Kultur: Die Würde eines Winterdorfes
Die Wiener Ausstellung zur Malerfamilie Bruegel zeigt den Vater Pieter d.Ä.
Die Wiener Ausstellung zur Malerfamilie Bruegel zeigt den Vater Pieter d.Ä.als Genie, die beiden Söhne Pieter d.J.und Jan d.Ä.als kunstvolle NachahmerVON BERNHARD SCHULZZu den beliebtesten Werken Alter Meister gehören die ungemein erzählerischen Darstellungen Pieter Bruegels d.Ä..Bilder des flämischen Malers im Vergleich zu sehen, etwa neben den "Niederländischen Sprichwörtern" der Berliner Gemäldegalerie die beiden gleichfalls 1559/60 entstandenen Kompositionen "Kinderspiele" und "Streit zwischen Fasten und Fastnacht", ist nahezu unmöglich: Zu empfindlich sind die Holztafeln für die Reise. Das Kunsthistorische Museum Wien als Erbe eines kunstsinnigen Herrscherhauses kann demgegenüber auf gleich zwölf Gemälde von Bruegels Hand verweisen.So gebot es sich von selbst, die für die Essener Villa Hügel erarbeitete Ausstellung "Tradition und Fortschritt.Flämische Malerei um 1600: Pieter Breughel d.J.und Jan Breughel d.Ä." nach Wien zu übernehmen und hier mit dem Bestand an Werken des Familienältesten - die Schreibweise ändert sich zwischen den Generationen - zu vereinen.Dies nicht allein, um Vater und Söhne zusammenzuführen, sondern weil die beiden, ungemein produktiven Söhne künstlerisch vom Vater abhängig blieben und dessen Kompositionen vielfach variiert und "unter die Leute gebracht" haben.Erst mit dem Dutzend der Wiener Bruegels, die noch um drei kostbare Leihgaben vermehrt werden konnten, erschließt sich die ursprüngliche Ausstellung ganz. Die Wiener haben darauf verzichtet, Werke des Vaters mit solchen der Söhne in unmittelbaren räumlichen Zusammenhang zu bringen.Den weiten Abstand auszumessen, den als ein bloßes Qualitätsgefälle zu bezeichnen die unterschiedlichen Zweckbestimmungen und Auftraggeber der Werke unberücksichtigt ließe, bleibt dem nachträglichen Vergleich im Kopf des Betrachters überlassen.Die Gemälde des älteren Bruegel bleiben ganz unter sich und füllen einen Saal des Museums, in dem die Besucher sich von einem Hauptwerk zum nächsten schieben. Es scheint überhaupt, als habe Bruegel nur Hauptwerke gemalt.40 Gemälde zählt der heute noch vorhandene Bestand; ein reichliches Drittel davon ist also in Wien zu sehen.Bruegels Leben fällt in eine Zeit äußerster Wirren.Das Geburtsjahr läßt sich auf 1525/30 allenfalls eingrenzen.1545 beginnt Bruegel seine Ausbildung als Maler, deren Abschluß 1551 mit der Aufnahme in die Lukasgilde von Antwerpen bestätigt wird.Eine grand tour über die Alpen nach Italien in den Jahren 1552/53 schloß sich an.Nach der Heirat, deren spätes Datum von 1563 einen Hinweis auf den wirtschaftlichen Status Bruegels gibt, wurden die Söhne Pieter d.J.und Jan (später "der Ältere") geboren. 1566 fand der berüchtigte Bildersturm in den Kirchen der Niederlande statt, dem ungezählte Bildwerke der sakralen Kunst zum Opfer fielen, ein Jahr darauf zog der Herzog von Alba in den spanischen Niederlanden ein und errichtete seine sechs Jahre dauernde Schreckensherrschaft.Der Wertschätzung Bruegels taten die kriegerischen Ereignisse keinen Abbruch, er hatte Sammler in den höchsten Kreisen; und es kennzeichnet wohl die verworrene Lage in den Niederlanden, daß seine beiden bedeutendsten Sammler zum einen ein bürgerlicher Bankier, Nicolas Jongelinck, und zum anderen der spanische Kardinal de Granvella waren.In den Wirren der Alba-Herrschaft ging Bruegels Leben 1569 zu Ende.Später fanden dann Bruegels Werke in Kaiser Rudolf II.ihren wichtigsten Sammler.Er ließ Kunstwerke von Agenten europaweit suchen und in seine Residenz nach Prag schaffen.Der dortige Bruegel-Bestand wurde durch Plünderungen dezimiert; doch das schließlich nach Wien gelangte Dutzend ist immer noch überaus beeindruckend. Das alles sei hier deshalb so ausführlich erwähnt, weil die Bilder selbst den Zeitläuften ihrer Entstehung so ganz enthoben scheinen.Die Postkartenbeliebtheit des Flamen entspringt vielmehr seiner vermeintlichen, menschlich-allzumenschlichen Zeitlosigkeit.Die "Kinderspiele" beispielsweise - 90 hat man gezählt, bei 230 Figuren des Bildes - sind teils immer noch gebräuchlich, und die Kinder selbst lassen nur durch ihre Kleidung den Zeitabstand erkennen.Die Übertragung der Kreuztragung zum Hügel von Golgatha in die niederländische Gegenwart hebt die biblische historia als Realität vor Augen, beglaubigt durch die Detailtreue des Malers.Sie ist all seinen Bildern eigen. Die "Kreuztragung Christi" von 1564 steht auf der Scheidelinie von alter und neuer Malerei; zugleich ein anspruchsvolles Landschaftsgemälde, ohne daß das sakrale Thema darum zum Genre herabgesunken wäre.Bruegel nimmt seine Sujets ernst; nichts vom "Bauern-Bruegel" oder gar dem "drolligen Maler", als den ihn spätere Zeiten verniedlichten.Welche Rolle die Landschaft als Bedeutungsträger erlangen kann, zeigt auch "Der Überfall", wo eine unbegrenzte Fläche die abweisende Folie für das grausame Geschehen bildet. Ob dieses Gemälde von Bruegel stammt oder von der Hand seines älteren Sohnes, bleibt im zweibändigen Wiener Katalog offen.Die Söhne haben die Vorlagen variiert, auch simplifiziert; in jedem Fall aber kam ihnen der große Ernst abhanden, der den Figuren noch der scheinbar unterhaltsamsten Alltagsdarstellungen wie der "Bauernhochzeit" eine ganz neuzeitliche Individualität und Würde verleiht.Ihren monumentalsten Ausdruck findet diese Haltung Bruegels in dem Auftragszyklus der sechs (landwirtschaftlichen) Jahreszeiten, unter denen das Winterbild zur Darstellung dieser Jahreszeit schlechthin geronnen ist.Zugleich enthält es ein geradezu utopisches Moment menschlicher Gemeinsamkeit, den Vorschein auf eine - zu Bruegels späten Jahren wahrlich ferne - friedliche Zukunft. Die Fülle der Arbeiten von Pieter d.J.und Jan d.Ä.in den folgenden Sälen läßt zumal durch ihre dichte Hängung den Eindruck der Serienproduktion allzu deutlich werden.Der Vater konnte für wohlhabende Auftraggeber arbeiten; die Söhne hatten einen wachsenden Käuferkreis zu befriedigen.Bei Jan kommen die Blumenbilder hinzu, in denen er eine unvergleichliche Meisterschaft entwickelte.Vor allem aber trieb der jüngere der beiden Söhne die Landschaftsmalerei weiter und vollzog abermals eine Entwicklungsstufe - in seinem Fall weg von der "Weltlandschaft" zur weiten, tiefen Flachlandschaft, in der der einstige, allegorisch zu verstehende Überblick sich dem subjektiven Bildfeld des einzelnen Betrachters annähert.Pieter, der als Kopist der Arbeiten seines Vaters begann, blieb diesen Vorlagen treu.Seine invenzione beschränkte sich auf das kunstvolle Arrangement eines schier unerschöpflichen Motivschatzes.So ist als seine Variation die bestürzende Komposition des bethlehemitischen Kindermords in Wien zu sehen.So beliebt war dieses - durch die Verlegung in ein winterliches flämisches Dorf doch so brutal gegenwärtige - Sujet, daß es davon mindestens 14 Versionen gab. Den beiden Söhnen künstlerische Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, war das Ziel der Essener Ausstellung.In der Wiener Version leuchtet der Stern Pieters d.Ä.so hell, daß eher das herkömmliche Schema bestätigt wird: hier der Meister einer neuen Weltsicht, das Genie, dort die wenn auch überaus kunstfertigen Nachfahren.Vielleicht hätten, über die stolze Zurschaustellung der eigenen und entliehenen Schätze hinaus, die Produktionsbedingungen der Bruegel-Zeit anschaulicher gemacht werden können - mag auch der Publikumszuspruch dem kulinarischen Konzept zumindest quantitativ recht geben. Wien, Kunsthistorisches Museum, bis 14.April.Kataloge: Pieter d.Ä.290 ÖS (ca.56 DM), Pieter d.J./Jan d.Ä.390 öS (ca.41 DM).
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