Emil Ferris' "Am liebsten mag ich Monster": Die Verwandlung
Emil Ferris' Comic-Debüt ist Teenagerdrama, Krimi, Geschichtsunterricht - und sowohl zeichnerisch wie erzählerisch von verstörender Brillanz.
Es dauert ein wenig, bis klar wird, dass da noch mehr ist. Dass hinter der schon ermüdend oft erzählten Geschichte von den Sorgen des Erwachsenwerdens noch eine weitere, wesentlich erschütterndere lauert. Es ist erst nur eine Ahnung, ein unangenehmes Gefühl, aber eine Zeit lang kann der Leser sich ja noch einreden, mit der minderjährigen Erzählerin, die ihre Gedanken und ihren Alltag im Chicago der 1960er Jahre in einem Tagebuch festhält, sei vielleicht nur die Phantasie durchgegangen. Schließlich schwärmt Karen so sehr für Horror-Groschenhefte, dass sie selbst gerne ein Monster wäre und sich in ihren auf Ringbuchblättern gezeichneten Erinnerungen sogar als solches verewigt.
Das Monster als Chiffre
Es ist ein bekanntes Motiv: Das Monster als Chiffre für den sich in der Pubertät verändernden Körper, der Freak als Symbol für die sexuelle und soziale Irritation. Charles Burns hat das in „Black Hole“ schon mal meisterhaft durchexerziert und auf den ersten Seiten von Emil Ferris’ „Am liebsten mag ich Monster“ fühlt man sich mehr als einmal an den Comic-Roman erinnert. Doch die 56-jährige amerikanische Debütantin hat ein wesentlich größer gespanntes Themenfeld im Blick.
Selbstmord? Wo ist dann die Waffe
Eines Tages nämlich wird Anka Silverberg, Karens augenscheinlich verrückte Nachbarin, tot aufgefunden. Erschossen in ihrer Wohnung, eine Waffe jedoch fehlt. Und wie kam sie vom Wohnzimmer ins Bett? Die Polizei spricht von Selbstmord, doch was, fragt Karen, verheimlichen ihr Bruder Deeze und ihre Mutter? Sie beginnt nachzuforschen, tritt in ihren Tagebüchern fortan mit Schlapphut und Trenchcoat auf. Ein kafkaeskes Krimipuzzle folgt, denkt man, doch dann kippt die Geschichte urplötzlich in einen Abgrund von Kindesmissbrauch im Deutschland der 1930er Jahre, der verstörender und furchteinflößender ist, als es jedes von Karens Horrorheftchen je sein könnte. Vor allem, weil Ferris selbst bei den Tätern auf allzu simple Schwarz-weiß-Malerei verzichtet.
Niedliche Cartoons und manische Schraffuren
Ihren Zeichenstil passt sie dabei stets dem Ton an. Niedliche Cartoons gleiten über in wirre Collagen, Ferris kopiert Gemälde, die Karen bei ihren regelmäßigen Museumsbesuchen sieht, die Kapitelüberschriften sind Pulp-Magazinen nachempfunden, auf artifiziell-bunte Kugelschreiberbilder folgen penibel ausgeführte Bleistiftzeichnungen, deren manische Schraffuren denen von Robert Crumb in nichts nachstehen.
Einfach zu lesen ist das nicht. Nicht nur wegen der Thematik. Ferris' Erzählbogen ist virtuos komponiert, doch wer am Ende des ersten von zwei geplanten Bänden ahnt, wer wem was angetan hat, muss schon aufmerksam mitgearbeitet haben. Doch eine lohnenswertere Anstrengung gab es lange nicht mehr im Bereich der Bildergeschichten.
Emil Ferris: Am liebsten mag ich Monster. Aus dem Amerikanischen von Torsten Hempelt, Lettering Alessio Ravazzani, Panini, 420 Seiten, 39 Euro
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität