültigkeit verbirgt, sei es in der Wirtschaft oder der Politik.
Die Überwindung der Politik mit den Mitteln der Kunst. Ai Weiwei ist ein Meister darin, die Stoßrichtung umzukehren. Interviewer werden zurückgefragt, Fotografen fotografiert. Sein Haus in einem Vorort von Peking wird vom chinesischen Sicherheitsdienst überwacht? Na, dann fotografiert er halt auch seine Überwacher. Und auch eine Gruppe von amerikanischen Kunstinteressierten aus dem MoMA, die ihn besucht, kommt in das zweifelhafte Vergnügen, mittels fünf Überwachungskameras beobachtet zu werden. Da sieht man ratlos durchs Atelier stolpernde Menschen, und die tonlosen Filme entfalten eine eigene Komik. Wie ohnehin die Filme des ehemaligen Filmstudenten eine akurate Vermessung chinesischer Lebensrealität zeigen. Videoarbeiten zeigen die Stadtringe rund um Peking, aufgenommen von den Fußgängerbrücken, oder fahren alle Straßen innerhalb des vierten Rings ab, 2400 Kilometer, der Videofilm dauert 150 Stunden. „Was uns geschieht, ist oft viel massiver, als wir erkennen können“, kommentiert Ai Weiwei die Veränderung der Stadt. Und ist, im kritischen Blick auf das Lebensumfeld, ganz der Architekt, als der er beim Pekinger Olympiastadion mitwirkte und aktuell ein Villenprojekt in der mongolischen Wüste entwirft.
Eine seiner Arbeiten heißt: „Study of Perspective“ und zeigt Fotos vom Platz des Himmlischen Friedens, vom Eiffelturm, vom Berliner Reichstag, und im Vordergrund immer eine menschliche Hand mit eindeutiger Geste. „Fake“ heißt das Label seiner Firma, das soll im Chinesischen „Fuck“ heißen. „Ich bin nicht grundsätzlich negativ“, erklärt Ai Weiwei dazu. ,Fuck off’ ist nur die Einstellung, die ich als Einzelperson gegenüber Institutionen und Machtstrukturen habe.“
Haus der Kunst München, 12. 10. bis 17. 1., Katalog (Prestel-Verlag) mit Ausstellungsticket 2 €, sonst 19,95 €.
Christina Tilmann