Lido-Lichtspiele (3): "The Danish Girl": Die Verwandlung
Bei den Filmfestspielen Venedig sorgt Tom Hoopers Biopic "The Danish Girl" für Diskussionen. Eddie Redmayne spielt eine der ersten Transgender-Frauen weltweit, die sich outete.
Ein Sturm über dem Lido hat den Himmel blitzblank geputzt, auch die Aufregung um den von kreischenden Selfie-Jägern belagerten Johnny Depp hat sich gelegt. In Venedig lässt sich prima studieren, welche Unterschiede es zwischen den Stars gibt. Kristen Stewart, Dakota Johnson, Juliette Binoche, Tilda Swinton, auch sie defilierten am Wochenende über den roten Teppich, aber der 52-jährige Depp toppte sie alle. Die Zeitungen druckten Reportagen über junge Fans aus Rom, die eine Nacht lang vor dem Teppich campierten und die Leitern der Fotografen bewachten, um im Gegenzug mit Wasser versorgt zu werden. „Ich nenne sie nicht gern Fans“, sagte Depp, „sie sind unsere Chefs“.
Um ein Idol zu werden, braucht es offenbar Jahre. Irgendwann löst sich der Ruhm von der Frage, wie gut einer spielt, und die Celebrity wird zum Selbstläufer. Eine solide Marke selbst in der schnelldrehenden Internetära, der das Publikum die Treue hält.
Das Ereignis des Festivals: Eddie Redmayne
Mit Filmklassikern verhält es sich ähnlich. Man hatte ein wenig Angst, ob eine Neuauflage des legendären erotischen Thrillers „La Piscine“ mit Romy Schneider, Alain Delon und Jane Birkin mit dem Original konkurrieren kann. Aber Luca Guadagninos auf die Insel Pantelleria verlegtes Remake „A Bigger Splash“ vibriert derart vor Energie, dass sich die Zweifel verflüchtigen. Harte Schnitte, schroffe Vulkanfelsen, schneller Sex, das Luxusleben eines alternden Rockstars (Tilda Swinton) und ihrer Buddies im Kontrast zur Realität der Bootsflüchtlinge – und dazu ein Darsteller-Ensemble, das unentwegt die Anstrengung mitspielt, den ikonischen Bildern trotzen zu müssen. Vor allem Ralph Fiennes brilliert als das Urlaubsidyll aufmischende Nervensäge.
Was die Intensität des Spiels betrifft, heißt das Ereignis des Festivals allerdings Eddie Redmayne. Der 32-jährige britische Oscar-Preisträger („Die Entdeckung der Unendlichkeit“) ist Lili Elbe in Tom Hoopers Zwanziger-Jahre-Drama „The Danish Girl“, eine der ersten Transgender-Frauen weltweit, die sich outete. Eine Dänin, 1882 im Körper eines Mannes geboren. Als Landschaftsmaler Einar Wegener heiratet sie die Künstlerin Gerda (Alicia Vikander), geht mit ihr von Kopenhagen ins wilde Paris, entdeckt nicht zuletzt dank der erotischen Porträts, die Gerda von ihm anfertigt, sein wahres weibliches Ich und unterzieht sich 1930/31 mehreren Geschlechtsoperationen. Die letzte, in Dresden, überlebt sie nicht.
Die Biografie wird zur Lovestory
Es ist die Zeit, in der Homosexualität als Krankheit gilt und die Genderdebatte in ferner Zukunft liegt. Redmayne sitzt Modell als Ersatz für eine Tänzerin, streift sich die Nylons über, spreizt den Fuß ab, posiert als Frau – und verwandelt sich in eine. Imitiert und buchstabiert die Körpersprache der Frauen, auf der Straße, im Bordell, vor dem Spiegel, erst scheu und verspielt, dann obsessiv. Den Gang, die Neigung des Kopfes, die Gestik der Hände, die Anmut bis in die Fingerspitzen, man kann sich nicht sattsehen daran. „The Danish Girl“ feiert die Geburt der Identität aus der Selbstdarstellung.
Regisseur Tom Hooper, für „The King’s Speech“ mit dem Oscar ausgezeichnet, spekuliert auf einen Mainstream-Erfolg. „The Danish Girl“ umgibt Lilis Courage mit eleganten Jugendstil- Dekors und glättet die Biografien zur Lovestory: Im wirklichen Leben ging Gerda vor Lilis Tod mit einem neuen Ehemann nach Marokko. Mainstream sorgt für Akzeptanz: Vielleicht ist ein tränenreiches Melodram über eine Transgender- Pionierin des 20. Jahrhunderts in Zeiten von Caitlyn Jenner ja überfällig.
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