Weddinger Uferhallen: Die Weisheit des Weizens - eine Ausstellung
Kunst und Nachhaltigkeit: eine Berliner Ausstellung feiert die Aktivisten
Bei der Akademie der Künste haben sie verdutzt geschaut bei der Frage nach dem Ausstellungsmobiliar. Den Tresen wiederverwerten wollen Sie? Aha, meinetwegen. Und die Gasag hatte nichts Besseres zu tun, als ihr Logo fett auf die Ballons zu drucken, die den CO2-Verbrauch des Menschen in einer Großstadt aufzeigen sollten. Sponsoring? Jederzeit. Aber nur, wenn es auch als Werbung dient.
Adrienne Goehler, Kurzzeit-Kultursenatorin – sie spricht von einem „Politikpraktikum“ –, danach Kuratorin des Hauptstadt-Kulturfonds, seit 2006 Autorin – gerade hat sie mit dem Drogeriemarkt-Gründer Götz Werner ein Buch über das Grundeinkommen für jeden geschrieben –, Adrienne Goehler also kann so manche Geschichte davon erzählen, wie es zugeht, wenn man eine nachhaltige Ausstellung organisieren will. Dass man beim Umweltbundesamt zunächst der Meinung war, das sei doch Kunst, damit habe man nichts zu tun, keinen Haushaltstitel. Auch andere Stiftungen spielten fleißig das Zuständigkeitsspiel. Umwelt? Aber wir doch nicht. Kultur? Viel zu politisch. Und das Modewort Nachhaltigkeit ist auch längst entwertet.
Am Ende ist die Ausstellung, nach dreijähriger Vorbereitungszeit, tatsächlich fertig geworden, gefördert durch Umweltbundesamt und Bundeskulturstiftung, organisiert nach streng ökologischen Rücksichten: Recycling-Papier und CO2-Ausgleich, die Werke kamen per Schiff oder Bahn, möglichst wenig Videokunst sollte es sein, von wegen der Stromkosten. Ganz frisch müssen die Beiträge auch nicht sein, dafür aber relevant. Denn in ihrer Zeit beim Hauptstadtkulturfonds hat Adrienne Goehler das Phantom des „Antragskünstlers“ zu Genüge kennen gelernt, der zu jedem Mittelvergabetermin hektisch mit ganz neuen, ganz originellen Projekten aufwarten musste. Überdenken, weiterentwickeln, korrigieren, das ist in dem System nicht drin. Der Ausstellungsbetrieb giert nach Neuigkeit. Und vergisst zu gern, was alles schon war.
So ist die Ausstellung „Zur Nachahmung empfohlen. Expeditionen in Ästhetik und Nachhaltigkeit“ in den Weddinger Uferhallen ganz nebenbei eine bedenkenswerte Kritik an unserem schnell drehenden Ausstellungszirkus geworden – und eine Art Gegenentwurf zur Architektur-Biennale. Adrienne Goehler plädiert dafür, die Künstler endlich ernst zu nehmen. Weil sie sich oft hartnäckiger mit Problemen der Gegenwart beschäftigen, als Politik und Medien es sich erlauben. Der Künstler als Dokumentarist der Gegenwart steht im Mittelpunkt: politisch engagiert, wissenschaftlich versiert, und beileibe kein Spinner. Künstler retten die Welt? Vielleicht nicht ganz, aber die anderen retten sie ja auch gerade nicht.
So finden sich ganz unterschiedliche Aktivisten in den Uferhallen zusammen: Hermann Josef Hack zum Beispiel, der mit einer Armada von Miniaturzelten auf die Plätze der Großstädte zieht, um auf Klimaflüchtlinge aufmerksam zu machen. Oder Nana Petzet, die im Selbstversuch ihren ganzen Haushalt aus Abfallmaterialien bestückt, als Gegenmodell zum „Grünen Punkt“. Dan Peterman, der mit aus Armeehosen gefertigten Säcken voll Reis und Linsen auf die Notversorgung Afghanistans aufmerksam macht. Gerd Niemöller, der aus Altpapier einen erdbebensicheren Baustoff entwickelt hat. Gudrun F. Widlok, die ein Adoptionsprogramm aufgelegt hat, das vereinsamte europäische Großstädter an afrikanische Großfamilien vermittelt. Dodi Reiffenberg, der Bilder aus Plastiktüten herstellt und darauf hinweist, dass es nur eine Sekunde dauert, eine Tüte herzustellen, aber tausend Jahre, sie wieder zu entsorgen. Kerstin Polzin und Anja Schoeller, die das Wasser der Panke zu Trinkwasser aufbereiten. Oder Folke Köbberling und Martin Kaltwasser, die in Los Angeles Autos zu Fahrrädern umbauten.
Viel Fantasie, Witz und Wut. Doch werden nicht offene Türen eingerannt, angesichts einer Gesellschaft, die sich mit Bio-Supermärkten und Öko-Strom, Mülltrennung und Energiesparlampen längst auf der richtigen Seite fühlt? Die Thesen von „Zur Nachahmung empfohlen“ sind nicht neu. Längst ist mit Filmen wie „Plastic Planet“ oder „We feed the world“ eine ganze Dokumentarfilmsparte auf Aufklärung eingeschwenkt. Und doch: Was nicht neu ist, ist damit nicht falsch und bleibt aktuell. Dass Experten nicht immer die richtigen Ratgeber sind, dekliniert Adrienne Goehler von der Finanzkrise bis zur Kopenhagen-Konferenz durch, und plädiert dafür, Nicht-Experten das Wort zu geben. Künstlern, Wissenschaftlern, Aktivisten, und allem, was dazwischen liegt. Ein noch zu gründender „Fonds für Ästhetik und Nachhaltigkeit“ soll Grenzgänger fördern.
Tatsächlich schafft ein Bild manchmal mehr als tausend Diskussionsrunden. Der umgedrehte Verhandlungstisch, mit dem das Duo Allora & Calzadilla über das türkisblaue Meer zur puertoricanischen Insel Vieques segelt, die von den USStreitkräften als Ausbildungsort verwüstet wurde. Die geflutete McDonald’s-Filiale von Superflex. Die 6000 Weizensorten, die Ursula Schulze-Dornburg fotografiert hat – dank Monsanto & Co. gibt es heute gerade noch sechs. Oder der 33 Tonnen schwere Kohleberg, den Michael Saup aufgeschichtet hat und der exakt dem Energieverbrauch entspricht, den es kostet, den Trailer zu James Camerons „Avatar“ eine Million Mal aufzurufen. Eine Google-Abfrage verbraucht so viel Energie wie eine Glühbirne in einer Stunde. Denken wir daran, bei der nächsten Mail.
Uferhallen, Uferstraße 8-11, Berlin Wedding, bis 10. Oktober, Di bis So 12 bis 20, Do bis 22 Uhr. Katalog (Hatje Cantz) 48 Euro
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