Terry Gilliam: Die Welt, ein Irrenhaus
Trotz aller Fehler – Gilliam ist unverwechselbar. Dem Regisseur Terry Gilliam zum 70. Geburstag.
Manuskripte, die in der Schublade liegen bleiben, vom Produzenten verstümmelte Filme oder Dreharbeiten, die aus Geldnot abgebrochen werden: Fast jeder erfolgreiche Regisseur hat das eine oder andere schon einmal erlebt. Aber bei Terry Gilliam häufen sich solche Missgeschicke auf geradezu verdächtige Weise. Allein in den letzten zehn Jahren scheiterte eine „Don Quichotte“-Verfilmung, nachdem ein Unwetter die Dekorationen weggespült hatte und der Hauptdarsteller Jean Rochefort aufgrund einer Bandscheibenerkrankung sein Pferd nicht mehr besteigen konnte. „Brothers Grimm“ wurde ohne Gilliams Zustimmung umgeschnitten, das Ergebnis von der Kritik verrissen und, Gipfel der Demütigung, Gilliams erster kommerzieller Erfolg seit langem. Und dann starb mitten in den Dreharbeiten zu „Kabinett des Doktor Parnassus“ der Darsteller Heath Ledger.
Wenn es nach J. K. Rowling gegangen wäre, hätte Gilliam den ersten Harry-Potter-Film inszeniert, aber die Produzenten erhoben Einspruch. Er hätte „Roger Rabbit“, „Forrest Gump“ und „Watchmen“ inszenieren können und war die erste Wahl für „Troja“, warf jedoch das Drehbuch schon nach fünf Seiten in die Ecke. Ein ewiger Pechvogel? Ein unverbesserlicher Idealist, zu schade für die Traumfabrik? Man kann es auch anders sehen. Es ist schmeichelhaft, für so viele teure Projekte im Gespräch zu sein. Und auch ohne aktuelle Megahits ist Gilliam eine Regielegende. Der glückliche Ausgang der „Parnassus“-Katastrophe – der Film wurde fertiggestellt und ein passabler Erfolg – lässt für die Zukunft des Regisseurs hoffen, der an diesem Montag seinen 70. Geburtstag feiert.
Gilliam wurde in den USA geboren, ging jedoch als Jugendlicher nach London, dessen kreative Atmosphäre für ihn wie geschaffen war. Er machte sich als Zeichner für Satiremagazine einen Namen und gründete 1969 mit fünf Freunden die Komikertruppe Monty Python, deren deftig-makabre Gags das Fernsehprogramm aufpeppten. Dass Monty Python der Sprung auf die große Leinwand mühelos gelang, war Gilliams ausufernder visueller Fantasie zu verdanken. Selbst wer mit dem Humor nichts anfangen konnte, der konnte immer noch die Bilder genießen. Für „Der Sinn des Lebens“ entwarf Gilliam einen atemberaubenden Prolog, in dem kleine Angestellte den Aufstand wagen und aus Büromaterial Waffen schmieden, während das Bürohaus sich langsam in ein Piratenschiff verwandelt.
Gilliam selbst wagte den Aufstand. Er wollte raus aus der Comedy-Ecke und sich als Gesellschaftskritiker profilieren. „1984“ war gerade von einem anderen Regisseur verfilmt worden, also leistete Gilliam mit „Brazil“ einen Beitrag zum Orwell-Jahr, der „1984“ weit in den Schatten stellte. Noch finsterer, noch spektakulärer, zugleich auch lustiger, das alles mit exzessivem Einsatz von Weitwinkelobjektiven. Bei Gilliam ist das Leben, die Welt ein Irrenhaus („The Twelve Monkeys“) oder ein Drogentrip („Fear and Loathing in Las Vegas“) und immer wieder eine Zeitreise. Schauspieler sind versessen darauf, mit ihm zu arbeiten, sie verzichten auf ihre gewohnte Gage, um Teil seines Universums zu sein. Das breite Publikum aber steht Gilliam ebenso reserviert gegenüber wie die Kritiker. Für die ersten ist er nicht ausreichend oberflächlich, für die zweiten nicht tiefsinnig genug. Doch trotz aller Fehler – ein strenger Dramaturg würde gut tun – ist Gilliam unverwechselbar. Das kann man nur von wenigen Regisseuren des angloamerikanischen Kinos behaupten. Frank Noack
Frank Noack
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