Kino: Die Welt ist noch zu retten
Tom Cruise ist wieder auf Agententour. Diesmal in Dubai: „Mission: Impossible – Phantom Protokoll“ besinnt sich auf die Wurzeln des Agententhrillers.
Eine mit Atomsprengköpfen bestückte Rakete rast auf eine amerikanische Großstadt zu, während Tausende Kilometer entfernt ein Faustkampf darüber entscheidet, ob sie detonieren und die Welt in den Abgrund reißen wird: Lange nicht mehr hatte die Klimax eines Agententhrillers eine derartige Fallhöhe wie bei „Mission: Impossible – Phantom Protokoll“, dem vierten Teil der Serie um den von Tom Cruise verkörperten Ethan Hunt.
Trotz immer größerer Budgets und trotz ungebrochenen Publikumsinteresses steckt der Agentenfilm seit dem Ende des Kalten Krieges in einer Sinnkrise. Das Ende des atomaren Wettrüstens hat dem Genre sein wichtigstes Leitmotiv genommen. Das Damoklesschwert des thermonuklearen Krieges sorgte für das Hintergrundrauschen einer universellen Angst, vor dem die Superagenten der sechziger bis frühen neunziger Jahre ihren blutigen Job verrichteten.
Nun ist die Welt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nicht unbedingt friedlicher geworden. Aber die neuen Bedrohungen und Krisenherde haben in ihrer postnuklearen Unübersichtlichkeit aus dramaturgischer Sicht einen entscheidenden Nachteil: Sie gehen nicht zwangsläufig jeden etwas an. So taten sich die Drehbuchautoren bei den letzten James-Bond- Filmen zunehmend schwerer, einschüchternde Szenarien zu entwerfen. Killersatelliten, sabotierte Erdölpipelines, machtgierige Medienmogule oder erzböse Waffenhändler – ganz schlimm das alles, aber nicht gerade der Stoff, der einem schlaflose Nächte bereitet.
Was für den Marktführer galt, traf auch auf die 1996 gestartete „Mission Impossible“-Reihe zu. So gelang Regie-Altmeister Brian De Palma im ersten Teil mit dem Einbruch in einen Hochsicherheits- Computerraum zwar eine Kinosequenz von ikonischer Qualität. Das eigentliche Ziel der unmöglichen Mission aber, die Beschaffung einer Liste mit Undercoveragenten, blieb bloßer Auslösereflex der zweistündigen Materialschlacht.
Eine Tendenz, die bei den Sequels noch bestärkt wurde: John Woo war in Teil 2 mehr an seinen Todesballetten interessiert als daran, der kruden Jagd nach einer Biowaffe Plausibilität zu verleihen. Und J. J. Abrams reduzierte bei „Mission: Impossible 3“ den Anlass für dutzendfachen Mord und Totschlag auf eine mysteriöse „Hasenpfote“, deren wahre Natur man bis zum Schluss nicht erfährt – ein klassischer MacGuffin.
„Mission: Impossible – Phantom Protokoll“ besinnt sich auf die Wurzeln des Agententhrillers. Eine segensreiche Entscheidung: In seinem ersten Realfilm erzählt Regisseur Brad Bird („Ratatouille“), der schon in den Superhelden-Animationsfilm „Die Unglaublichen“ Zitate aus „Mission: Impossible“ eingewebt hatte, eine wunderbar altmodische, trotz diverser Plot Twists überraschend stringente Geschichte, die wirkungsvoll die drohende Apokalypse beschwört.
Der Fanatiker Kurt Hendricks (Michael Nyqwist, bekannt aus der „Millenium“-Trilogie) zettelt eine Verschwörung an, die die einander noch immer misstrauenden Supermächte Amerika und Russland in einen Krieg verwickeln und so seine Vision von einer im nuklearen Feuer geläuterten Menschheit wahr werden lassen soll. Nur Ethan Hunt und sein Team scheinen fähig, den diabolischen Plan zu sabotieren. Doch zunächst müssen sie ihre eigene Haut retten: Nachdem ihnen ein verheerender Bombenanschlag im Kreml angelastet wird und der US-Präsident sie zum Abschuss freigegeben hat, befinden sie sich auf der Flucht vor dem russischen Geheimdienst.
Der vierte MI-Teil versteckt wie seine Vorgänger zu keiner Sekunde die immensen Produktionskosten – angeblich 140 Millionen Dollar. Doch das Protzen mit perfekt choreografierter Action und spektakulären Schauplätzen degeneriert nicht zum Selbstzweck, sondern steht im Dienst einer Story, die einen über zwei Stunden langen Spannungsbogen hält. Die Kampfszenen sind genreüblich hart, wobei Bird eher auf lange Planseqenzen als auf schnell getaktete Reizüberflutung zielt. Neben einer irren Verfolgungsjagd im Sandsturm sind vor allem die Außenaufnahmen am höchsten Gebäude der Welt, dem über 800 Meter hohen Burj Khalifa in Dubai, sensationell.
Natürlich hat es sich Tom Cruise nicht nehmen lassen, selbst mit Spezialhandschuhen an der Glasfassade herumzuklettern. Cruise ist mittlerweile ähnlich mit der Rolle des Ethan Hunt verwachsen wie in den Sechzigern Sean Connery mit James Bond. Im Gegensatz zu dem britischen Einzelgänger ist Hunt jedoch ein Teamplayer, wodurch „Phantom Protokoll“ keine Cruise-Soloshow wird, sondern als Ensemblefilm funktioniert. Jeremy Renner als Schreibtischagent mit dunkler Vergangenheit und Paula Patton als schlagkräftige Amazone im Rachemodus konterkarieren die Muskelarbeit des 49-jährigen Cruise. Zum Quartett ergänzt wird das Team von Simon Pegg, der sich wie schon in der „Star Trek“-Neuauflage als idealer Sidekick erweist und noch der aussichtslosesten Situation mit britischem Humor begegnet.
„Phantom Protokoll“ holt den Weltuntergang zurück aus den Gefilden des Science-Fiction-Films, wo er die letzten 20 Jahre Unterschlupf gefunden hatte, aber auch immer ins Reich des Fantastischen verbannt war. In der realen Welt stellen nicht Aliens die größte Gefahr für den Menschen dar, sondern seine eigenen Erfindungen. Da ist es beruhigend, wenn Ethan Hunt und seine Kollegen ein wachsames Auge auf das Ganze haben.
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