Teddy Award für Ulrike Ottinger: Die Wüstenkönigin
Ulrike Ottinger wird für ihr Lebenswerk mit dem Teddy Award ausgezeichnet. Ein Hausbesuch bei der Filmkünstlerin in Kreuzberg.
Kein Detail ist zu klein, als dass es ihre persönliche Aufmerksamkeit nicht verdiente. „Ah, Sie interessiert die Strenge“, sagt sie zum Fotografen. Dann schließt sie den Kragen ihrer Strickjacke, nicht aus einem Bedürfnis nach Distanz, sondern aus Gefallen an Symmetrie.
Ulrike Ottinger ist zu Hause. Und sie ist in ihrem Element. Es ist zwar gerade ein anderer, der Regie führt, der ein Foto von ihr macht, aber sie arrangiert mit. Inszeniert ein Bild. Die ausufernden Triebe einer hüfthohen Zimmerpflanze müssen zurückgebunden werden, damit sie nicht ins Bild geraten. Aber Umstände machen ihr nichts aus. Sie tut bloß das, was sie ihr ganzes Leben lang schon tut: Sie macht sich und anderen ein Bild.
An einem kahlen Tisch in ihrer Wohnung voller Bilder, Bücher und Figuren, die sie von Reisen mitgebracht hat, folgen nun zweieinhalb Stunden Gespräch, kein Getränk. Das ist nicht unhöflich, sondern Konzentration.
Die Zimmerpflanze, erzählt sie, war ein Geschenk einer kranken Freundin, der Schauspielerin Magdalena Montezuma. Sie hatte in Ottingers Filmen mitgespielt und ihr kurz vor ihrem Tod einen winzigen Ableger aus Spanien mitgebracht.
Magdalena Montezuma ist jetzt 27 Jahre tot, seitdem wird die Pflanze von Ottinger gepflegt. Ausufern darf sie, umständlich sein, raumgreifend, vital. Ottinger, die diese Qualitäten schätzt, gestattet ihr, sich nach ihren eigenen Gesetzen zu winden und immer wieder in eine andere Richtung zu wachsen.
Ulrike Ottinger, die in diesem Jahr 70 wird, die am morgigen Freitag den Teddy Award für ihr Lebenswerk erhält, die das Bundesverdienstkreuz bekam, die Filmemacherin, Fotografin und Künstlerin, über die nun auf der Berlinale der Dokumentarfilm „Die Nomadin vom See“ gezeigt wird, blickt auf ein Werk zurück, das sich in den letzten Jahrzehnten ebenfalls immer wieder in eine andere Richtung gedreht hat, vital und eigenwillig. Aus sich selbst heraus einem inneren, eingeschriebenen Programm folgend.
Im Herbst 1973, da war sie schon in Paris gewesen, kommt Ulrike Ottinger aus Konstanz auf Einladung des Künstlers Wolf Vostell nach Berlin, um mit einer geliehenen 16-mm-Kamera dessen Happening zu filmen. Sie wohnt bei ihm und in den drei Wochen ihres Aufenthalts sucht sie sich sogleich eine Wohnung. Berlin kommt ihr vor wie „die erste Stadt des Ostens“, eine erste Etappe in die Richtung, die sie später mit ihren Filmen bis in die Mongolei, nach Japan, Odessa weiterverfolgen soll. In welcher anderen Großstadt gibt es Kohleberge mitten in der Stadt, Ruinen, Brandspuren, und dann diese seltsam eingefrorene Stimmung an der Mauer, vor der der Verkehr erstirbt? Drei Filme schlägt sie aus dieser Konfrontation mit der Großstadt: Die Berlin-Trilogie: „Bildnis einer Trinkerin“, „Freak Orlando“ und „Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse.“ „Freak Orlando“ drehte sie auf dem Fichte-Bunker schräg gegenüber ihrer Wohnung, der heute Eigentumswohnungen beherbergt, damals aber ein geheimes Lebensmitteldepot der US-Armee. Die Weltmächte treten Ottinger jeweils in Form eines Berliner Stadtkommandanten gegenüber, mit denen man aber über eine Drehgenehmigung durchaus verhandeln kann.
Sie unternimmt nun lange Reisen nach China und in die Mongolei. Sie nutzt die Konfrontation der Kulturen als Stilmittel und die Zumutung als Chance: Sie kombiniert Spiel- und Dokumentarfilm, Fakt und Fiktion, Finden und Erfinden. Sie lässt westliche Protagonisten den Mongolen begegnen. Den Zuschauern mutet sie ihren eigenen Anspruch zu: Filme müssen auf die ihnen eigene Länge wachsen dürfen: Über acht Stunden dauert „Taiga“, ein Film, der die Nomaden in der Mongolei vom Sommer- ins Winterlager begleitet und deren Schamanismus beschreibt. Es sei die dem Thema innewohnende Länge, die der Filmemacher respektieren muss. „Stil ist eine Haltung gegenüber Situationen“, sagt Ottinger. Diese Haltung äußert sich aber immer anders. Deshalb vervollkommnet sie nicht nur eine Disziplin wie Film, Fotografie oder Malerei. „Ich arbeite an Themen“.
Ottinger, immer ihre eigene Kamerafrau, blickt mit nur einem Auge in das Okular. Das andere Auge geistert durch den Raum und nimmt mit der Umgebung Kontakt auf. Es ist, sagt sie, eine „heitere Komplizenschaft“, die sie in ihren Dokumentarfilmen mit den Menschen eingeht.
Die Reisen sind immer auch Materialsammlungen, nicht allein für den konkreten Zweck eines Films. Sie kann sich in ihrer Kreuzberger Wohnung Wind in Erinnerung rufen, der in der Steppe anders klingt als in der Wüste oder im Mischwald. Sie lebt von diesem Fundus im Kopf. Sie ist stolz, wenn sie das innere Programm einer Gesellschaft verstanden hat. „In der Mongolei ist derjenige schön, der etwas kann.“ Mit den Mongolen musste sie erst einmal zusammensitzen und singen. Als klar war, dass sie jetzt dran war, sang sie, was ihre Mutter in Konstanz ihr mithilfe zweier Klaviere und eines Spinetts beigebracht hatte: viel Romantik, auch „Die schöne Müllerin“.
Die Filme aus Begegnungen dieser Art werden poetisch, surrealistisch, sperrig, komplex. Sie verlangen Bereitschaft. „Die 90er waren mein Waterloo für die großen Projekte“, sagt Ottinger. Alle wollen interdisziplinär arbeiten, sagt sie, „aber wenn Interdisziplinarität wirklich stattfindet, sind viele hilflos.“ Niemand habe ihr mehr Geld gegeben. Ottinger hatte das Gefühl, dass wahllos neue „Slogans“ ausgegeben wurden: In fremden Ländern sollen nur noch die arbeiten, die aus diesen Ländern kommen. Oder: Junge Leute! Die Filmförderung entwickelte Normen, aber dass Ottinger selbst in keine Norm passt, ist ja gerade ihre Qualität. „Anfang der 80er Jahre haben 20 Leute über Film entschieden, die alle eine andere Meinung hatten. Heute entscheiden 200 Leute, die alle die gleiche Meinung haben.“
Die unrealisierten Drehbücher stehen in ihrem Berliner Zimmer. In der Mitte des Zimmers hängen Turn-Ringe von der Decke, an denen sie sich gelegentlich aushängt. Die Grafikschränke sind prallvoll mit Fotos, die Regale voller Diakästen, chronologisch die Projekte, die Drehbücher, die bildnerische Beute ihrer Reisen.
Unermüdlich, aus sich selbst heraus, ihrem inneren Programm folgend, wächst das Werk. Den Tag hat sie im Studio verbracht für eine Hörspielfassung ihres aktuellen Films „Unter Schnee“. Sie hat japanische Trommler aufgetrieben, die zusammen mit einer Bambusflöte das Stück bereichern. Jetzt ist es halb elf durch, sie ist eigentlich schon jetzt mit ihrer Freundin in einem Restaurant nebenan zum Abendessen verabredet. Zwischen allem bleibt kaum Zeit, zur Inspiration einfach durch die Stadt zu gehen. „Mehr flanieren“, sagt sie. Das wär’s. Sie schlägt den Kragen ihrer Felljacke hoch und konfrontiert den Berliner Winter mit ihrer Person.
16.2., 12 Uhr (Cinestar7), 17.2., 15.30 Uhr (Colosseum 1)
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